Fahndung mit Facebook

Von Michael Engel · 10.04.2012
Bei Mord und Totschlag fahndet die Polizei gerne über die Tageszeitungen. Nur leider werden mit dieser Strategie nur die Zeitungsleser erreicht, und das sind zumeist ältere Bürger. Um auch jüngere Zielgruppen zu erreichen, setzt die Polizeidirektion Hannover seit einem Jahr auf das soziale Netzwerk Facebook.
Die Polizei in Hannover ist schnell. Schneller als anderswo. Und das wiederum – so Stefan Wittke von der Polizeidirektion – ist ein Verdienst von Facebook:

"Das Web 2.0 Facebook ist ein sehr schnelles Medium. Wir haben Zeugenhinweise gehabt, zehn Minuten, eine halbe Stunde, eine Stunde nach dem Posting, und die haben sich dann gleich auch als Treffer heraus gestellt. So dass dann die Ermittler auch sehr schnell aktiv werden mussten in einem Tempo, das sie sonst nicht gekannt haben. Denn wie gesagt, es ist etwas anderes, als ob die Geschichte in aller Ruhe am nächsten Morgen in der Zeitung steht."

Seit dem Frühjahr 2011 fahndet die Polizeidirektion Hannover mit Hilfe des sozialen Netzwerkes. An die 100.000 Facebook-Freunde hat die Polizei mittlerweile. Darunter auch diese Userin:

"Ich mache mit, weil ich es wichtig finde, bei bestimmten Sachen helfen zu können. Zum Beispiel wenn es um Missbrauch oder um Mord geht, das sind schon sehr gravierende Fälle, und da denke ich, wenn ich in irgend einer Form helfen kann, das ist doch super."

Drei- bis fünfmal in der Woche werden Fahndungsaufrufe ins Netz gestellt. Die Facebook-Freunde erfahren davon als Erste, informieren ihrerseits dann aber weitere Freunde im Netz. Ein Schneeballeffekt. Binnen kürzester Zeit zählt die Polizei mehrere Millionen Mausklicks auf ihrer Facebook-Seite. In acht Fällen führte der "digitale Steckbrief" zum Ziel:

"Zwei dieser Fälle waren gar keine Fälle, sondern es waren vermisste Kinder. Ja, und dann hatten wir einen Autodiebstahl dabei, dann einen Fall von Landfriedensbruch, wo ein Teilnehmer einer Demonstration einen Polizeibeamten mit einer Stange angegriffen hat. Und wir hatten auch einen Fahndungserfolg im Zusammenhang mit einem Sexualdelikt, wobei hier tragischer Weise der zunächst Tatverdächtige, nachdem wir gesucht hatten bei Facebook, sich schließlich – was für ihn extrem unangenehm war – als unschuldig heraus gestellt hat. Nicht die Tatsache, dass er unschuldig war, sondern die Tatsache, dass nach ihm gefahndet worden ist."

Nicht immer ist Facebook ein Segen. Die Fahndung nach dem Tatverdächtigen, der wider Erwarten nun doch unschuldig ist, lässt sich kaum noch revidieren. Selbst dann nicht, wenn die Polizei die Info löscht. Auf dem amerikanischen Server bleiben die Daten weiterhin bestehen, denn bei Facebook geht nichts verloren, und auch die Suchmaschinenbetreiber ziehen regelmäßig Kopien, die auch dann abrufbar sind, wenn die Daten offiziell nicht mehr im Netz stehen. Für den Datenschutzbeauftragten des Landes Niedersachsen, Joachim Wallbrink, ein unhaltbarer Zustand:

"Jetzt stellen Sie sich mal vor, Sie kommen da nun irrtümlich oder auch nicht irrtümlich in so eine Geschichte hinein. Und das betrifft dann alles, was ich jetzt sage, nicht nur den potentiellen Täter, sondern auch seine Umgebung, die dann mit ins Feld gerät, seine Verwandten. Dieser arme Kerl ist vielleicht unschuldig, dann wird der sein Leben lang damit konfrontiert werden können. Du hast doch damals, da standst Du doch im Internet, da hast Du doch einen Bruch gemacht oder Du warst in einer Bande oder irgend so etwas. Das wird er nicht mehr los, weil das lebenslänglich abrufbar ist."

Nachdem sowohl der niedersächsische Datenschutzbeauftragte als auch das Justizministerium in Hannover Bedenken erhoben hatten, war die Facebook-Fahndung im Januar 2012 vorübergehend eingestellt worden. Behördliche Daten – so musste sich die Polizei belehren lassen - dürfen nun mal nicht auf einem Server im Ausland ausgelagert werden. Seit Februar nun fahndet die Polizei wieder im Netz. Auf Facebook gibt es seitdem nur noch einen Link, der zur Polizei führt. Die eigentlichen Daten bleiben auf dem Polizeiserver. Doch auch nach dieser Veränderung beurteilen Datenschützer die Fahndung in dem sozialen Netzwerk kritisch:

"Weil natürlich, was einmal im Netz war, dort immer bleibt. Entweder gibt es Fans, die das dann runterladen. Das sind dann die "Pickelhaubenfans", die sich die Polizei sozusagen "angesammelt hat". Oder, was das Effektivste – ironisch in Anführungszeichen gesagt – ist, es gibt Firmen, die alles, was im Internet ist, einmal kopieren, und nichts löschen. Das heißt also, dieser Fahndungsaufruf steht bei irgend einer Firma im Archiv, und wenn jemand wissen will, was ist dann und dann ausgeschrieben worden an Fahndung, dann kann er bei der Firma erfahren, was da ist. Ob das gelöscht wurde von der Polizei oder nicht."

Dennoch, bei aller Kritik, die Faszination für Facebook nimmt deswegen aber nicht ab. Im Gegenteil. Nach dem Willen des Innenministeriums sollen nun alle Polizeidienststellen in Niedersachsen auch digital fahnden können – koordiniert durch das Landeskriminalamt, das die entsprechenden Links bei Facebook einstellt. Die Kritik der Datenschützer lässt man im Ministerium nicht gelten. Pressesprecher Dirk Hallmann:

"Wir wollen das im Auge behalten. Das ist gar keine Frage. Aber auch selbst wenn man ein Zeitungsbild veröffentlich, kriegt man alle Zeitungen auch nicht wieder zurück. Oder eine Rundfunkfahndung, die ist auch ausgesprochen, möglicherweise digital aufgenommen und ist auch weiter vervielfältigbar. Insofern passen wir darauf auf. Da gehen wir sehr sensibel um mit dem Thema, das wird ja auch alles richterlich beschlossen, wenn so eine Fahndung rausgeht, insofern sind wir da alle sehr zuversichtlich, dass wir da alle Belange erfüllen."

Eine Erfolgsgarantie kann Facebook nicht geben. Da ist zum Beispiel der Fall des 19-Jährigen vermeintlichen Vergewaltigers, der dann doch keiner war. Die Zeitungen, die im Mai 2011 ausgiebig darüber berichteten, sind längst auf Nimmerwiedersehen recycelt, doch im Netz erscheint der ungeheuerliche Vorwurf immer noch so, als wäre es gestern passiert.


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