Geschlechtergerechtigkeit

Sind Frauen die Verliererinnen der Pandemie?

08:10 Minuten
Grafische Darstellung: Eine Familie läuf mit Einkäufen eine Straße entlang.
Ob vor oder während Corona – Mütter übernehmen hauptsächlich die Kinderbetreuung in Familien. © imago images/fStop Images/Malte Mueller
Von Kai Adler · 21.02.2022
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Schon zu Beginn der Pandemie erklärte die Soziologin Jutta Allmendinger mit einer Aussage für Aufsehen: Corona habe in Sachen Gleichberechtigung für einen heftigen Rollback gesorgt. Aber stimmt das überhaupt?
„Da ist auf der einen Seite eine Bewertung auch von Jutta Allmendinger, dass wir uns zurückbewegen, gesellschaftlich. Da gibt es gute Argumente dafür“, sagt der Bonner Journalist und Autor Sascha Verlan und kann dabei auf zahlreiche Umfragen verweisen.
Jene Corona-Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung etwa. Sie kommt zu dem Schluss, dass vor allem Frauen während der Pandemie für die Familie beruflich zurücksteckten.  
„Auf der anderen Seite gibt es tatsächlich eine Reihe von Studien, die zeigen, dass Männer, vor allem Väter, sich mehr eingebracht haben. Das ist natürlich immer diese Schwierigkeit, das Prozentuale. Wenn ein Vater vorher nichts gemacht hat und sich jetzt eine halbe Stunde kümmert, dann ist der Anstieg natürlich exorbitant. Das heißt, da muss man genau hingucken, was heißt das tatsächlich, in Zeit? Und man muss eben auch sehen, dass Männer wie Frauen, Väter wie Mütter, sich noch stärker durch Homeschooling etc. in der Familienarbeit engagieren mussten.“
Sascha Verlan arbeitet zusammen mit seiner Partnerin Almut Schnerring zu Geschlechterrollen und Stereotypen. „Equal Care“ heißt eines ihrer Bücher sowie eine gleichnamige Initiative. Mit ihr engagieren sich beide dafür, dass Care Arbeit – von Kinderbetreuung über Hausarbeit bis hin zu Krankenpflege – verstärkt von Männern mit übernommen wird.

Wer verbringt mehr Zeit mit den Kindern?

Dass sich daran positiv etwas verändert habe, davon spricht die aktuelle Zeitverwendungsstudie des Statistischen Bundesamtes: 2,6 Stunden täglich hätten Väter durch Corona zusätzlich mit ihren Kindern verbracht. In der gleichen Studie heißt es aber auch: Aufseiten der Mütter sind 2,8 Stunden hinzugekommen.
2,8 Stunden, die Frauen nicht insgesamt, sondern zusätzlich mit Kinderbetreuung verbrachten. Zahlen sagen wenig aus, ist Sascha Verlan überzeugt und schaut lieber auf die konkreten Menschen und Familiensituationen. 
„Wenn heute die Pandemie käme, mit dem Wissen von jetzt, wären wir das ganz anders angegangen“, sagt der 44-jährige IT-Fachmann Heiko Grief. Seine Frau Neval nickt zustimmend. Als die Pandemie beginnt, sind ihre beiden Kinder drei und fünf Jahre alt. Neval hat nach der Elternzeit gerade wieder zu arbeiten begonnen. Sie ist Erzieherin und gilt damit als systemrelevant. Heiko geht ins Homeoffice und ist auf einmal derjenige, der die Kinder betreuen muss.
„Dann steht man vor seinen eigenen Kindern und weiß gar nicht, was man machen soll. Was für ein Bedürfnis haben die jetzt? Was wollen die spielen?“
Vor der Pandemie sei er ein "typischer" Vater gewesen, meint Heiko: Er habe viel gearbeitet und sich aus der Erziehungsarbeit rausgehalten. Corona wird für das Paar zum Stresstest. In der Not wendet sich der IT-Fachmann an die „Väter in Köln“, eine Gruppe Männer, initiiert von dem Filmemacher und Vätercoach Jürgen Kura. Hier findet Heiko Austausch und Unterstützung – in Zeiten von Corona natürlich online.
„Abends, wo die Kinder schon im Bett waren, man war in seinem Zimmer und hat sich unterhalten, das hatte was wie das Treffen der anonymen Väter. Aber tatsächlich hat das was geholfen. Man hat viele Tipps bekommen.“

„Und Verständnis“, ergänzt Neval.
„Ja und Verständnis. Wenn Empathie fehlt in manchen Momenten, wenn der Sohn austickt, weint. Warum macht der das? Das hat mir bei meinem Vätersein sehr geholfen, mit der Situation klarzukommen, mich aktiv mit meinen Kindern zu beschäftigen. Im Nachhinein muss ich sagen, das war super. Ich habe dadurch auch eine Bindung zu meinen Kindern bekommen und bin auch ein aktiver Vater.“

Der Wunsch nach Väterurlaub

Frühkindlicher Bindungsaufbau sei entscheidend dafür, dass sich gesellschaftlich etwas verändere, meint der Sozialwissenschaftler Hans-Georg Nelles. Er leitet die "Landesarbeitsgemeinschaft Väterarbeit" in Düsseldorf und engagiert sich seit fast zwei Jahrzehnten für eine stärkere Präsenz von Vätern in Familien.
Nelles setzt Hoffnung in die von der Regierung gerade beschlossene Einführung von zwei voll bezahlten Wochen Väterurlaub unmittelbar nach der Geburt. Es hänge viel davon ab, sagt der Väteraktivist und zitiert eine Studie, die Unternehmen befragte:
„Was sind die Faktoren, dass Frauen in Führung kommen? Und eine der Fragen war wohl, gibt es in ihrer Firma das Angebot, dass Väter freigestellt werden unmittelbar nach der Geburt? Ein oder zwei Wochen. Und zur Überraschung der Studienautorinnen ist dann rausgekommen, dass das einer der Faktoren war, die das Thema Frauen in Führung beeinflussen. Das heißt, von Anfang an eine Zuschreibung – auch Väter tragen Verantwortung, sind von Anfang an dabei – war eben auch ein deutliches Signal an Frauen, dass sie auch in Führung gewollt sind.“

Es braucht eine neue Unternehmenskultur

Der Kölner Werbefachmann David legt mit seiner Frau Julia großen Wert auf ein gleichberechtigtes Miteinander. Seine Frau ist Juristin in leitender Position. 2019 bleibt ihr Mann ein ganzes Jahr lang zu Hause und betreut die Kinder. Dann, als beide wieder voll im Beruf sind, beginnt der Lockdown; und stellt das Paar vor besondere Herausforderungen.
Die beiden Kinder sind da gerade zwei und vier Jahre alt. Um Kinderbetreuung, Job und Hausarbeit irgendwie unter einen Hut zu bekommen, organisieren sich die beiden im heimischen Schichtdienst. Sie gehören zu den Paaren, die in den Videos "Corona#Changes#Families" des Kölner Filmemachers Jürgen Kura zu Wort kommen.
„Wir arbeiten beide 40 Stunden und mehr. Wenn wir an drei Tagen zehn Stunden arbeiten“, erzählt David. „Oder zwölf“, ergänzt Julia. „Ja, dann fehlen noch Stunden. Die haben wir dann mit den Kindern zusammen verbracht. Ja, und dann hat man halt noch den Haushalt, den man führen muss, man hat Freizeitaktivitäten, die sind weggefallen. Aber trotzdem, es muss eingekauft, es muss geputzt werden, irgendwas zu essen gemacht werden. Das verdichtet sich dann auf eine ganz kurze Zeit, die man dafür hat.“

„Oder nicht hat“, sagt Julia.
Es braucht eine neue Unternehmenskultur, damit sich für Väter wie Mütter, für Frauen wie Männer langfristig etwas verändert, sagt Julia. Davon ist auch der Hamburger Unternehmensberater Volker Baisch überzeugt. Damit dies geschieht, arbeitet er mit seiner Beratungsfirma „Väter GmbH“ an der Schnittstelle zwischen Arbeitnehmenden und Unternehmen.
„Wir entwickeln mit den Unternehmen zusammen ein Netzwerk von Vätern, die das selbst in die Hand nehmen. Die Verantwortung auch dahingehend übernehmen, zu gucken, wie könnte unser Unternehmen auch familienfreundlicher werden, sodass sie auch in Elternzeit gehen, dass sie auch in Teilzeit gehen können, dass sie aber auch flexible Arbeitszeiten arrangieren. Und da begleiten wir diese Netzwerke sehr intensiv, sodass sie auch die Möglichkeit haben, bestimmte Maßnahmen im Unternehmen umzusetzen.“
Gerade junge Arbeitnehmende legten Wert darauf, dass Familie und Job gut miteinander zu vereinbaren seien, weiß Volker Baisch. Und sieht in Corona eine Chance:

„Es ist wirklich so, dass viele Unternehmen auch sensibilisiert worden sind durch Corona für die Zielgruppe der Väter.“

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