Gesetz zur gewaltfreien Erziehung

Nach 25 Jahren: Ohrfeige & Co noch nicht verbannt

Illustration: Auf einer Tafel sind Strichmännchen zu sehen. Eines ist größer und könnte ein Elternteil sein. Es wirkt wütend. Die anderen könnten Kinder sein, eines weint.
Konflikt zwischen Eltern und Kindern: Körperliche oder psychische Gewalt einzusetzen, ist Eltern in Deutschland seit einem Vierteljahrhundert gesetzlich verboten. © Getty Images / Gama5
“Der kleine Klaps” oder “wenn die Hand ausrutscht”: Laut Umfragen sehen das viele hierzulande gestressten Eltern nach. Dabei ist seit 25 Jahren Gewalt in der Erziehung verboten. Wie steht es um die gewaltfreie Erziehung? Und: Welche Hilfen gibt es?
Am 6. Juli 2000 beschloss der Bundestag mit rot-grüner Mehrheit das "Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung". Vorher wurden Kinder mit Teppichklopfern “gezüchtigt”, bekamen eine „Tracht Prügel“ oder wurden “windelweich” geschlagen. Doch auch heute noch rechtfertigen in Umfragen viele in Deutschland körperliche Strafen.
Für Eltern ist es nach wie vor ein Thema, wie sie ihre Kinder ohne (auch verbale) Gewalt erziehen können. Dafür gibt es eine große Vielfalt an Unterstützungsangeboten. Was braucht es noch, damit Kinder ohne Gewalt aufwachsen können?

Was hat sich seit Inkrafttreten des Gesetzes verändert?

Seit dem 8. November 2000 ist das "Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung" in Kraft. Seitdem steht in Paragraf 1631 des Bürgerlichen Gesetzbuchs:

„Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“

aus: Bürgerliches Gesetzbuch, Paragraf 1631

Zuvor steht bis 1958 im Bürgerlichen Gesetzbuch: "Der Vater kann Kraft des Erziehungsrechts angemessene Zuchtmittel gegen das Kind anwenden". Erst ab 1980 heißt es im „Züchtigungs-Paragraf“, dass zumindest "entwürdige Erziehungsmaßnahmen unzulässig" sind. Sogar erst 1998 werden körperliche und seelische Misshandlungen für unzulässig erklärt.
In der Zeit, als die Gewaltfreiheit ins Gesetz kommt, berichten laut Untersuchungen etwa vier von fünf Kindern, dass sie körperliche oder psychische Gewalt erlitten hatten.
Heute sind körperliche Strafen wie Schlagen oder Prügeln seltener als noch in den 1980er- oder 90er- Jahren – ganz zu schweigen von der Nachkriegszeit mit ihrer "Schwarzen Pädagogik", also Erziehungsmethoden, die etwa mit Gewalt oder Demütigungen verbunden sind. Laut einer einer im April 2025 veröffentlichten Befragung der Uniklinik Ulm lehnen rund zwei Drittel der Befragten körperliche Strafen ab. Doch eine Erziehung ohne Schläge – wie auch gesetzlich vorgeschrieben – ist offenbar auch 2025 noch längst keine Selbstverständlichkeit.
So halten 30,9 Prozent der Befragten einen Klaps auf den Hintern für vertretbar (2005: rund drei Viertel), 14,5 Prozent eine leichte Ohrfeige (2005: knapp 54 Prozent). Der Aussage "Eine Tracht Prügel hat noch keinem Kind geschadet" stimmten noch fünf Prozent der Befragten zu.
Die Kriminalstatistik führt für das Jahr 2024 in Deutschland rund 3.610 Kindesmisshandlungen auf – rund fünf Prozent mehr als im Vorjahr und der höchste Stand seit 2020. Vor zehn Jahren, 2014, waren es etwas mehr Fälle als 2024.
Grafik: Anzahl der polizeilich erfassten Kindesmisshandlungen in Deutschland von 2014 bis 2024, inklusive Tatversuche
Die Zahl der polizeilich erfassten Kindesmisshandlungen in Deutschland bewegte sich in den Jahren von 2014 und 2024 zwischen rund 3.400 und 3.800.© Bundeskriminalamt / Statista 2025
Fälle sexueller Gewalt gegen Kinder wurden 2024 mehr als 16.000 polizeilich erfasst. Und mehr als 100 Kinder wurden getötet. Die Dunkelziffer ist in all diesen Bereichen hoch.
Doch die gesellschaftliche Sensibilität ist beim Thema Gewalt in der Erziehung gestiegen. Wird ein Kind in der Öffentlichkeit geschlagen – beispielsweise auf einem Spielplatz – nehmen das in der Regel andere Eltern nicht einfach hin.
Schwieriger ist das bei psychischer Gewalt - wenn etwa Eltern ihre Kinder permanent herabsetzen oder als Ursache jeglichen Übels wahrnehmen. Dabei kann das für Kinder langfristige psychische Folgen haben, so der Ulmer Mediziner Jörg Fegert, der die aktuelle Befragung verantwortete. Auch Jugendämter und Gerichte täten sich schwer, diese Form von Kindeswohlgefährdung anzusprechen und angemessenen Schutz für die betroffenen Kinder herzustellen, so der Wissenschaftler.

Auch deshalb sind Experten dafür, den Begriff der gewaltfreien Erziehung gesetzlich weiter zu präzisieren. Neben physischer und psychischer Gewalt gehöre zu einem solchen erweiterten Begriff auch eine Vernachlässigung von Fürsorgepflichten. Denn, so betonten sie, die Geschichte der gewaltfreien Erziehung in Deutschland zeige, wie gesetzliche Maßnahmen zu nachhaltiger positiver gesellschaftlicher Veränderung führten.

Welche Hilfen gibt es für gestresste Eltern?

Eltern in ihrer Erziehungskompetenz stärken und ihnen Wege zur gewaltfreien Konfliktlösung aufzeigen – daran arbeiten zahlreiche staatliche wie private Träger. Sie bieten Bildungs- und Beratungsangebote zu Erziehungsfragen an, auch zur Prävention.
Personen mit einem Sorgerecht für Kinder und Jugendliche haben ein gesetzlich verankertes Recht auf Hilfen zur Erziehung. Diese bietet etwa das Jugendamt – auf freiwilliger Basis. Ausnahme: bei akuter Kindeswohlgefährdung.
Bei Problemen mit den eigenen Kindern unterstützen auch Erziehungs- und Familienberatungsstellen – beispielsweise mit Gesprächen oder Kursen. Genauso helfen Organisationen wie der Kinderschutzbund, der in allen Bundesländern vertreten ist und einen Elternkurs anbietet.
Gestresste Eltern können sich etwa auch in Selbsthilfegruppen Hilfe holen.

Was bringen Anti-Gewalt-Trainings?

Eine Möglichkeit für Eltern, sich bei Problemen mit Gewalt in der Erziehung Hilfe zu holen, sind Anti-Gewalt-Trainings, auch als Anti-Aggressions-Training (ATT) bekannt. Zu den Inhalten des Trainings zählen: Kommunikationsmuster, Rollenbilder, Stressbewältigung und die Erarbeitung von Handlungsalternativen. Auch eigene Gewalterfahrungen sind Thema – womöglich wurde den Teilnehmenden Gewalt schon von den eigenen Eltern vorgelebt.
Teilweise werden die Anti-Aggressions-Trainings öffentlich gefördert. In einigen Fällen können Kosten für das AAT auch von anderen Stellen übernommen werden, zum Beispiel von Jugendämtern.

Was könnte Gewalt in der Erziehung weiter reduzieren?

Gesetze allein reichten nicht aus, um Gewalt einzudämmen – darauf wies vor ein paar Jahren Dirk Enzmann, Psychologe und Kriminologe, hin. Man brauche parallel dauerhafte Informationskampagnen für Eltern beispielsweise mit alternativen Strategien für den Umgang mit Konflikten und Ärger.
Andere setzen auf weitergehende gesetzliche Regelungen: So fordern Teile der Politik und Organisationen wie der Kinderschutzbund bereits seit Jahrzehnten, die Kinderrechte aus der UN-Kinderrechtskonvention ins Grundgesetz aufzunehmen. Damit stünde das das Kindeswohl sehr viel mehr im Vordergrund als jetzt, so die Argumentation.
Wissenschaftler sind sich allerdings uneins, ob es den gewünschten Effekt hätte, Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen. Im aktuellen schwarz-roten Koalitionsvertrag taucht die Forderung nicht mehr auf.

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abr
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