Europa-Debatte

Für eine EU der Rechtsstaaten

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Eine Landkarte der EU-Mitgliedsländer auf einer Wand aus Bausteinen, umrahmt von der EU-Flagge.
Frankreichs Präsident Macron sehe sich mehr als Nachfolger Napoleons denn als Diener des Volker, meint Buth. © picture alliance / dpa / epa belga EC
Ein Standpunkt von Matthias Buth · 16.05.2019
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Großbritannien und Frankreich handeln gegenüber der EU oft, als wären sie die Weltmächte von einst, kritisiert der Jurist Matthias Buth. Er vermisst bei beiden ein modernes Staatsverständnis, in dem Souveränität und Nation keine sakralen Größen sind.
Die Briten sind keine Nation – und ein Empire schon lange nicht mehr. Und genau dieser Einsicht verweigern sich unsere so nahen Nachbarn. Schotten, Waliser und Nordiren sind eben keine Engländer. Diese aber dominieren das Vereinigte Königreich. Es wird zerbrechen, wenn sich nicht endlich ein modernes Staatsverständnis einstellt, in dem Souveränität und Nation keine sakralen Größen sind, sondern staatsimmanente Prozesse, somit Verfassungsfragen im Wandel.
Volkssouveränität ist die Legitimationsquelle staatlicher Macht und Gewalt. Im vierteiligen britischen Bundesstaat geht die Angst um, der Dualismus um die staatliche Macht von London und den Teilstaaten könne zerbrechen. Das schottische Separations-Referendum von 2015 wirkt nach und damit die Konkurrenz um Teilhabe an Macht und Kompetenz. Für die Nordiren stellen sich ähnliche Fragen: das Aufgehen in der Republik Irland oder der Rückfall in einen religiös motivierten Bürgerkrieg.

Blind für die Verfassungskrise

Eine gesellschaftliche Diskussion über den britischen Staat und seine Nationen ist dringlich und damit eine Erörterung der Verfassung. Great Britain ist stolz, eben eine solche seit Jahrhunderten nicht zu haben und schaut bisher arrogant auf die kontinentalen Verfassungsdemokratien.
Dass Theresa May so selbstherrlich, ja monarchisch die Exekutive zum Maßstab bei der Brexit Debatte machte und erst vom Unterhaus in letzter Sekunde gestoppt wurde, zeigt, wie brüchig und unklar die staatlichen Kompetenzen verteilt sind. Der rechtlich nicht bindenden Volksbefragung von 2016 wurde sakrale Wirkung als Ausdruck authentischen Volkswillens verliehen. Wie wenig souverän da Frau May und die Tories wirkten, die eigene Karriere ebenso im Blick wie die spätere Fußnote in den Geschichtsbüchern!

Mehr Nachfolger Napoleons als Diener des Volks

Auch in Frankreich spiegelt der dortige zentralistische und paternalistische Staat dessen längst überholtes Selbstverständnis wider. Eigentlich müssten die Franzosen dieses dringend an die Realität anpassen. Doch Präsident Macron hat dafür kein Verständnis. Wie seine Vorgänger gibt er sich mehr als Nachfolger Napoleons denn als bescheidener Diener des Volkes.
Den gleichen, sich selbst überschätzenden Ton bekamen die Nachbarländer zu hören, als sich Macron im März 2019 in seinem in 22 Sprachen übersetzten Brief "An die EU-Bürger" als Paterfamilias zelebrierte. Zwar fürchtet er in seinem Land die Gelbwesten und die Le Pens, erkennt aber nicht, dass sich nicht nur die französischen Provinzen demokratische Teilhabe wünschen. Diese beginnt in den Regionalsprachen. Doch diese zu fördern und als Essenz des französischen Staates zu begreifen, kommt ihm nicht in den Sinn.

Macron will mehr Frankreich in Europa

Macron will nicht mehr Europa, er will mehr Frankreich in Europa. Sein imperialer Sprachgestus irritiert auch darin, dass er für ganz Europa und nicht nur für die EU zu sprechen sich aufschwingt. Dabei will er eines sicher nicht: die Vereinigten Staaten von Europa. Und den französischen Sitz im UN-Sicherheitsrat an die EU abtreten? Mitnichten. Das käme Macron nie in den Sinn!
Die EU-Wahlkämpfer sollten das endlich zur Kenntnis nehmen und Begriffe wie staatliche Souveränität, Volk und Nation nicht den Völkischen in der EU überlassen.
Wir Deutsche haben schreckliche Erfahrungen und gute Erkenntnisse in die EU einzubringen. Und wie wäre es, wenn Angela Merkel mal sagte: "Das deutsche Volk wird nicht europäisch abgeschafft, sondern bleibt - bleibt im Wandel wie die anderen Völker Europas"? Und das ist das Europa der Völker und Rechtsstaaten in der EU, das uns verbindet und begeistert!

Matthias Buth wurde 1951 in Wuppertal-Elberfeld geboren und lebt in Nähe von Köln, wo er Rechtswissenschaften studierte und über die DDR promovierte. Bis Ende 2016 war er Justiziar im Kanzleramt bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM). Seit 1974 hat Matthias Buth zahlreiche Gedicht- und Prosabände veröffentlicht. Im September erscheint von ihm der Band "Weiß ist das Leopardenfell des Himmels" (Berlin 2019).

© Quelle: privat
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