Europäische Union

Kurz und kritisch

Flaggen der Europäischen Union vor dem Gebäude der Europäischen Kommission in Brüssel, Belgien (14.5.2012)
Flaggen der Europäischen Union vor dem Gebäude der Europäischen Kommission in Brüssel © picture alliance / dpa / CTK Photo / Vit Simanek
SPD-Altkanzler Nummer 1 erklärt "sein" Europa, Nummer 2 setzt auf die Türkei und Russland als Partner. Wer die wahren Drahtzieher in der EU sind, erklären zwei Brüssel-Korrespondenten.
Er vermisst politische Kraft, die Europa über die derzeitige Finanzkrise hinweg nach vorne bringt, er vermisst Führung, die sich beispielsweise der Jugendarbeitslosigkeit und der Staatsschulden in Euroland annimmt. Die einzig vernünftige Institution sei derzeit, so Helmut Schmidt, die Europäische Zentralbank.
Cover Helmut Schmidt: "Mein Europa"
Cover Helmut Schmidt: "Mein Europa"© Verlag Hoffmann und Campe
Der Altbundeskanzler und Herausgeber der Wochenzeitung "Die Zeit" sieht sich als Europäer aus Vernunft, der einem strategischen Realismus folgt, mit dem er verhindern will, dass der Kontinent im Schatten aufstrebender Schwellenländer zur Randfigur der Weltpolitik wird. Zumal er die junge, europäisch geprägte Staatsform der Demokratie für gefährdet hält, da die Menschen unverändert das Leben in großen Städten bevorzugten, wo die Massen politisch leicht verführbar seien.
Er kritisiert an der EU, dass sie zu groß geworden sei, und wäre deswegen dagegen noch zusätzlich Türkei, Ukraine oder Weißrussland aufzunehmen. Vielmehr wünscht er sich mehr Macht für das Europäische Parlament und eine kleine, handlungsfähige EU-Kommission, die nach dem Mehrheitsprinzip entscheidet. Seinen eigenen Weg nach Europa lässt er Revue passieren, indem er eine Auswahl von Reden und Artikeln von 1948 bis 2012 vorlegt.

Helmut Schmidt: Mein Europa
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg
368 Seiten, 22,99 Euro

Gerhard Schröder, der jüngere sozialdemokratische Altbundeskanzler, würde durchaus auf die Nachbarn Türkei und Russland als starke Partner der EU setzen. Er empfiehlt gerade jetzt im ost-westlichen Streit um die Ukraine, den von ihm initiierten St. Petersburger Dialog zu stärken, mit dem Ziel, die Rechtstaatlichkeit und die Mittelschicht in Russland zu fördern.
Cover Gerhard Schröder: "Klare Worte"
Cover Gerhard Schröder: "Klare Worte"© Herder Verlag
Innerhalb der EU kommt es ihm auf Polen, Deutschland, Benelux, Frankreich und Italien an. Von ihnen erwartet er, dass sie den Südländern Zeit für Reformen geben, eine Koordination der Wirtschaft- und Finanzpolitik durchsetzen und eine gesellschaftliche Krise verhindern, die aus der Jugendarbeitslosigkeit erwachsen könne.
Und er sieht es, wen wundert es, als Fehler an, dass sich die SPD nicht zum Erfolg der rot-grünen Agenda 2010 bekennt. Sie könnte heute als erfolgreichste Partei in Europa dastehen, wenn sie es nicht stets vorzöge, die reine Lehre hochzuhalten. Nicht mit Steuerpolitik oder Umverteilung werde sie wieder Wahlen gewinnen, sondern mit einem Einsatz für den Wirtschaftsstandort Deutschland, für Arbeitsplätze in der Industrie.

Klare Worte. Gerhard Schröder im Gespräch mit Georg Meck über Mut, Macht und unsere Zukunft
Verlag Herder, Freiburg
19,99 Euro, auch als ebook erhältlich


Von wem und vor allem wie die Europäische Union regiert wird, haben sich zwei Brüsseler Korrespondenten vorgenommen zu erläutern. Unter Europas Strippenziehern verstehen sie natürlich die Lobbyisten aus Verbänden, Unternehmen und Anwaltskanzleien, die Abgeordneten im Europaparlament und die Beamten der EU-Kommission.
Cover: Cerstin Gammelin/Raimund Löw "Europas Strippenzieher. Wer in Brüssel wirklich regiert"
Cover: Cerstin Gammelin/Raimund Löw "Europas Strippenzieher. Wer in Brüssel wirklich regiert"© Econ Verlag
Doch machen Cerstin Gammelin von der "Süddeutschen Zeitung" und Raimund Löw vom Österreichischen Rundfunk sehr schnell klar, dass sie nicht in die Klage von einer überbordenden Bürokratie in Brüssel einstimmen. Dies sei ein hartnäckiger Mythos, den sie nicht fortspinnen wollen.
Sie interessiert vor allem der Europäische Rat. Über ihn führten sie vertrauliche Gespräche, schauten in geheime Sitzungsprotokolle und erfuhren, wie die Runde der Staats- und Regierungschefs Gipfel um Gipfel die europäische Krise zu meistern suchte.
Denn der Rat hat das Heft des Handelns an sich gerissen, Kommission und Parlament politisch ins Abseits gedrängt. Zugleich dominieren deutsch-französische Stimmungslagen die Debatten, haben die großen mehr zu sagen als die kleinen, rächt sich ein jeder der 28 an den anderen, indem er zu Hause gemeinsame Beschlüsse nicht umsetzt.
Nationaler Egoismus lässt Europa unverändert kleinteilig funktionieren. Umgekehrt ist es einfacher, auf das eigene Volk zu hören, weil es selbst Spitzenpolitiker nicht gelingt, einer Öffentlichkeit aus 28 Nationen gleichzeitig gerecht zu werden. Zwangsläufig fordere daher Europapolitik stets zum Widerspruch heraus.

Cerstin Gammelin und Raimund Löw: Europas Drahtzieher. Wer in Brüssel wirklich regiert
Econ Verlag, Berlin 2014
384 Seiten, 19,99 Euro, auch als ebook erhältlich