Experiment und Einfühlung
Gorki-Intendant Armin Petras holt mit seinem schreibenden Alter Ego Fritz Kater große Debattenthemen auf die Bühne: "Demenz, Depression und Revolution" ist manchmal Kitsch, öfter aber eine schöne Reflexion darüber, was Kunst kann.
Mehr als eine Million Menschen in Deutschland leiden an Demenz, bis 2050 rechnet man mit vier Millionen. Heute Köln, morgen Berlin, wie es im ersten Teil des Tryptichons "Demenz, Depression und Revolution" heißt. Fritz Kater, die Autorfigur von Armin Petras, malt noch einmal das ganz große Gesellschaftspanorama auf Papier. So groß, dass man so ein Projekt eigentlich nur "Gulliver" nennen kann, wie der tschechoslowakische Filmemacher im letzten Teil seinen Film nennt, den er lange nicht zu Ende bringt, weil er nicht weiß, was diese Realität da draußen mit seiner Kunst zu tun hat, oder umgekehrt: wie viel Kunst in dieser Revolution bereits drin steckt. Und in der Mitte dieses fast vierstündigen Abends erzählt das Stück die Geschichte des Fußball-Torwartes Robert Enke, die im Herbst 2009 im Freitod endete.
Mir will kein deutschsprachiger und auch noch satisfaktionsfähiger Theatermacher einfallen wie Petras, der es wagen würde, drei aktuelle und dicke Dossiers auf einmal auf die Bühne zu bringen. Petras nennt diese medial bestens vorgewärmten Themenplatten "Mythen der Gegenwart", was etwas verstiegen klingt, aber mit Roland Barthes ungefähr meint, dass diese Debatten deshalb geführt werden, weil man deren Sinn noch nicht erkennt und sich der Gegenstand im Reden laufend verändert. Für das Theater müsste das heißen: Auf der Bühne sehen wir diese Themen in einem etwas anderen Licht, auch mal aus der Distanz zu dem, was wir Gegenwart nennen. Ein herausragendes Projekt, weil klug und angstfrei. Und zu zwei Dritteln geglückt, den Rest richten Schauspieler vom Format eines Michael Klammer.
Es beginnt mit den Dementen. Mit dem Spiel über die Dementen: Ein Vorhang auf der Bühne macht die Spielfläche deutlich. Zuerst sitzt man auf alten DDR-Stühlen und erzählt wie an einer mittäglichen Lesung. Alzheimer, haha, da sind immer ein paar Witze drin, noch lachen manche, auch auf der Bühne. Schon mal fein gemacht. Dann geht es ans Eingemachte, die Spieler tragen Fatsuits, dick gepolsterte Kostüme. Die kühle Distanz ist vorbei, man muss die Dementen jetzt auch mal zeigen. Manche können das sehr gut, man soll ja auch lachen dürfen, wir sind nicht in der Kirche. Und doch bleibt dieses Lachen immer mehr stecken. Die Sprache, der Text: lose, nur manchmal zusammenhängend, alles hängt in Fetzen wie die Logik der Kranken, manchmal zumindest. Immer wieder grätscht der Text lyrisch in diesen Gesang des Vergessens. Etwa mit Paul Celan oder am Ende mit Inger Christensen breitet dieser erste Teil das Schmetterlingsmotiv aus, Symbol für unmerkliche Verwandlung, immer wieder auch: für den Tod. Im Schlussbild regnet es Zitronenfalter, die Musik des jungen Miles Perkin am Bühnenrand unterstreicht die Zartheit, wie so oft an diesem Abend, mit zwar gekonnter und einigermaßen disziplinierter, aber dennoch schmerzhaft glühender Innerlichkeit.
"Schwarzer Hund" steht über dem zweiten Teil des Stücks, das ist die Depression des ungenannten, aber dennoch überklar gemeinten Torwartes Robert Enke, der 2009 den Freitod wählte. Es folgte eine lange Diskussion über Leistungssport, über Depression, über deren Zusammenhang. Regisseur Petras hat fast alle Anzeichen der Depression, die er als Autor Fritz Kater noch im Text stehen hatte, gestrichen und holt sie erst spät wieder in diese, nun ja: konzentrierte Conférence. Wir sehen fast eine Stunde lang einfach Michael Klammer und Aenne Schwarz zu, wie sie das Paar Enke spielen, vor einer Stoffwand, auf die ein Fußballtor gestanzt ist. Der Junge aus Jena, der ein halbes Jahr eine Bomberjacke trägt, wie er bald in die Bundesliga kommt, in ein Kaff allerdings, und wie er dann jahrelang von einem ausländischen Verein zum nächsten tingelt, wie man eigentlich ständig denkt, wenn hier jemand durchdrehen sollte, dann doch seine Frau, die alles hintanstellen muss. Die beiden spielen das schön uneitel, dennoch geschmeidig, rhythmisch toll und sehr konzentriert. Und doch: Der Teil enttäuscht, wenn auch auf hohem Niveau. Denn hier wird kein Mythos untersucht, sondern ein Schicksal einfach noch mal runtererzählt.
Der Schluss versucht es dann mit Komplexität, die auch dem Thema geschuldet ist: Der Künstler und die Realität, oder die Revolution, wer es pathetischer mag. Es ist eine Rückblende, ein Tagebuch der Ereignisse des sogenannten Prager Frühlings, als die Tschechoslowakei einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz probierte. Es schreibt und erzählt ein Filmemacher, der bereits Westlorbeeren erntet, mit teuren Autos durch Paris kurvt und noch teureren Frauen durch die Alpen. Es geht um Hedonismus und Revolution, um Kunst und Realität. Erst zieht die Zeit an ihm vorbei, dann wird sie sein einziges Thema. Im Grunde zeigt Petras hier einen klar der Groteske und der Farce verpflichteten Reigen der Ausweglosigkeit. Sowohl der Hedonismus in stürmischen Zeiten sowie die Agit Prop, die auch als aktuelles Pussy-Riot-Zitat wiederkehrt, versprechen eine legitime Künstlerposition. Am Ende sitzt Thomas Lawinky da, immer wieder malt Svenja Liesau ihm ein Clownsgesicht auf die Maske aus Knetmasse, immer wieder malt sie die Maske neu.
Vielleicht sagt dieser dunkle dritte Teil: Man muss dieses Verhältnis immer wieder befragen, die Kunst, und die Realität, und man muss immer wieder scheitern können. "Kunst ist Revolution oder nichts", heißt es am Schluss, aber wahrscheinlich heißt das hier post-ideologisch soviel wie: Kunst muss sich selbst verändern können. Für letzteres ist der Abend allerdings ein überzeugendes Beispiel. Weil er für drei große Themen, die zwar alle von Störungen im Kapitalismus handeln, ansonsten aber disparat sind, weil er dafür jeweils ebenso disparate Formen gefunden hat. Das ist im Theaterbetrieb selten und zeugt von angenehmer experimenteller Intelligenz. Oder schlichtweg von thematischem Einfühlungsvermögen.
Mir will kein deutschsprachiger und auch noch satisfaktionsfähiger Theatermacher einfallen wie Petras, der es wagen würde, drei aktuelle und dicke Dossiers auf einmal auf die Bühne zu bringen. Petras nennt diese medial bestens vorgewärmten Themenplatten "Mythen der Gegenwart", was etwas verstiegen klingt, aber mit Roland Barthes ungefähr meint, dass diese Debatten deshalb geführt werden, weil man deren Sinn noch nicht erkennt und sich der Gegenstand im Reden laufend verändert. Für das Theater müsste das heißen: Auf der Bühne sehen wir diese Themen in einem etwas anderen Licht, auch mal aus der Distanz zu dem, was wir Gegenwart nennen. Ein herausragendes Projekt, weil klug und angstfrei. Und zu zwei Dritteln geglückt, den Rest richten Schauspieler vom Format eines Michael Klammer.
Es beginnt mit den Dementen. Mit dem Spiel über die Dementen: Ein Vorhang auf der Bühne macht die Spielfläche deutlich. Zuerst sitzt man auf alten DDR-Stühlen und erzählt wie an einer mittäglichen Lesung. Alzheimer, haha, da sind immer ein paar Witze drin, noch lachen manche, auch auf der Bühne. Schon mal fein gemacht. Dann geht es ans Eingemachte, die Spieler tragen Fatsuits, dick gepolsterte Kostüme. Die kühle Distanz ist vorbei, man muss die Dementen jetzt auch mal zeigen. Manche können das sehr gut, man soll ja auch lachen dürfen, wir sind nicht in der Kirche. Und doch bleibt dieses Lachen immer mehr stecken. Die Sprache, der Text: lose, nur manchmal zusammenhängend, alles hängt in Fetzen wie die Logik der Kranken, manchmal zumindest. Immer wieder grätscht der Text lyrisch in diesen Gesang des Vergessens. Etwa mit Paul Celan oder am Ende mit Inger Christensen breitet dieser erste Teil das Schmetterlingsmotiv aus, Symbol für unmerkliche Verwandlung, immer wieder auch: für den Tod. Im Schlussbild regnet es Zitronenfalter, die Musik des jungen Miles Perkin am Bühnenrand unterstreicht die Zartheit, wie so oft an diesem Abend, mit zwar gekonnter und einigermaßen disziplinierter, aber dennoch schmerzhaft glühender Innerlichkeit.
"Schwarzer Hund" steht über dem zweiten Teil des Stücks, das ist die Depression des ungenannten, aber dennoch überklar gemeinten Torwartes Robert Enke, der 2009 den Freitod wählte. Es folgte eine lange Diskussion über Leistungssport, über Depression, über deren Zusammenhang. Regisseur Petras hat fast alle Anzeichen der Depression, die er als Autor Fritz Kater noch im Text stehen hatte, gestrichen und holt sie erst spät wieder in diese, nun ja: konzentrierte Conférence. Wir sehen fast eine Stunde lang einfach Michael Klammer und Aenne Schwarz zu, wie sie das Paar Enke spielen, vor einer Stoffwand, auf die ein Fußballtor gestanzt ist. Der Junge aus Jena, der ein halbes Jahr eine Bomberjacke trägt, wie er bald in die Bundesliga kommt, in ein Kaff allerdings, und wie er dann jahrelang von einem ausländischen Verein zum nächsten tingelt, wie man eigentlich ständig denkt, wenn hier jemand durchdrehen sollte, dann doch seine Frau, die alles hintanstellen muss. Die beiden spielen das schön uneitel, dennoch geschmeidig, rhythmisch toll und sehr konzentriert. Und doch: Der Teil enttäuscht, wenn auch auf hohem Niveau. Denn hier wird kein Mythos untersucht, sondern ein Schicksal einfach noch mal runtererzählt.
Der Schluss versucht es dann mit Komplexität, die auch dem Thema geschuldet ist: Der Künstler und die Realität, oder die Revolution, wer es pathetischer mag. Es ist eine Rückblende, ein Tagebuch der Ereignisse des sogenannten Prager Frühlings, als die Tschechoslowakei einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz probierte. Es schreibt und erzählt ein Filmemacher, der bereits Westlorbeeren erntet, mit teuren Autos durch Paris kurvt und noch teureren Frauen durch die Alpen. Es geht um Hedonismus und Revolution, um Kunst und Realität. Erst zieht die Zeit an ihm vorbei, dann wird sie sein einziges Thema. Im Grunde zeigt Petras hier einen klar der Groteske und der Farce verpflichteten Reigen der Ausweglosigkeit. Sowohl der Hedonismus in stürmischen Zeiten sowie die Agit Prop, die auch als aktuelles Pussy-Riot-Zitat wiederkehrt, versprechen eine legitime Künstlerposition. Am Ende sitzt Thomas Lawinky da, immer wieder malt Svenja Liesau ihm ein Clownsgesicht auf die Maske aus Knetmasse, immer wieder malt sie die Maske neu.
Vielleicht sagt dieser dunkle dritte Teil: Man muss dieses Verhältnis immer wieder befragen, die Kunst, und die Realität, und man muss immer wieder scheitern können. "Kunst ist Revolution oder nichts", heißt es am Schluss, aber wahrscheinlich heißt das hier post-ideologisch soviel wie: Kunst muss sich selbst verändern können. Für letzteres ist der Abend allerdings ein überzeugendes Beispiel. Weil er für drei große Themen, die zwar alle von Störungen im Kapitalismus handeln, ansonsten aber disparat sind, weil er dafür jeweils ebenso disparate Formen gefunden hat. Das ist im Theaterbetrieb selten und zeugt von angenehmer experimenteller Intelligenz. Oder schlichtweg von thematischem Einfühlungsvermögen.