Exil und Kreativität

Über das Schreiben in der Fremde

52:40 Minuten
Der Betrachter guckt von oben auf eine schwarze Schreibmaschine, die auf dunklen Holzbrettern steht.
Für manchen Schriftsteller ist ein Exil eine Chance für seine Arbeit. Davon ist der rumänische Schriftsteller Norman Manea überzeugt. © Unsplash/ Patrick Fore
Von Stefan Berkholz · 02.06.2019
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Das Exil ist ein lebensgefährliches Trauma, auch für Schriftsteller. Viele verzweifeln, verstummen und gehen unter. Manchen gelingt es, ihre Kreativität zu bewahren und sich mit ihr zu wappnen gegen die Zumutungen des neuen Lebens.
Der rumänische Schriftsteller Norman Manea hielt vor einiger Zeit einen Vortrag in der Berliner Akademie der Künste. Sein provozierender Titel: "Exil und Kreativität". Das Exil lässt an Vertreibung, Entwurzelung, und Verzweiflung denken, an Verlorenheit, Depression, Elend und Tod - weniger an künstlerische Produktivität. Doch Manea argumentierte nicht leichtfertig. Er lebt ja selbst seit 1986 im nordamerikanischen Exil.
Norman Manea hatte das Märchen "Peter Schlemihls wundersame Geschichte" noch einmal gelesen, die Geschichte eines Mannes, der seinen Schatten verkauft, verfasst von einem, der für Maneas literarische Arbeit von großer Bedeutung ist: Adelbert von Chamisso. Der Adlige wird mit elf Jahren aus Frankreich vertrieben, die Französische Revolution zwingt die Familie 1790 ins Exil.
Zehn Jahre danach zieht der Neu-Berliner in einem Brief an Verwandte eine erste Bilanz: "Ihr stützt Euch darauf, was ich ohne die Revolution gewesen wäre. Ich erwidere, dass ich ein ganz anderer Mensch geworden wäre, dass ich unter den durchaus anderen Verhältnissen nie die Ideen, nie den Charakter entwickelt hätte, der heute eben meine Persönlichkeit ausmacht. ( ... ) Ich will daher unser Unglück, durch das ich mich gebildet habe, nicht anklagen."

Exil als Sprungbrett in eine neue Identität

Das Unglück formt Chamisso. Ihm wird die Kultur des Exillandes Heimat. Er wächst zum Dichter deutscher Sprache heran und wird ein bedeutender Naturforscher. Chamisso, der in seiner Wahlheimat Berlin beigesetzt wird, muss man sich als versöhnt mit seinem Schicksal vorstellen.
Das Exil ist ohne Zweifel ein Trauma. Die Exilierten gehören nirgendwo dazu, sie schweben zwischen allen Stühlen, sind zum Abschuss freigegeben. Aber: Das Exil kann auch eine Chance sein. Die Exilierten erfahren die Fremde, wenn sie Glück haben, als Sprungbrett in eine neue Identität. Unabweisbar drängt ihnen das Unglück neue Ideen und Ansichten von der Welt auf. Es kann ein "potentieller Impuls zur Erneuerung" sein, heißt es bei Manea, der viele bekannte Namen für seine These nennt: Picasso, Einstein, Bartók, Rachmaninow, Beckett, Nabokov, Celan, Hikmet.

Das Manuskript zur Sendung im pdf-Format finden Sie hier zum Herunterladen.

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