Fälschungen in der Wissenschaft sind "keine neue Erscheinung"

Bernhard Kegel im Gespräch mit Joachim Scholl · 14.02.2012
Der Roman "Ein tiefer Fall" des Biologen Bernhard Kegel führt in die Tiefsee, von wo aus er eine Geschichte um eine wissenschaftliche Fälschung entwickelt. Fälscher habe es schon immer gegeben, sagt der Autor. Auch Galileo und Newton hätten nach heutigen Maßstäben nicht sauber gearbeitet.
Joachim Scholl: Der deutsche Thriller lebt - er gedeiht in den Tiefen der Ozeane. Das hat Ulrich Wickert 2007 über den Bestsellerroman "Der Rote" des Berliner Autors Bernhard Kegel geschrieben, und diese Einschätzung kann auch für das neueste Buch des promovierten Biologen Kegel gelten, denn wieder führt es in die Tiefsee, von wo aus sich ein spektakuläres Drama um wissenschaftliche Fälschung entwickelt.

"Ein tiefer Fall" lautet entsprechend der Titel des Romans, der heute offiziell erscheint, und Bernhard Kegel ist jetzt bei uns im Studio. Willkommen im "Radiofeuilleton".

Bernhard Kegel: Guten Tag!

Scholl: Für Ihren letzten Roman "Der Rote" sind Sie, Herr Kegel, um die halbe Welt gereist, buchstäblich und persönlich abgetaucht im Pazifik vor Neuseeland, haben fünf Jahre die Sphäre der Tiefsee erkundet. Haben Sie dort auch den Stoff für das neue Buch gefunden und mitgebracht?

Kegel: Also das Thema treibt mich schon wesentlich länger um, aber was ich von da mitgebracht habe, ist den Helden der Geschichte. Denn in dem Roman "Der Rote" spielte ein Kieler Zoologieprofessor die Hauptrolle - der Roman spielte aber in Neuseeland. Und nun habe ich diesen Hermann Pauli wiederverwendet, diesmal spielt es aber zu Hause in Kiel.

Scholl: "Der Rote", das war ein gewaltiger Riesenkalmar damals, ein Krake, eine wissenschaftliche Sensation. Jetzt im neuen Buch, da sind die biologischen Helden, könnte man sagen, etwas kleiner - mikroskopisch klein sogar -, aber oho, aus der Perspektive des Forschers wiederum, der im Zentrum des Romans steht. Worum handelt es sich denn dieses Mal?

Kegel: Moebus, Frank Moebus, ein Forschungsstar, hat eine völlig neue Form von Leben entdeckt - Zellen, wie man sie bisher nicht kannte. Größeres kann man in der Biologie eigentlich gar nicht entdecken. Sie leben in der Tiefsee, in dem sehr isolierten Nordpolarmeer.

Die Wassermassen dort haben praktisch gar keinen Austausch mit der Umgebung, und deswegen haben die Forscher schon lange vermutet - und vermuten das in der Tat -, dass wenn man nach solchen ganz urtümlichen Zellen sucht, sie vielleicht dort zu finden wären. Diese Zellen, die Frank Moebus dort findet, ermöglichen sozusagen einen ganz neuen Blick auf die Entstehung des Lebens.

Scholl: Wir müssen jetzt gut aufpassen, Herr Kegel, dass wir nicht zu viel verraten. Es ist ja auch ein Krimi, ein Thriller. Im Kern Ihres Buches geht es um das Thema Fälschung in der Wissenschaft. Wir als Nicht-Naturwissenschaftler denken da natürlich sofort an einen gewissen Herrn von Guttenberg und seine gefälschte Doktorarbeit. Was hat Sie denn auf diese Spur gebracht?

Kegel: Also Guttenberg passierte mitten in der Arbeit an diesem Roman, und wie gesagt, ich bin an diesem Thema eigentlich schon sehr viel länger dran. Das ist ja keine neue Erscheinung, Fälschung in der Wissenschaft, sondern das hat es wahrscheinlich schon immer gegeben: Galileo, Newton, Mendel, Pasteur, die alle haben - wenn man den Wissenschaftshistorikern glaubt - nach heutigen Maßstäben nicht sauber gearbeitet.

Mendel hat seine Daten vermutlich geschönt, Galileo hat Experimente beschrieben, die er überhaupt nie durchgeführt hat, der berühmte Piltdown-Schädel, den vielleicht einige Hörer kennen, ist in England vergraben worden im frühen 20. Jahrhundert - ein Schädel, der einfach ganz primitiv aus einem Orang-Utan und einem Menschen zusammengesetzt wurde und der sozusagen als Missing Link die Evolutionstheorie untermauern sollte.

Also solche Erscheinungen gibt es schon sehr lange, ein sehr spannendes Thema, das dann allerdings mehr und mehr mich auch schockiert hat, als ich dann das Ausmaß dieses Phänomens in der heutigen Zeit, als mir das klar wurde.

Scholl: Es gibt ja eine lange Liste von prominenten lebenden Wissenschaftlern, die solcherart ihren guten und oft internationalen Ruf ruiniert haben, und man fragt sich ja sofort warum. Wieso setzen hochprofilierte, angesehene Leute also ihr ganzes Renommee aufs Spiel, indem sie schriftlich öffentlich falsche Behauptungen in die Welt setzen? Haben Sie eine Antwort drauf gefunden?

Kegel: Ich kann auch nur vermuten, Sie werden nirgendwo ein Interview oder eine Stellungnahme eines überführten Fälschers, der über seine Motive Auskunft gibt, finden. Diese Leute verschwinden dann sozusagen von der Bildfläche. Also ihre Karriere geht durchaus weiter, aber sie sind nicht mehr verfügbar. Ich vermute, dass es ganz individuelle Gründe sind. Man kann natürlich im System nach Gründen suchen - der hohe Druck, der auf den Forschern liegt, die Konkurrenz um Forschungsmittel, um Stellen, um Ruhm, um Aufmerksamkeit, aber letzten Endes landet man doch immer wieder bei der Frage: Warum tut es der eine Wissenschaftler und der andere tut es nicht, obwohl ja beide in demselben System arbeiten?

Insofern denke ich, da kommt die Psychologie ins Spiel. Ich glaube, das sind ganz bestimmte Persönlichkeiten, die zu so etwas neigen. Und da finde ich auch, dass der Roman eigentlich eine besonders gute Möglichkeit bietet, sich diesem Phänomen zu nähern, denn wenn man das als Sachbuch erzählt, ist es eine Aneinanderreihung von endlos vielen Fallbeispielen.

Scholl: Gibt es eigentlich ein Muster, so ähnliche Strukturen, wie solche Fälschungen verlaufen?

Kegel: Sehr schwer zu sagen, aber wenn man vielleicht überhaupt eine Verallgemeinerung finden kann, dann die, dass es sich oft um Erkenntnisse dreht, die quasi in der Luft liegen. Also ganz viele Forscher in der Welt arbeiten an einem Thema, und irgendeiner von Ihnen schafft dann den Durchbruch, der sozusagen auch dann nicht angezweifelt wird im ersten Moment, weil das ja einer von ihnen ist, einer, den sie kennen, ein kompetenter Mensch, und wenn der den Durchbruch schafft, dann ist es zwar schade für einen selbst, aber man kommt nicht gleich auf die Idee, dass es sich um eine Fälschung handeln könnte.

Oder eben in Nischen, in so Orchideenfächern, wo sich eigentlich kaum jemand dafür interessiert, und eine ganz kleine Schar von Menschen in der Welt, die an dem Thema so dran sind, dass sie überhaupt wahrnehmen solche Erkenntnisse.

Scholl: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Berliner Bestsellerautor und Biologen Bernhard Kegel. Heute erscheint sein neuer Roman "Ein tiefer Fall". Dass Herrn zu Guttenbergs gefälschte Doktorarbeit auffliegen konnte, das war relativ einfach damals, er hatte ja sogar aus Tageszeitungen abgeschrieben.

In der Naturwissenschaft, der Biologie, der Medizin ist das ja vermutlich schon schwieriger, da muss man wirklich Spezialist sein oder auch gerade in den Orchideenfächern, wie Sie es nennen - ist das nicht oft dann nur Zufall, dass man einem Fälscher überhaupt auf die Schliche kommt?

Kegel: Also zu Guttenberg möchte ich noch mal sagen, das kommt einem im Nachhinein vielleicht nur so vor, dass es relativ einfach war. Wenn ich mich recht erinnere, war es ein Forscher, der sich inhaltlich mit der Doktorarbeit von Guttenberg auseinandergesetzt hat, weil er sie für seine eigene Forschung brauchte, und der dann misstrauisch wurde. Wenn diese Arbeit gar nicht gelesen worden wäre von einem aktiv arbeitenden Wissenschaftler, dann wäre dieser Skandal überhaupt nie in Bewegung gekommen.

Und ja, ich glaube tatsächlich, dass es in vielen Fällen Zufall ist. Viele Arbeiten - das macht sich der Normalmensch gar nicht klar -, die in der Wissenschaft entstehen, das sind ja unglaublich viele, werden von niemandem gelesen. Sie werden überhaupt nicht beachtet, und in dieser Zone können sich natürlich sehr, sehr viele Fälschungen oder unsaubere Arbeiten noch verbergen, auf die bisher niemand gestoßen ist.

In dem Moment, wo es sich um besonders relevante Gebiete handelt, da werden die Leute natürlich schon hellhörig, und insbesondere, wenn jemand plötzlich behauptet, er hätte etwas sensationell Neues entdeckt, was niemand erwartet hat, dann muss er natürlich damit rechnen, dass die Wissenschaftsgemeinde sehr genau hinguckt - etwa der Fall dieser Selenzellen von der NASA im letzten Jahr ist vielleicht noch dem einen oder anderen in Erinnerung, da hat es nur wenige Wochen gedauert, bis die Sache als zumindest voreilig kritisiert wurde.

Scholl: Was passiert denn eigentlich mit dem Ertappten? Das sind ja oft bedeutende Leute: Institutsleiter, Inhaber von Lehrstühlen, die man jetzt nicht so einfach vom Hof jagt. Sie sagten vorhin schon so in einem Nebensatz: Die Karrieren gehen weiter. Wie denn?

Kegel: Also erst mal muss man sagen, Wissenschaftsfälschung, Frisieren von Daten ist kein Straftatbestand. Also die Kriminalpolizei oder die Polizei ist da nicht im Spiel, auch die Justiz nicht, sondern das ist ein wissenschaftsinterner Prozess, in dem so was aufgearbeitet wird, der sehr lange dauert und auch keineswegs immer zum Erfolg führt.

In einigen Fällen, die wir kennen, etwa dem koreanischen Klonforscher Hwang, oder einem sehr bekannten deutschen Krebsforscher, die können ja vielleicht für viele stehen, diese Leute sind natürlich für den wissenschaftlichen Betrieb, für den akademischen Betrieb, Universitäten, Forschungsinstitute nicht mehr tragbar und sind da weg von Fenster, aber sie finden in der privaten Wirtschaft Unterschlupf, sind ja hochqualifizierte Leute.

Hwang soll also heute in einem Institut in Thailand arbeiten, wo Haustiere geklont werden, und dieser Krebsforscher, der durfte sogar seinen Professorentitel behalten, und der praktiziert heute als Krebsarzt mitten im Zentrum von München und wird wahrscheinlich weiterhin gutes Geld verdienen.

Scholl: Man lernt im Buch, Herr Kegel, ja sehr viel über die wissenschaftliche Praxis und Karrieren in den Naturwissenschaften, nebenbei: vom ständigen Druck zur Veröffentlichung, von der Konkurrenz, vom Kampf um Forschungsgelder und Drittmittel. Fördert diese Situation nicht doch auch diese Situation nicht doch auch dazu auf, zu unlauteren Mitteln zu greifen, berühmter zu werden, als man eigentlich ist?

Kegel: Sicher, also der Druck ist zweifellos enorm, wenn man eine solche Karriere anstrebt, das würde ich sagen. Das gilt aber in erster Linie für die Leute, die noch unterwegs sind, die noch sozusagen die Positionen, die sie vielleicht mal anstreben, noch nicht erreicht haben. Das beantwortet meiner Meinung nach nicht die Frage, warum ein Institutsleiter - Sie haben das eben selbst angesprochen, also ohnehin schon berühmte Leute, Hwang war der erste Mensch, der einen Hund geklont hat, der war schon weltberühmt, der war schon ein Star in Korea -, warum muss so jemand nun unbedingt noch einen Riesenknaller in die Welt setzen?

Und da kommt - ich kann mich nur wiederholen - wieder die Psychologie ins Spiel, das sind meiner Meinung nach narzisstische Persönlichkeiten, die eigentlich nie satt sind, die immer noch einen draufsetzen wollen, und dann irgendwann den Bogen überspannen.

Scholl: Für dieses Buch mussten Sie diesmal nicht bis Neuseeland reisen, Herr Kegel. Ort des Geschehens ist hauptsächlich Kiel, dort haben Sie recherchiert. Wie ist man Ihnen denn dort begegnet? Waren die Wissenschaftler, die Sie gesprochen haben, nicht vielleicht ein bisschen pikiert, um ihren guten Ruf bedacht, so in dem Sinne, das könnte bei uns nie passieren?

Kegel: Wir haben nur über biologische Details gesprochen, ich habe ihnen nicht verraten, was der eigentliche Hintergrund der Geschichte ist.

Scholl: Vielleicht sitzen jetzt aber heute Abend genau diese Leute, die Sie gesprochen haben, im Publikum und sagen: Um Gottes willen, dem habe ich ein Interview gegeben.

Wenn uns jetzt Hörer aus Kiel und der Region zuhören, dann sei nämlich vielleicht diese Abendunterhaltung empfohlen: Heute stellt Bernhard Kegel seinen Roman in Kiel vor, im Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung GEOMAR, Beginn 19:30 Uhr, und deshalb muss Bernhard Kegel jetzt auch gleich los. Ich danke für Ihren Besuch und das Gespräch. Alles Gute Ihnen!

Kegel: Ich danke Ihnen!

Scholl: "Ein tiefer Fall", das neue Buch von Bernhard Kegel, ist ab heute in den Buchhandlungen, erschienen im Mare Verlag mit 508 Seiten, es kostet 19,90 Euro, und Ende März gibt es den Roman dann auch als Hörbuch.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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