"Impfung" gegen Desinformation

Wie man Fake News vorbeugen kann

Von zwei Seiten zeichnen zwei unterschiedliche Hände eine Sprechblase.
Aufklärung muss schneller werden und einsetzen, bevor sich Weltbilder endgültig verfestigt haben, fordert Bernhard Pörksen. © imago images/Science Photo Library/Gary Waters
Überlegungen von Bernhard Pörksen · 27.07.2022
Bereits verbreitete Fake News wieder aus der Welt zu schaffen, ist ungeheuer mühsam. Doch den publizistischen Startvorteil der Lügen im Netz könne man zunichtemachen, sagt der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen – und zwar mit einer Art "Impfung".
Seit ein paar Jahren geht mir ein Bild nicht mehr aus dem Kopf, eine Metapher, die die Journalistin Ana Marie Cox mal erfunden hat, als sie noch in der Ära von Donald Trump über die Faktenchecker der „Washington Post“ nachdachte.
Was tun diese armen, sich redlich abstrampelnden Faktenchecker eigentlich, so ihre Frage, wenn skrupellose Idioten fortwährend neuen Informationsmüll produzieren? Faktenchecking, so ihre These, sei ein bisschen so, als würde man in einem brennenden Haus sitzen, um dann mit großer Hingabe den tropfenden Wasserhahn zu reparieren.
In diesem Bild, eben deshalb lässt es mich nicht los, wird der publizistische Startvorteil von Lügnerinnen und Lügnern unter den aktuellen Medien- und Kommunikationsbedingungen sichtbar. Fakes sind schnell, Wahrheiten langsam. Und die Korrektur ist oft auch einfach deshalb chancenlos, weil sie viel zu spät kommt. Nur: Wie dagegenhalten?

Möglichst früh und konkret warnen

Die Antwort: Aufklärung muss schneller werden, viel schneller. Sie muss einsetzen, bevor sich Weltbilder endgültig verfestigt und sich Fake-Behauptungen global verbreitet haben. Also erneut: Was tun? Gegenwärtig wird im Feld der Desinformationsbekämpfung eine bereits ältere wissenschaftliche Theorie neu entdeckt, dies mit ziemlich vielversprechenden Ergebnissen.
Die Rede ist von der sogenannten Inokulationstheorie, die der Sozialpsychologie der 1960er-Jahre entstammt. Inokulation heißt Impfung. Die Grundidee besagt, dass man Menschen gegen Desinformation gleichsam impfen kann – und zwar auf zweifache Weise: zum einen durch die möglichst frühe, möglichst konkrete Warnung vor gerade erst aufkommenden Falschbehauptungen, zum anderen durch die Entlarvung der allgemeinen Manipulationstechniken.
Desinformationsimpfung, so zeigen aktuelle Studien, funktioniert tatsächlich ziemlich gut, beispielsweise auch durch Computerspiele, die auf leichte Weise für Techniken der Agitation sensibilisieren.
Aber die Idee, die sich in dem Konzept der Desinformationsimpfung verbirgt, reicht noch weiter. Denn eigentlich wird hier eine neuartige Form von Aufklärung sichtbar, die nicht mehr allein auf das sogenannte „debunking“ (also die nachträgliche, bloß reaktive Korrektur) setzt, sondern die ein vorausschauendes „prebunking“ betreibt (also auf die präventive Entlarvung der Falschinformation zielt). Wie soll das gehen?

Demagogen sind berechenbar

Demagogen und Ideologen haben eine offene Flanke, dies ist die Berechenbarkeit ihres Denkens. Ideologie ist, so könnte man sagen, ein anderes Wort für einen leicht zu entziffernden Schematismus der Weltwahrnehmung, der sich prognostisch nutzen ließe.
Man müsste also auf dem Weg zu einer tatsächlich präventiven Desinformationsbekämpfung, so die Idee, gerade erst entstehende Agitationsmuster sehr viel systematischer studieren, neue Propagandawellen antizipieren, um dann deutlich schneller und entschiedener zu reagieren.

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Genau das geschieht derzeit im Informationskrieg der Gegenwart. Mitunter täglich werden Ukrainerinnen und Ukrainer aktuell vor aufkommenden russischen Propaganda-Narrativen gewarnt.
Und mal ganz konkret: Wenige Tage nach Kriegsbeginn wurde auf einer gehackten ukrainischen Nachrichtenwebsite ein sogenanntes Deepfake-Video publiziert. Angeblich erklärte in diesem Video Präsident Selenskyj die Kapitulation, aber die Fälschung konnte nicht verfangen. Denn die Bevölkerung war gewarnt.
Man wusste, dass es ein solcher Manipulationsversuch kommen könnte. Es gab also einen „geistigen Rahmen“, ein Interpretationsschema, um das Video sehr rasch einzuordnen. Und auch Selenskyj reagierte blitzschnell – und machte klar: Alles Fake!

Geschwindigkeit der Gegenwehr ist entscheidend

Hier zeigt sich: Die Geschwindigkeit der Gegenwehr ist entscheidend. Sonst wird diese Gegenwehr zur sinnlosen, hoffnungslos ermüdenden Sisyphusarbeit. Und man fuhrwerkt auch dann noch an einem tropfenden Wasserhahn herum, wenn das Gebäude längst in Flammen steht.
Kurz und knapp: Die Aufklärung der Zukunft wird schneller sein – oder sie wird nicht sein.

Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Letzte Buchveröffentlichungen: „Die Kunst des Miteinander-Redens“ (gemeinsam mit dem Kommunikationspsychologen Friedemann Schulz von Thun) sowie „Digital Fever. Taming the Big Business of Disinformation“ (Palgrave MacMillan).

Bernhard Pörksen
© Bild: Peter-Andreas Hassiepen
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