Das "Alles ist möglich"-Mantra ist eine Lüge
Organisation ist alles! Daran glaubte lange auch die Journalistin Britta Sembach. Jetzt hat sie mit Susanne Garsoffky ein Buch geschrieben. Darin stellen beide die viel beschworene Vereinbarkeit von Familie und Beruf infrage.
5:30 Uhr: Weckerklingeln
6:00 Uhr: Pausenbrote schmieren
7:00 Uhr: Kind Nummer eins zur Kita bringen
7:30 Uhr: Kind Nummer zwei zur Schule bringen
8:00 Uhr: Erstes Meeting, sitzt das Kostüm?
12:00 Uhr: Mittagspause, schnell zum Supermarkt
6:00 Uhr: Pausenbrote schmieren
7:00 Uhr: Kind Nummer eins zur Kita bringen
7:30 Uhr: Kind Nummer zwei zur Schule bringen
8:00 Uhr: Erstes Meeting, sitzt das Kostüm?
12:00 Uhr: Mittagspause, schnell zum Supermarkt
Stop!
Schluss mit der Terminhetze
Es reicht! Sagte sich auch Britta Sembach vor ein paar Jahren. Heute ist die Journalistin Mitte 40, und statt von Termin zu Termin zu hetzen, sitzt sie auf dem Kinderbauernhof Pinke Panke in Berlin-Pankow und schaut ihrem Sohn beim Spielen zu.
Familie und Karriere gleichzeitig? In Deutschland nicht zu machen, sagt Britta Sembach heute:
"Kinder wollen uns total, rund um die Uhr und wollen ständige Verfügbarkeit und größtmögliche Flexibilität von uns. Was wollen Arbeitgeber? Die wollen das Gleiche. Die wollen auch, dass wir größtmöglich verfügbar sind, sehr viel Zeit für sie aufwenden und immer abrufbar sind. Diese beiden Anforderungen, diese absolut identischen Anforderungen aus der Familie und dem Beruf, kann man ja gar nicht vereinbaren."
Das Mantra "Alles ist möglich"? Eine Lüge, der sie selbst lange aufgesessen sei. Aber damit ist jetzt Schluss! Als freie Journalistin hatte Britta Sembach das Glück, kürzertreten zu können. Statt Redaktionsdienste zu schieben, schreibt sie jetzt Bücher. Ihre erste Mission: Gemeinsam mit Kollegin Susanne Garsoffky die "Alles-ist-möglich"-Lüge entlarven – und all die anderen kleinen Lügen, die die große Lüge erst möglich machen.
"Ich arbeite, also bin ich" / "Der neue Mann tut, was er kann" / "Die Zukunft ist weiblich" / "Anderswo ist alles besser" / "Alles eine Frage der Organisation"
Britta Sembach: "Man muss nur eine gute Kinderbetreuung haben, ne gute Kinderfrau, man muss sich selbst gut organisieren, seine Zeiten im Griff haben, und dann geht das schon alles ..."
Kein Plädoyer für die Frau am Herd
Von wegen! Spätestens wenn das Kind krank wird, hat auch das größte Organisationsgenie ein Problem:
"Und dann kommen so grundsätzliche Fragen. Will man seine Kinder wirklich immer wegorganisieren, um arbeiten zu können? Man kann das so gut organisieren, wie man will, aber das ist überhaupt nicht die entscheidende Frage. Es ist sicher ein Teil davon, aber eine gute Organisation heißt noch lange nicht, dass Familien gut miteinander leben können."
"Alles eine Frage der Organisation!" / "Ich arbeite, also bin ich" / "Der neue Mann tut, was er kann" / "Die Zukunft ist weiblich" / "Anderswo ist alles besser!"
Das Buch ist kein Plädoyer für die Frau am Herd. Sembach und Garsoffky wollen, das beides möglich ist: Kinder und Karriere. Nur brauche es dafür völlig neue Strukturen. Sprich: ein radikales Umdenken in Politik und Unternehmen.
Britta Sembach: "Warum können wir nicht diese Phasen entzerren? Dass wir wirklich den Menschen Zeit geben für Familie. Und dann wieder Zeiten, wo sie wieder einsteigen können. Das muss über ein ganzes Leben möglich sein, sozusagen verschiedene Anforderungen immer wieder an- und auszuknipsen. Stichwort: späte Karrieren. Warum müssen wir Karriere machen zwischen 30 und 40? Warum können wir uns in der Zeit nicht um kleine Kinder kümmern und mit 45 noch mal einsteigen? Das wäre sozusagen einer der wenigen Auswege aus der Alles –ist-möglich-Lüge".
Ein Vorschlag, der unser derzeitiges Lebens- und Arbeitsmodell in Frage stellt. Und den nicht jeder gern hört.
Britta Sembach: "Wir sind vielleicht schon so ein bisschen Spaßverderberinnen. Es gibt Frauen in unserem Umfeld, die sich in ihrem Lebensentwurf total angegriffen fühlen, was überhaupt nicht unsere Absicht war, die das Gefühl hatten, sie müssten ihr Lebensmodell verteidigen gegen unsere Thesen."
Jetzt sind die Männer am Zug
Dabei sind Sembach und Garsoffky weit davon entfernt, die feministischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte zu unterwandern. Es geht eher darum, sie weiterzuentwickeln. Kind und Karriere auch ohne Burn-out – und zwar nicht nur für die Powerfrauen, sondern für alle – das ist ihre simple Forderung. Doch die auszusprechen scheint noch lange keine Selbstverständlichkeit.
Britta Sembach: "Endlich sagt es mal jemand, endlich hat mal jemand den Mut – das Wort Mut fällt ganz oft, dabei finde ich das eigentlich gar nicht mutig, sondern selbstverständlich – wie mutig, dass ihr das sagt, es stimmt, ich hätte es aber niemals gesagt, nicht einmal meiner besten Freundin."
Das Buch ist also erst der Anfang. Britta Sembach und ihre Mitstreiterinnen werden wohl noch weiter nerven müssen, damit "Alles ist möglich" irgendwann aufhört, eine Lüge zu sein:
"Wir müssen weiter Störenfriedinnen sein und viele Störenfriede gewinnen. Denn diese Frage wird letztendlich auch von den Männern entschieden. Die Frauen haben ihre Hausaufgaben gemacht. Die sind bereit, die haben auch schon alles Mögliche übernommen, und jetzt ist es an den Männern, das zu vollenden."