Fahrbahnen zu Radwegen

Unterwegs mit den Spurmachern

06:08 Minuten
Ein neuer Fahrradweg am Kottbusser Damm in Berlin-Kreuzberg: Auf einem gelben Piktogramm ist ein Fahrrad abgebildet.
Corona macht es möglich: neuer Fahrradweg am Kottbusser Damm in Berlin-Kreuzberg. © Deutschlandradio / Ernst-Ludwig von Aster
Von Ernst-Ludwig von Aster · 30.04.2020
Audio herunterladen
Die Coronakrise beschleunigt die Verkehrswende in Berlin: Mit dem Argument, virusbedingt für mehr Abstand sorgen zu müssen, werden auf Straßen neue Fahrradstreifen ausgewiesen. Wenig überraschend: Die Fahrradfahrer sind begeistert, Autofahrer nicht.
Alex zieht sich mit der einen Hand das Palästinensertuch vor den Mund, schüttelt mit der anderen die Spraydose, beugt sich nach vorne, sprüht quietschgelbe Farbe auf die Straße.
Eine Radfahrerin bleibt stehen. Guckt neugierig. Alex blickt kurz auf:
"Supercool, vielen Dank."
"Aber Sie fahren auf der falschen Seite."
"Nee, wir wohnen hier, wir müssen hier rein."
"Das Bild ist doch falsch rum", sagt sie dann noch. Und zeigt auf ein großes, gelbes Fahrradpiktogramm. Alex schüttelt den Kopf.
"Dieses Symbol ist für die abbiegenden Fahrzeuge, nachdenken ..."
"Hilft aber auch nicht, wenn ich nachdenke."
"Da haben Sie auch wieder recht."

Begehrtes Fotomotiv der Lokalpresse

Alex sprüht weiter. Gelber Farbnebel legt sich über seine Arbeitsschuhe, hier am Kottbusser Damm in Kreuzberg. Wo vorher drei Fahrspuren pro Richtung für Pkw reserviert waren.
"Ich habe fröhlich die Titelseiten gefüllt, wie ich Piktogramme gesprayt habe, wir haben jetzt die komplette letzte Woche die Radwege gemacht."
Alex grinst. Er ist hier der Spurmacher. Für die Fahrradfahrer. Und ein begehrtes Fotomotiv. Für die Lokalpresse. "Fahrradspuren gegen Corona" – zuerst in Bogota, dann in Berlin. Eine kolumbianisch-deutsche Verkehrs-Therapie. Gegen das Virus.
"Spurmacher" malen auf eine Straße in Berlin einen neuen Fahrradstreifen.
"Spurmacher" sind in Berlin unterwegs: Wegen Corona bekommen die Straßen der Hauptstadt derzeit im Rekordtempo neue Fahrradstreifen.© Deutschlandradio / Ernst-Ludwig von Aster
"Die Notwendigkeit für die schnelle Anordnung von Radfahrstreifen ergibt sich aus der Pandemiesituation", heißt es in einer Begründung des Bezirks für den Spurwechsel. Da die existierende Radinfrastruktur nicht geeignet sei, Abstandsvorschriften zu befolgen, müsse mehr Platz geschaffen werden, um die Gesundheit zu schützen. Und so werden geschützte Radwege plötzlich in drei bis zehn Tagen eingerichtet, das dauert sonst oft Jahre. Und: Die meisten von ihnen dürften wohl auf Dauer bleiben.
"Einige, die heulen halt rum, weil sie hier nirgendwo mehr mit den Autos stehen können, zum Be- und Entladen gibt es allerdings die Be- und Entladezonen."
Auch die haben sie mit gelber Markierungsfolie auf die Straße gebracht. Rechteckige Kästen mit Platz für drei Kleintransporter. Oder einen Lkw.
"Jeder, der hier ein Geschäft hat, kann an sich weiter sein Fahrzeug be- und entladen. Und Ware für sein Geschäft empfangen. Das einzige, was nicht mehr gemacht werden darf, ist parken."
Dafür aber Fahrradfahren. Seit einer Woche schaffen Alex und seine Kollegen kilometerweise neue Fahrradspuren. Immer dort, wo vorher Autos auf der Fahrbahn parkten. "Pop-up-Bikelanes" nennt der Bezirk die neuen Radspuren. Da der Corona-Lockup den Pkw-Verkehr reduziert, kommen die Spur-Arbeiter noch schneller voran.
"Wenn da ein Haufen Autos steht und man erst abschleppen muss, dann dauert das Stunden. Wenn du freie Bahn hast und einfach lang runter machst ohne Lücken, dann geht das eigentlich relativ schnell."

Der Lieferwagen-Fahrer flucht

Hundert Meter weiter rangiert ein Kleintransporter in die neue, gelbumrahmte Haltebucht. Parkt direkt vor einem großen türkischen Supermarkt. Kopfschüttelnd steigt der Fahrer aus.
"Ehrlich gesagt: blöd. Ist echt Scheiße, hier sind viele Geschäfte, wir haben sowieso Schwierigkeiten, einen Parkplatz zu finden. Gerade jetzt beim Einkaufen, wo sollen wir hin?"
Gut 200 Parkplätze sind allein am Kottbusser Damm weggefallen, schätzt er. Viele Pkw irren nun auf Parkplatzsuche durch die Nebenstraßen. Da bleibt oft nur die zweite Reihe.
"Meine Oma habe ich jetzt extra im Auto gelassen, wegen Corona, aber normalerweise kaufen wir zusammen ein. Und ich habe auch einen Behindertenausweis. Ich finde es bescheuert."

Über den Fuß gefahren

Alex hebt die Fahrrad-Schablone von der Straße, trägt sie zum Lkw. Seine beiden Kollegen bringen gelbe Markierungsstreifen auf die Fahrbahn.
"Meistens wird man eigentlich nur beleidigt und blöd angemacht, weil die Leute das nicht verstehen. Gestern ist mir einer über den Fuß gefahren, über das Arbeitsmaterial."
"Ihr seid unsere Helden", ruft eine Radfahrerin und winkt. Die Reaktionen auf den Einsatz der Spurmacher sind klar verteilt. Beleidigte Autofahrer, besorgte Geschäftsleute, erfreute Fahrradfahrer:
"Weiter vorne, auf der linken Seite, an der Barke, haben sie ein Schild aufgehängt: 'Danke.' Mit Blumen und haste nicht gesehen. Da hängt bei uns in der Firma ein Bild von."
Zehn Minuten später sammelt Alex letzten Markierungskegel ein. Wuppt sie auf die Ladefläche des Lkw. Und zieht einen kleinen Zettel aus der Tasche:
"18.53 Uhr, siehste 285 Meter, noch mal 106 Meter, noch mal 83 Meter, noch mal 23 Meter, noch mal 80 Meter, noch mal 47 Meter, das sind Piktogramme, da sind noch mal 230 Meter, noch mal 38 Meter, noch mal 75 Meter. Das ist echt viel."
Mehr zum Thema