Fachkräftemangel

Bulgaren für Bayern

Der Deggendorfer Landrat, Christian Bernreiter (CSU), aufgenommen in seinem Büro im Landratsamt
Der Deggendorfer Landrat, Christian Bernreiter (CSU) © picture-alliance / dpa / Armin Weigel
Von Ernst-Ludwig von Aster · 08.02.2014
Ist der verrückt geworden, fragten sich vor zwei Jahren in Niederbayern etliche CSU-Gefolgsleute. Damals begann der Landrat von Deggendorf, Azubis aus Bulgarien anzuwerben. Heute gilt er als Trendsetter.
"Martin, könntest Du die Rinderlende putzen!"
Martin legt das Messer beiseite. Wäscht sich die Hände, trocknet sie an der Schürze ab. Er trägt sie hoch über der Hüfte geschnürt, damit sie ihm nicht unter die Füße gerät.
Der 19-Jährige geht zum Kühlraum, wuchtet eine Jungbullen-Lende auf die Schulter. Klein, kompakt, fast kugelrund - Martin sieht aus, wie ein Koch aus dem Bilderbuch:
"So wie hier was wir in der Küche machen, so etwas gibt es bei uns nicht, das war schon interessant am Anfang. Was war das, probieren wir das."
Er packt die Rinderlende auf den Tisch, zieht die Folie ab. Martin kommt aus Burgas, der Hafenstadt am Schwarzen Meer. Vor eineinhalb Jahren zieht er von Bulgarien nach Bayern, lernt seitdem Koch im Landgasthaus Kräh. In der 30.000 Einwohnerstadt Deggendorf.
"Als ich hier gekommen bin, konnte ich nicht Hallo sagen, aber wenn man sich oft mit deutschen Leuten unterhält, dann wird es schnell."
Bunte Truppe in der Küche
Martin schnippelt, Elena macht Spätzle, Koch Waclaw wirbelt am Herd und witzelt, Martina treibt zur Eile an. Ein bulgarisch-tschechisch-bayrisches Kochteam im Mittagseinsatz. Siggy Zippert, der Chef der bunten Truppe, wirft kurz einen Blick in die Küche, nickt zufrieden, holt sich einen Kaffee setzt sich nach vorne in die Gaststube. Vor acht Jahren übernimmt der Dortmunder mit seiner Frau den großen Gasthof.
"Der Laden war abgewirtschaftet. Dann haben wir hier erst einmal gesessen, wurden auch noch mit den Vorurteilen unserer bayerischen Gäste konfrontiert. Jetzt kommt auch noch ein Preuße und meint er könnte hier ein bayrisches Wirtshaus führen."
400 Plätze drinnen im historischen Saal, 300 draußen im Biergarten, drei Gaststuben, 43 Pensionsbetten. 25 Mitarbeiter brauchen die Wirtsleute, um den Laden am Laufen zu halten. Aber von Anfang an ist das Personal knapp. Dann liest das Gastwirt-Paar von einer Initiative des Landkreises: Der will junge Bulgaren nach Bayern zur Ausbildung locken.
"Dann haben wir uns überlegt, Mensch, wenn junge Leute aus Bulgarien diesen Schritt machen und sagen, wir gehen dann nach Deutschland, wir wissen das das nicht einfach ist, die Sprachbarriere ist hoch, dann haben wir überlegt, jawohl wir probieren das einfach mal, mal schauen, was dabei rauskommt."
Siggy Zippert ist zufrieden mit dem bayrisch-bulgarischen Experiment. Mittlerweile machen vier junge Bulgaren bei ihm eine Ausbildung. Zwei als Köche, zwei als Restaurantfachkraft.
Im Landratsamt Deggendorf wühlt Christian Bernreiter, der Urheber der Bulgarieninitiative, hinter seinem großen Schreibtisch in einem hüfthohen Papierstapel: Zeitungen, Pressemitteilungen, Broschüren und Bücher liegen übereinander.
Demografischer Wandel und Arbeitskräftemangel
Der Landrat zieht ein Taschenbuch hervor. Der Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg analysiert 2005 hier den demografischen Wandel. Beschreibt den Geburtenrückgang, prognostiziert Arbeitskräftemangel. Für Fachleute ist das nichts Neues. Neu aber ist, dass ein bayerischer CSU-Landrat nachrechnet, was dies für seinen Kreis bedeutet:
"Es war damals so das in den nächsten 15 Jahre 4000 oder 4500 Leute mehr aus dem Erwerbsleben ausscheiden als Jüngere nachwachsen. Und das spürt man ja überall jetzt schon, wir sind mittendrin in dieser Entwicklung."
2009 fährt Bernreiter das erste Mal ans Schwarze Meer, um eine Schulpartnerschaft zu feiern. Seit mehr als 20 Jahren kooperieren die Berufsschule Deggendorf und zwei berufsbildende Gymnasien in Burgas:
"Und ich war eigentlich überrascht, dass dort die jungen Leute wirklich gut Deutsch sprechen. Und dann war bei mir Hinterkopf, wenn das mit der Demografie ein Problem ist, dann könnten wir aus dem was machen."
Zu dieser Zeit schwört CSU Chef Horst Seehofer in München seine Partei mal wieder lautstark auf die Formel "Deutschland ist kein Einwanderungsland" ein.
30 bulgarische Azubis im Landkreis
In Deggendorf arbeitet derweil Christian Bernreiter an seiner bulgarischen Azubi-Beschaffungs-Maßnahme. Nicht auf Fachleute warten, die eh nicht kommen, sondern, selber welche ausbilden, das ist die Idee.
"Habe ich alle zusammengetrommelt: Handwerkskammer, IHK war mit dabei, Schulleitung, Arbeitsamt. Und dann haben wir uns auf die Reise gemacht und haben unsere Idee vorgestellt."
Heute lernen mehr als 30 bulgarische Azubis im Landkreis. Im Straßen- und Anlagenbau, im Hotel- und Restaurantfach. Sie treffen sich, gehen am Wochenende in die Disco, manche wohnen sogar in einer WG zusammen. Elf haben in den letzten zwei Jahren ihre Ausbildung abgebrochen, sie hatten Heimweh.
Mittlerweile bewerben sich die Firmen-Chefs beim Landratsamt. Um einen Platz für die nächste Werbetour nach Bulgarien:
"Ich werde jetzt eigentlich schon immer wieder angesprochen, hast du nicht für mich auch einen, kann ich da nicht mitkommen?"
Demnächst fliegt wieder eine Delegation nach Burgas.
Im Landgasthaus Kräh üben spätabends die Jagdhornbläser. Martin, der kleine Koch, kommt aus der der Küche, die Kochschürze über der Schulter. Feierabend. Der 19-Jährige holt sich noch Glas Leitungswasser, geht die alten Holzstufen nach oben, in sein Zimmer, im zweiten Stock.
Von der Wand grüßt barbusig eine Blondine vom Pin-Up-Kalender. Ein Geschenk der Chefin, sagt Martin grinsend. Auf dem Tisch warten zwei Wörterbücher. Ein bulgarisches Rezeptbuch, steht zwischen einem Glas bulgarischen Honig und einer Flasche Schnaps, selbstgebrannt von den Eltern in Burgas:
"Die sind schon traurig, dass ich hier bin. Aber die haben gesagt, für deine Zukunft ist es schon besser, wenn du hier bist. Ich habe gesagt, ja, die vermissen mich schon, aber es hilft nicht."
Der 19-Jährige greift zu Zigarettenpackung, Jacke und Schlüssel. Er will jetzt noch ein Feierabendbier trinken.
"Ich fühle nicht, dass ich 1700 Kilometer von zu Hause weg bin. Ich denke, wenn ich mit der Ausbildung fertig bin, dann bleibe ich hier, denke ich."
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