Exit-Strategie aus Corona-Shutdown

Die Gesellschaft braucht eine Perspektive

07:09 Minuten
Durch ein geschlossenes Fenster schaut eine Frau nach draußen. Auf ihrem Mundschutz steht Covid-19. In der Fensterscheibe spiegeln sich Häuser der gegenüberliegenden Straßenseite.
Wunsch nach Rückkehr zur Normalität: Menschen brauchen eine "Erwartungssicherheit", sagt Knut Bergmann. © imago/ZUMA Wire/Robin Utrecht
Knut Bergmann im Gespräch mit Nana Brink · 26.03.2020
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Shutdown wegen Corona bis Ostern: Damit scheinen sich nun alle abzufinden. Doch was, wenn es länger dauert? Knut Bergmann vom Institut der deutschen Wirtschaft sagt, es brauche eine Exitstrategie. Sonst drohe uns allen ein düsteres Szenario.
Der Verzicht auf Grundrechte fordert die Gesellschaft in der Coronakrise. Zuletzt hat Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) davor gewarnt, die strengen Ausgehbeschränkungen zugunsten der wirtschaftlichen Entwicklung vorzeitig zu lockern. Es gehe um den Schutz von Menschenleben.
Doch Überlegungen, wie eine Rückkehr zur Normalität gelingen kann, gibt es längst. "Berechtigt sind sie allemal", sagt Knut Bergmann vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW). "In der Tat braucht es eine Perspektive." Ganz wichtig sei für die Gesellschaft "Erwartungssicherheit", die es momentan nicht gebe. Weder wisse man, wie schnell sich das Coronavirus in den Griff bekommen lasse, noch welche wirtschaftlichen Folgen drohten.
Knut Bergmann im Porträt
Knut Bergmann vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln© imago/Manfred Segerer

Knut Bergmann (*1972) ist Politologe und Publizist und seit 2012 beim Kölner Institut der deutschen Wirtschaft. Er leitet dessen Kommunikationsabteilung und das Hauptstadtbüro. Bergmann war zuvor Redenschreiber bei Bundespräsident Horst Köhler und Bundestagspräsident Norbert Lammert. Er hat unter anderem das Buch "Mit Wein Staat machen. Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland" geschrieben.

Bergmann verweist dabei auf eine aktuelle Studie des IW: Darin gebe es ein "Positivszenario", das mit einem Lockdown bis Ende April und einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von etwa fünf Prozent rechne - über das Jahr gesehen. Das Negativszenario gehe von einem Lockdown bis Ende Juni aus - "und dann wird es etwa doppelt so teuer werden". Dann werde sich die Gesellschaft aber auch "ganz anders verhalten", so Bergmann:
"Ich wage mir nicht vorzustellen, wenn es über Ostern hinaus geht und wenn es dann noch richtig warm wird – wir haben ja jetzt schon sehr schönes Wetter – wenn es die Leute dann einfach rauszieht. Das ist schon wirklich problematisch."

Wenn es mehr Selbstmorde als Coronatote gibt

Die Exit-Diskussion müssten "wir alle" führen, sagt Bergmann weiter. Wissenschaft, Politik, auch das Feuilleton seien gefragt. "Am Ende werden wir natürlich da auch zu einer moralischen Bewertung kommen müssen, die wir uns bisher so nicht haben vorstellen können oder sonst nur in extremen Debatten haben wie beim Thema Sterbehilfe."

Hilfsangebote für Menschen mit Depressionen, Suizidgefährdete und ihre Angehörigen: Wenn Sie sich in einer scheinbar ausweglosen Situation befinden, zögern Sie nicht, Hilfe anzunehmen. Hilfe bietet unter anderem die Telefonseelsorge in Deutschland unter 0800-1110111 (kostenfrei) und 0800-1110222 (kostenfrei).

So habe eine Studie der Universität Bristol für Großbritannien berechnet, dass ab einem dauerhaften Rückgang der Wirtschaftskraft von mehr als 6,5 Prozent die Selbstmordrate die Coronatoten übersteigen würde. "Das sind natürlich Abwägungsfragen, wo wir uns in Deutschland zumal sehr schwer damit tun – weil uns auch das Bundesverfassungsgericht aufgegeben hat und auch die Ethik sowieso, dass wir Tote nicht miteinander verrechnen können. Aber das ist eine Diskussion, die werden wir letztlich zu führen haben."
(bth)

Das gesamte Gespräch mit Knut Bergmann hören Sie hier:

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