EZB-Anleihenkäufe

„Ein Bluffen aus Karlsruhe“

Joachim Wieland im Gespräch mit Gabi Wuttke |
Er rechne nicht mit einer Konfrontation zwischen Karlsruhe und dem Europäischen Gerichtshof, sagt Joachim Wieland. Die aktuelle Entscheidung zu EZB-Anleihenkäufen begrüßt der Rechtswissenschaftler.
Ute Welty: Ja, aber! Das Bundesverfassungsgericht ist berühmt für seine Ja-aber-Entscheidungen, um nicht zu sagen: berüchtigt. Und so verhält es sich auch ein bisschen im jüngsten Fall: Ja, die Europäische Zentralbank hat überzogen in Sachen Euro-Rettung, aber Karlsruhe fällt erst dann ein endgültiges Urteil, wenn der Europäische Gerichtshof in Luxemburg verhandelt hat.
So weit die Fakten, die ich gerne einordnen möchte zusammen mit Joachim Wieland, Jurist und Rektor der Verwaltungshochschule in Speyer, guten Morgen!
Joachim Wieland: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Wir haben es gerade gehört, Karlsruhe hat noch nie gefragt, was Luxemburg denkt, bevor sich Karlsruhe ein Urteil gebildet hat. Wissen die deutschen Verfassungshüter nicht mehr weiter?
Wieland: Ich denke, die deutschen Verfassungshüter wüssten schon weiter, wenn sie denn entscheiden dürften.
Welty: Oder wollten.
Wieland: Sie geben ja deutlich zu erkennen, dass sie nichts von dem Handeln der Europäischen Zentralbank halten und meinen, dass das gegen Europarecht verstößt. aber andererseits müssen sie sich auch selbst und uns allen eingestehen, dass das nicht eine Frage ist, die sie in Karlsruhe entscheiden können. Dort sind sie nur für deutsches Verfassungsrecht zuständig. Sondern dass hier für Fragen des Europarechts der europäische Gerichtshof in Luxemburg der zuständige ist, der aber letztlich sagen muss, wie er das Verhalten der Zentralbank beurteilt. Ob er das für vereinbar mit dem Europarecht hält oder nicht. Und das deutsche Gericht kann da eine Meinung dazu äußern, aber die ist nicht verbindlich.
„Bundesverfassungsgericht wird sich Luxemburg fügen“
Welty: Wenn jetzt der Europäische Gerichtshof entschieden hat, wie sehr bindet das dann das Bundesverfassungsgericht?
Wieland: Das Bundesverfassungsgericht deutet schon an, dass es nur bei einer bestimmten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, wenn der nämlich die Befugnisse der Zentralbank etwas einschränkte, keine Bedenken hätte. Es wird allerdings faktisch kaum vorstellbar sein, dass, wenn der Europäische Gerichtshof einmal gesagt hat, das, was die Europäische Zentralbank getan hat und tut, ist in Ordnung, das ist mit dem Europarecht vereinbar, dass dann Karlsruhe sagen würde, das ist ein offensichtlicher Verstoß gegen die Zuständigkeiten Europas. Diese Konfrontation mit dem Europäischen Gerichtshof und den europäischen Organen wird Karlsruhe nicht eingehen. So ist es ein bisschen auch ein Bluffen aus Karlsruhe, dass man sagt, also, entscheidet bitte in die Richtung, sonst bringt ihr uns in Schwierigkeiten. Letztlich wird sich das Bundesverfassungsgericht in dieser europarechtlichen Frage der Entscheidung aus Luxemburg fügen.
Welty: Wer auch immer am Ende wie entscheidet, bis dahin könnten Monate vergehen, womöglich sogar Jahre. Sind Politik und Zentralbank in der Zwischenzeit handlungsunfähig?
Wieland: Nein. Das, was das Bundesverfassungsgericht jetzt gemacht, ist, nur eine Rechtsfrage auf den Weg zu bringen. Es hat keinerlei Einschränkung für das Handeln der Europäischen Zentralbank oder für das Handeln der deutschen Staatsorgane verkündet. Das heißt, die können das weiter so machen, wie sie das bisher gemacht haben. Vor allem die Europäische Zentralbank ist nicht gehindert, ihr Programm weiter zu verfolgen. Das deutsche Verfassungsgericht behält sich vor, dazu dann nach der Entscheidung aus Luxemburg etwas zu sagen, aber für die Zeit des Verfahrens ändert sich eigentlich nichts.
Welty: Aber das ist doch nicht unabhängig voneinander. Auch die EZB liest ja Zeitung – oder in der EZB werden Zeitungen gelesen mit solchen Äußerungen, die jetzt aus Karlsruhe kommen.
Wieland: Selbstverständlich liest man auch in der EZB Zeitung, und die EZB wird das durchaus ernst nehmen, was das Bundesverfassungsgericht sagt. Ich glaube aber nicht, dass dann, wenn es wirklich wirtschaftlich und währungsmäßig notwendig würde, dass die EZB handelt, dass sie dann mit Blick auf Karlsruhe ein solches Handeln, was sie für notwendig hält, unterlassen würde. Es ist ja bisher nie notwendig geworden. Dieser Beschluss, um den es geht, ist bisher nur auf dem papier. Er ist von der Europäischen Zentralbank noch nicht so umgesetzt worden und wenn wir alle Glück haben, wird das auch in der nächsten Zeit nicht notwendig werden. Dann taucht die Frage gar nicht auf. Wenn es aber aus Sicht der Zentralbank notwendig sein sollte, kann ich mir nicht vorstellen, dass sie mit Blick auf Karlsruhe auf das verzichten sollte, was nach ihrer Auffassung für den Euro gut und richtig ist.
Welty: Gehen wir noch mal einen Schritt weiter auf eine vielleicht übergeordnete Ebene: Wie sehr könnte angesichts dieser veränderten Lage das Gefüge zwischen Legislative, exekutive und Judikative in Deutschland ins Rutschen kommen, das ja ausdrücklich eine Gewaltenteilung vorsieht?
Mit der Einführung der EZB hat Deutschland an Souveränität verloren
Wieland: das sehe ich jetzt eigentlich nicht, weil das Bundesverfassungsgericht sich ja genau an diese Gewaltenteilung hält. Es hält sich international daran, indem es sagt, der Europäische Gerichtshof muss über diese Frage entscheiden, es hält sich aber auch national daran. Es sagt zwar, dass die nationalen Verfassungsorgane etwas tun müssen, wenn die Rechte Deutschlands verletzt werden. Ob diese Rechte Deutschlands verletzt werden, ist aber noch nicht entschieden. Das Gericht hat hier starke Zweifel angemeldet. Wenn der Europäische Gerichtshof so entscheidet, wie ich das vermute, dass er der Europäischen Zentralbank diese Befugnisse zusprechen wird, dann ist auch für die deutschen Verfassungsorgane eigentlich kein Anlass zum Einschreiten, weil dann ja nur etwas geschieht, dem Deutschland in den Verträgen über die Europäische Union zugestimmt hat.
Welty: Jetzt ist dieser Zusammenhang ja nicht so ganz einfach zu verstehen. Auch wir reden jetzt schon gute fünf Minuten darüber und haben bisher noch einen wichtigen Aspekt ausgelassen, nämlich den emotionalen: Wie damit umgehen, wenn Deutschland im Zusammenhang mit Europa ein weiteres Stück Souveränität verliert?
Wieland: Daran werden wir uns gewöhnen müssen. Letztlich haben wir eigentlich dadurch, dass wir der Gründung der Europäischen Zentralbank und der Einführung des Euros zugestimmt haben, dieses Stück Souveränität längst weggegeben. Wir haben uns das vielleicht nicht so bewusst gemacht und die Streitigkeiten vor den gerichten bringen jetzt ein Unbehagen zum Ausdruck. Aber eigentlich ist das eine Entwicklung, die schon vor Langem eingeleitet ist und die vielleicht auch durch diese Entscheidung aus Karlsruhe und die künftige aus Luxemburg mehr noch in das allgemeine Bewusstsein eindringen wird. Manches ist jetzt in Europa entschieden und nicht mehr in Deutschland.
Welty: Stärkt das Bundesverfassungsgericht damit auch unfreiwillig den Europaskeptikern den Rücken?
Wieland: Das Bundesverfassungsgericht gibt immerhin zu erkennen, dass die Europaskeptiker bei ihm durchaus eine Instanz haben, die die Argumente aufnimmt, die darüber spricht. Und das ist wichtig, weil ja in der deutschen Politik, jedenfalls von den im Parlament vertretenen Parteien diese Kritik nicht aufgenommen worden ist. Insoweit übt das Bundesverfassungsgericht eine wichtige Rolle aus, vielleicht auch zur Befriedung und zur Lösung der Konflikte.
Welty: Und das alles vor der Europawahl im mai. Joachim Wieland, Jurist und Rektor der Verwaltungshochschule Speyer über juristisches und europäisches Kräftemessen. Ich danke sehr für Ihre Einschätzung!
Wieland: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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