Faith-Ringgold-Retrospektive in New York

Späte Würdigung einer Pionierin

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Auf dem Boden liegende, verwundete weiße und schwarze Männer, fliehende Frauen mit Blut verschmierten Gesichtern, ein Revolver irgendwo.
Die Ausstellung „Faith Ringgold: American People“ vereint über fünfzig Jahre künstlerisches Schaffen. Im Bild zu sehen ist ihr Werk "American People Series #20: Die" aus dem Jahr 1967. © AFP / Josep Lago
Von Andreas Robertz · 20.02.2022
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Seit Jahrzehnten zählt die heute 91-jährige Faith Ringgold zu den wichtigsten schwarzen Künstlerinnen der USA. Nun widmet ihr das New Museum in New York ihre erste eigene Retrospektive – eine absolut sehenswerte Ausstellung.
„Ich werde mich immer daran erinnern, wie die Sterne um mich herum herunterfielen und mich über die George-Washington-Brücke hoben.“ So beginnt einer der schönsten Kinderbuchklassiker der USA: Faith Ringgolds "Tar Beach“ ("Teerstrand"). Gemeint ist ein geteertes Dach im Harlem der 1930er-Jahre, auf dem Familie und Nachbarn der kleinen Cassie im Sommer die Abende verbringen.
In dem 1991 veröffentlichten Buch lernt Cassie mit Hilfe der Sterne zu fliegen. Man brauche nur ein Ziel, das man ansonsten nicht erreichen könne, um fliegen zu können, verrät sie dem Leser am Schluss.
Das Buch spiegelt Faith Ringgolds eigene Lebensgeschichte wider, denn sie musste ihr Leben lang „fliegen lernen“, um als schwarze Künstlerin in der von weißen Männern dominierten Kunstwelt zu überleben.

Politische Botschaften auf Steppdecken

Auch deswegen entschied sie sich, nicht nur auf großen sperrigen Leinwänden zu malen, sondern vor allem auf „Quilts“, also Steppdecken, die aus Reststücken zusammengenäht wurden. Ringgold nahm diese Tradition auf und bemalte sie, erst mit Öl, dann später mit Acryl. Für Kurator Massimiliano Gioni ein pragmatischer und zugleich politischer Schritt:
„Sie wollte nicht auf ihren Mann warten, bis er nach Hause kommt, um die schweren Bilder zu bewegen. Sie konnte sie auch nicht in einem Taxi transportieren. Die Stoffe lösten dieses Problem für sie. Es war praktisch, persönlich und politisch, weil der häusliche Raum als Raum der Frau definiert wird. Mit dieser Idee fand sie Unabhängigkeit in ihrer Kunst.“

Die Retrospektive „Faith Ringgold: American People“ ist bis zum 6. Mai 2022 im New Museum in New York zu sehen.

Später fügte Ringgold Texte in ihre Quilts ein, die wie Seiten einer überdimensionale Graphic Novel aussehen. Damit schaffte sie den Durchbruch als Künstlerin.
Ein gutes Beispiel dafür ist ihre Reihe „French Collection“: zwölf großformatige Quilts, die in Bild und Wort die fiktive Geschichte einer jungen schwarzen Mutter erzählen. Diese reist mit ihrer Tochter ins Paris der 1920er-Jahre und konfrontiert dort die weiße männliche Kunstwelt mit ihrer Ignoranz und ihrer kolonialen Begeisterung für das geheimnisvolle Afrika: als Modell für Picasso oder mit ihrer ganzen Familie zu Gast bei Gertrude Stein.

Das ist das erste Mal seit 25 Jahren, dass die ‚French Collection’ wieder vollständig zu sehen ist. Glücklicherweise befindet sich Amerika gerade in einer Phase des kritischen Hinterfragens und des In-sich Gehens. Ringgold erfährt nun die Anerkennung, die sie verdient. Aber sie wirkt hier schon so lange.“ 

Massimiliano Gioni, Kurator

Politik und Kunst sind in Ringgolds Arbeiten nicht zu trennen. Ob sie mit ihren Bildern den Rassismus der weißen Bevölkerung während der Bürgerrechtsbewegung bloßstellt, mit ihren abstrakten Grafiken die Black-Panther-Bewegung unterstützt oder mit Performances als Feministin gegen die männliche Vorherrschaft in den Museen demonstriert.

Als schwarze Frau doppelt diskriminiert

Eines ihrer bekanntesten Bilder heißt „The Flag is Bleeding“ von 1967. Hinter den roten Balken der amerikanischen Flagge, aus denen Blut tropft, stehen ein schwarzer und ein weißer Mann, zwischen ihnen hat sich eine weiße Frau eingehakt.
"Als die Türen sich endlich zu öffnen begannen, erkannte Ringgold, dass sie das nur für schwarze Männer taten", erklärt Gioni. "Sie sagte: ‚Ich habe protestiert und dann lassen sie nur die Männer rein.’ In dem Moment hat sie sich bewusst dafür entschieden, Feministin zu werden, weil ihr niemand helfen werde und sie als schwarze Frau doppelt diskriminiert würde."

Absolut sehenswert

In Fotografien, Briefen und Pamphleten zeigt die Ausstellung, wie Ringgold in den 70er-Jahren wochenlang einen Protestzug gegen den Ausschluss von Künstlerinnen aus Ausstellungen im Whitney Museum und MoMA anführte. Da sei es fast ironisch, meint Kurator Massimiliano Gioni, dass das MoMA zwar Ringgolds Bild nun so prominent ausgestellt, aber noch immer keine Retrospektive ihrer Arbeit organisiert habe.
Die Gemälde "Les Demoiselles d'Avignon" von Pablo Picasso (l) und "American People Series #20: Die" von Faith Ringgold hängen in einem Raum im Museum of Modern Art in New York.
Bei der Wiedereröffnung des New Yorker MoMA im Jahr 2019 hing neben Picassos Gemälde „Les Demoiselles d’Avignon” nicht ein weiterer Picasso oder ein Matisse, sondern Faith Ringgolds „American People Series #20: Die.“ Ein Bruch mit bisherigen Sehgewohnheiten.© picture alliance/dpa | Christina Horsten
„Viele Dinge sind in diesem Land so falsch gelaufen und wir sind alle so lange schon mitschuldig. Das kann man nicht ohne Peinlichkeiten wiedergutmachen, Das liegt in der Natur der Sache. Aber es braucht mehr als ein Bild in einem Raum, um es richtigzustellen. Ich bin sehr stolz, dass sie hier ist. Aber ich bin auch ein bisschen traurig, dass sie immer noch hier ist, denn sie könnte längst in all diesen großen Museen sein.“
Faith Ringgold: American People“ ist eine bemerkenswerte Ausstellung über eine Frau, die nie aufgehört hat, für ihr Recht zu kämpfen, als schwarze Künstlerin in Amerika wahrgenommen zu werden. Sie hat wichtige Fragen der aktuellen Kunstdebatte visionär vorweggenommen und damit Generationen von Künstlerinnen und Künstlern den Weg bereitet: absolut sehenswert.

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