Eula Biss: Immun. Über das Impfen – von Zweifel, Angst und Verantwortung
übersetzt von Kirsten Riesselmann
Hanser Verlag, München 2016
240Seiten, 19,90 Euro
Kluges Plädoyer für das Impfen
Oft hat man den Eindruck, dass wissenschaftliche Argumente in der Impfdebatte nicht verfangen. Vielleicht hilft da der subjektive Ansatz der US-Wissenschaftlerin Eula Bliss. Sie erzählt von ihren Ängsten als Mutter und wie sie diesen begegnet ist.
Über das "große Für" und das "kleine Wider" zum Thema Impfen scheint eigentlich alles gesagt. Auch die Fronten zwischen Impfbefürwortern und Impfgegnern stehen, alle Argumente wurden ausgetauscht. Sollte man meinen. Doch Eula Biss beweist das Gegenteil: Ihr radikal subjektives und kluges Buch wirft einen ganz neuen Blick auf das Impfen.
Für Eula Biss lief es eigentlich gut: Ihr Vater Arzt, ihre Mutter Literatin, sie selbst Dozentin, verheiratet, ein Sohn. Doch genau mit ihm, dem Sohn, wird alles anders. Plötzlich wird die junge Frau von existentiellen Ängsten sein Wohlergehen betreffend heimgesucht: Unfälle, Chemikalien, Infekte – und damit auch die Impfungen, die in ihrem Bekanntenkreis sehr umstritten sind.
Eula Biss beginnt zu recherchieren, sie liest Studien, ruft Forscher an und steigt so immer tiefer ins Thema ein. Immer gelenkt von der eigenen Suche nach Antworten. Und genau das ist die Stärke ihres Buches. Abseits aller Fakten, ist sie eine Mutter, die das Beste für ihr Kind will, und Antworten auf ein umstrittenes Thema sucht. Wissenschaftliche Fakten allein reichen ihr nicht aus.
Lehren aus der Traditionellen Chinesischen Medizin
Sie fragt nach der Geschichte der Impfungen, und erfährt so zum Beispiel, dass in China schon vor langer Zeit Menschen gezielt mit mild verlaufenden Pocken angesteckt wurden. Damit wir ihr klar: Impfung gehört zum Programm der Traditionellen Chinesischen Medizin.
Sie lernt aber auch, dass es bei Impfungen und deren Durchsetzung immer auch um Macht geht. Das gilt auch heute noch, wenn etwa die internationalen Geldgeber in Nigeria massiv die Polioimpfung fördern, obwohl dort andere Krankheiten viel größeren Schaden anrichten. Die Masern etwa.
Schritt für Schritt taucht Eula Biss tiefer in das Thema ein. Sie untersucht auch die Sprache und Literatur zum Thema, und schlägt so interessante Brücken: "Dracula" ist für sie kein bloßer Horrorroman, sondern ein Sinnbild für Viren, für das Eindringen des Fremden, sogar für die wissenschaftliche Methode. Denn die Gegenspieler des Vampirs haben große Schwierigkeiten, seine Taten tatsächlich nachzuweisen.
Auch in der Impfdebatte hat Eula Biss Probleme, aus der Flut der Fakten und Daten wirkliche Erkenntnisse zu extrahieren.
Am Ende lässt sie ihren Sohn rundum impfen
Sie ist zu der Überzeugung gelangt, dass unterm Strich die Vorteile überwiegen. Dem Argument, Impfungen könnte das Immunsystem überfordern, hält sie entgegen, dass Infektabwehr eine ständige Aufgabe schon für Säuglinge sei. Am wichtigsten aber ist in ihren Augen, dass Impfungen die Gesellschaft schützen:
"Unser körperliches Wohlergehen steht immer im Zusammenhang mit Entscheidungen, die auch andere betreffen."
Diese Einsicht, so die Autorin, gehe in der Impfdebatte oft verloren. Gerade weil Eula Biss von ihren eigenen starken Ängsten ausgeht, ist ihr Eintreten für die Impfungen am Ende umso überzeugender. Und weil sie ihren ganz persönlichen Weg zu dieser Position schildert, können ihr vielleicht auch die Menschen folgen, die sich von rein wissenschaftlichen Argumenten nicht überzeugen lassen.