Fachkräftemangel

Gefahr für Klimaschutz, Wirtschaft und Gesellschaft

53:41 Minuten
Die Zahl Null auf einer Anzeigentafel an einem Flughafen.
Nicht nur an Flughäfen fehlen Fachkräfte. © Getty Images/NurPhoto/Agron Beqiri
Moderatorin: Annette Riedel · 08.07.2022
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Fachkräfte fehlen in Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern, Handwerksbetrieben und neuerdings auch in der Gastronomie und der Flugabfertigung. Während die einen eine Bildungswende fordern, wollen andere auf qualifizierte Zuwanderung setzen.
Enzo Weber, der Forschungsleiter Prognosen und Strukturanalysen am Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB), diagnostiziert insbesondere im Bereich der Pflege, der Erziehung, der IT-Branche und des Handwerks einen Mangel an Fachkräften. Angesichts dieser Situation und der hinzukommenden demografischen Alterung sei ein Bedarf an bis zu fünf Millionen qualifizierten Fachkräften zu erwarten.
"Die Babyboomer gehen in Rente. Wenn wir keine Zuwanderung haben, verlieren wir im deutschen Arbeitsmarkt fünf Millionen Personen. Und das wäre eine Schrumpfung, die ist so gravierend, dass es gravierende negative Auswirkungen auf die Wirtschaftskraft hätte. Und auch in der Rente würden wir dann Probleme bekommen."
Um die von der Bundesregierung angestrebte Verkehrswende und die Klimaschutzziele umsetzen zu können, würden gut qualifizierte Handwerkerinnen und Handwerker gebraucht, betont der Leiter der Abteilung Berufliche Bildung beim Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH), Volker Born.
"Wir haben jetzt schon in der Bau-Elektrik 15.000 unbesetzte Stellen, im Sanitär-, Heizungs- und Klimabereich 13.000 unbesetzte Stellen und im KFZ-Bereich 7.000 unbesetzte Stellen. Das hemmt die Umsetzung und deshalb gilt es jetzt sehr schnell Maßnahmen gemeinsam mit der Bundesregierung zu vereinbaren."

Pflege-Fachberufe begeistern kaum

Die Präsidentin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe, Christel Bienstein, beschreibt im Pflegebereich eine ähnlich dramatische Situation: "Bis 2035 werden wir sehr viele Pflegende verlieren, weil sie in den Ruhestand gehen. Und die werden wir nicht auffangen können mit der Anzahl der jungen Menschen, die zur Verfügung stehen können."
Darüber hinaus sei nicht jeder, der einen Pflege-Fachberuf ergreifen wolle auch für diesen geeignet, betont Bienstein.
"Darum haben wir teilweise auch diese hohen Abbruch-Quoten. Nach den ersten Wochen sagen viele, dass es ihnen zu anstrengen ist. Die Theorie ist zu anspruchsvoll, die Praxis ist sehr beeinträchtigt durch den Personalmangel, den wir haben. Das heißt, es ist im Augenblick sehr schwierig, Menschen für diesen Beruf zu begeistern, dass sie auch langfristig dort verbleiben."

Alle Potenziale ausschöpfen

Enzo Weber vom IAB widerspricht der Auffassung, es geben in Deutschland heute eine Über-Akademisierung. Angesichts der sich weiter vertiefenden Digitalisierung würden auch künftig viele Akademiker gebraucht.
"Knapp ist es an allen Ecken und Enden. Wir brauchen auch die Akademiker. Ich möchte nicht einer These das Wort reden, dass wir eine Akademisierung haben, die übertrieben ist und nur noch Unsinn produziert hat."
Dennoch sei die berufliche Ausbildung, die das Rückgrat des deutschen Bildungssystems sei, in den vergangenen Jahren "immer mehr ausgetrocknet" und müsse wieder attraktiver werden:
"Wir brauchen eine sehr gute Transparenz und eine sehr gute Berufsberatung, klare Aufstiegsmöglichkeiten und modulare Weiterbildungsangebote. Und wir müssen genauso auf die Schwächeren schauen und versuchen, niedrigschwellige Angebote zu machen, um die jungen Leute erst einmal reinzubringen. In beide Richtungen müssen wir die Potenziale wirklich ausschöpfen, denn von denen werden wir in der Zukunft leider deutlich weniger haben als heute."

Offene Zuwanderungspolitik nötig

Ferner gelte es, eine offene Zuwanderungspolitik zu etablieren, betont der Arbeitsmarktforscher Enzo Weber. Allerdings dürfe die Ermöglichung von Arbeitsmigration nach Auffassung von Christel Bienstein im Pflege-Bereich nicht zulasten von Ländern gehen, in denen ebenfalls Pflegekräfte fehlten. Dies sei ethisch nicht vertretbar. Volker Born vom Zentralverband des Deutschen Handwerks verweist in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung der sozialen Integration qualifizierter Zuwanderer. Wenn diese nicht gelinge, wanderten Fachkräfte sonst wieder ab. Zurzeit gelte dies für etwa zehn Prozent der zugewanderten Fachkräfte.
Enzo Weber betont: "Es kommt darauf an, eine umfassende Service-Leistung zur Anerkennung von beruflichen Abschlüssen zu haben. Und wenn etwas fehlt, dann auch gleich proaktiv anbieten, das nachzuqualifizieren. Am Ende sollte das Ziel eine vollwertige Qualifikation sein. Aber wir sollten flexibler denken. Viele Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft in Deutschland arbeiten derzeit oft unter den Möglichkeiten, die ihre Kompetenzen eigentlich hergeben würden. Da ist noch was drin für uns."
(ruk)

Es diskutieren:
Prof. Christel Bienstein, Präsidentin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK)
Prof. Enzo Weber, Forschungsleiter Prognosen und Strukturanalysen am Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB)
Dr. Volker Born, Leiter der Abteilung Berufliche Bildung beim Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH)

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