Die Kunst des Müßiggangs

Von Daniel Stender · 10.04.2012
Für ihn ist Arbeit eine schwere Sünde und der Wecker ein Folterinstrument: Tom Hodgkinsons Bücher tragen Titel wie "Anleitung zum Müßiggang" oder "Ratgeber für faule Eltern". Darin huldigt er der Kunst des gepflegten Nichtstuns. Doch um seine Ideen an den Mann zu bringen, arbeitet Hodgkinson schwer.
Einstecktuch, dunkler Anzug, glatt rasierte Wangen. Auf den ersten Blick enttäuscht Tom Hodgkinson – denn vom Philosophen der Faulheit, der den Müßiggang zur Tugend erhoben hat, könnte man zumindest einen Drei-Tage-Bart erwarten.

"Ich heiße Tom Hodgkinson. Ich bin der Herausgeber einer Zeitschrift mit dem Titel 'Der Müßiggänger'. Außerdem schreibe ich Bücher, gerade ist mein Buch 'Schöne alte Welt' erschienen."

Immerhin: Hodgkinson trinkt Tee.
"Tea is a very important part of the idler-philosophy."

Und: Er ist entspannt. Schließlich hat er vor dem Interviewtermin geschlafen. Denn der nap, das Nickerchen, gehört ebenso wie Tee zur Philosophie von Tom Hodgkinson.
"Für mich bedeutet Müßiggang so etwas wie Kontemplation, nachdenken, spazieren gehen, mit Freunden reden, lesen, lernen, Musik machen. Also, wenn man Arbeit als etwas definiert, was man nicht tun will, dann könnte man Müßiggang als etwas verstehen, was man tun will. Das kann auch Arbeit sein. Aber immerhin hast du es dir selbst ausgesucht."

Bei Tom Hodgkinson selbst führt das Konzept des Müßiggangs immer wieder zu sehr viel Tätigkeit, die man auch als Arbeit bezeichnen könnte.

"Jeden Tag sagt irgendjemand zu mir: 'Für einen Müßiggänger arbeitest Du aber ganz schön viel.' Und ja, ich gebe zu: Ich bin nur zur Hälfte ein Müßiggänger und die andere Hälfte von mir ist ein ehrgeiziger Medienprofi. Wenn ich ein hundertprozentiger Müßiggänger wäre, dann wäre es mir egal, ob ich Bücher schreibe oder nicht. Oscar Wilde zum Beispiel preist die Faulheit, es gibt sehr viel Literatur, die das Nichtstun feiert. Als eine Art des Widerstandes gegen das bürgerliche Leben, das System, die Industrialisierung, die Urbanisierung - wie immer man es auch nennen will."

Vor kurzem haben er und seine Frau Victoria einen Buchladen im schicken Londoner Stadtteil Notting Hill eröffnet. Und dann ist da noch das Projekt mit dem Bauernhof in Devon, wo die Familie Hodgkinson die meiste Zeit lebt und sich am einfachen Landleben versucht. Vor zehn Jahren hatte alles begonnen – als Flucht aus dem Hamsterrad eines Bürojobs.

"Wir haben drei Kinder, drei Katzen, ein Pony, zwei Hunde, ein paar Hühner. Wir haben auch Bienen. Aber in letzter Zeit ist alles sehr betriebsam geworden und ich denke darüber nach, bürgerlich und reich zu werden und einen Gärtner einzustellen. Seit zehn Jahren mache ich das alles jetzt. Und es ist wirklich schwierig. Besonders, wenn man nicht damit aufgewachsen ist, dann ist es wirklich nicht leicht, aufs Land zu ziehen und dein eigenes Gemüse anzubauen. Aber: Es ist auch sehr interessant und stimulierend."

Seine Erfahrungen mit dem Landleben hat Hodgkinson in dem Buch "Schöne alte Welt – Ein praktischer Leitfaden für das Leben auf dem Lande" beschrieben. "Schöne alte Welt" ist weniger ein Ratgeber-Buch als vielmehr ein Tagebuch, indem Hodgkinson davon berichtet, wie seine Experimente mit Bienenzucht, Bierbrauerei und Schweineschlachten verlaufen sind.

"Der Mann, der uns die Schweine verkauft hatte, kannte jemanden, der bei uns vorbeikam und sie für uns schlachtete. Also haben wir die Schweine zu Hause geschlachtet und das war ziemlich grausig. Und es war auch schwere Arbeit. Aber ich war froh, dass wir es getan hatten. Und das Fleisch war sehr zart. Allerdings war das alles total illegal. Und weil ich einen Artikel darüber geschrieben hatte, wie toll Hausschlachtung sei, stand am nächsten Tag die Gesundheitsbehörde bei uns vor der Tür. Dabei hatte dieses Schwein das beste Leben, das ein Schwein haben kann. Also, ein Schwein, das geschlachtet wird."

1968 wurde Tom Hodgkinson als Kind eines Journalistenpaares geboren. Nach dem Literaturstudium in Cambridge begann auch er in den Medien zu arbeiten; als Journalist mit einem ausgeprägten Hang zu romantischer Systemkritik, zu Selbstironie, Anarchismus und einer Verklärung des Mittelalters.

"Ich wurde sehr nostalgisch, als ich historische Bücher über das Mittelalter las. Denn die ganze Energie und der ganze Optimismus damals führte zum Beispiel auch dazu, dass Kathedralen gebaut wurden. Wir würden das heute nicht mehr tun. Wir würden keine Kathedralen mehr errichten. Das Leben damals wurde mit Leidenschaft gelebt. Vielleicht wurde mehr geweint, aber es wurde eben auch mehr gelacht damals."

Hodgkinson schmückt seine Sätze gern mit lateinischen Zitaten und historischem Fachwissen. Daheim in Devon lernen seine Kinder Latein von einem Privatlehrer. Dabei ist natürlich auch Hodgkinson bewusst, dass das Leben im Mittelalter alles andere als einfach und schön war. Und dass niemand dem Leben in der Gegenwart entkommen kann.

"Ich habe das alles so sehr gehasst: Ganz besonders Facebook. Ich habe Handys gehasst, Fernsehen, E-Mail, Computer, Autos. Alles. Aber ich hab's aufgegeben. Weil es absolut sinnlos ist. So sehr ich es auch hasse, diese Sachen verschwinden nicht einfach. Ich habe mal versucht, ohne Handy zu leben, aber irgendwann wurden meine Freunde wirklich böse auf mich. Ich habe versucht, weniger Auto zu fahren. Aber das ist einfach zu anstrengend. Ich kann das nicht mehr. Okay, ich hasse Facebook immer noch sehr. Aber ich bin nur ein einzelner Mensch. Und es gibt eine Milliarde Facebook-Nutzer."

Allerdings: Was der Vater Tom Hodgkinson für eine Bedrohung hält, ist für seine drei Kinder eine Verlockung. Besonders der älteste Sohn Arthur rebelliert gegen den Vater.

"Er ist zwölf und er will einfach nur normal sein. Er hasst das Bio-Essen, das selbst gebackene Brot, er will seine Pizzas, seinen McDonalds-Fraß, Zeug, das er in Läden kauft. Wir haben versucht Computerspiele zu verbieten. Mit dem Resultat, dass er ein Computer-Genie geworden ist. Vielleicht wird er mal dadurch rebellieren, dass er an der Börse arbeitet oder so etwas. Vielleicht will er sogar reich werden."