EU-Recht

"Sozialhilfe-Tourismus" vor Gericht

Die beiden Türme des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg
Der Europäische Gerichtshof hält Sperren von Internetseiten, die gegen Urheberrechte verstoßen, für rechtens. © picture alliance / dpa / Thomas Frey
Von Annette Riedel · 11.11.2014
Unterstützungsbedürftige Arbeitssuchende aus EU-Ländern können in Deutschland eine Grundsicherung beantragen. Das ist unstrittig. Diskutiert wird immer mal wieder, ob ihnen diese Unterstützung zum Lebensunterhalt in jedem Falle zusteht. Aus Sicht der EU-Kommission ist die Sache eindeutig.
Eine EU-Sprecherin stellte anlässlich der entsprechenden Diskussion Anfang des Jahres klar:
"Um in einem EU-Land soziale Leistungen in Anspruch nehmen zu können, muss ein EU-Bürger entweder Arbeitnehmer sein, oder ein enges Familienmitglied oder einen permanenten Wohnsitz im betreffenden Land haben."
Nichts von dem träfe in dem Fall, um den es jetzt geht, zu, entschied das Jobcenter Leipzig und verweigerte einer arbeitslosen rumänischen Staatsbürgerin und ihrem minderjährigen Sohn die Zahlung von Hartz-IV-Geldern. Das Sozialgericht Leipzig bestätigte die Entscheidung. Ob diese mit europäischem Recht im Einklang steht, wollte das Leipziger Gericht anschließend vom Europäischen Gerichtshof wissen.
Der Generalanwalt des EuGH, Melchior Wathelet, hat in seinem Plädoyer im Mai die Entscheidung der Leipziger für rechtens aus europäischer Sicht befunden. Er befindet sich damit auf einer Linie mit der EU-Kommission, wenn es um den sogenannten Sozialhilfe-Tourismus geht. Die Kommission findet nämlich, dass die bestehenden europäischen Gesetze den Mitgliedländern durchaus den Raum lassen, gegen Missbrauch von sozialen Leistungen vorzugehen, wenn sie dies wünschen.
Die seinerzeit zuständige damalige EU-Kommissarin Viviane Reding hatte mehr als einmal an die Adresse der Hauptstädte der EU-Länder betont:
"Es gibt eine Menge, was auf nationaler Ebene getan werden kann, um Sozialhilfe-Tourismus zu begegnen."
Es gehe also nicht um schärfere Gesetze, sondern um die konsequente Anwendung bestehender.
Die rumänische Klägerin, Frau Dano, um die es in dem jetzigen Fall exemplarisch geht, hatte seit geraumer Zeit in Deutschland bei einer Verwandten gewohnt, war aber noch nie erwerbstätig gewesen – weder in ihrem Herkunftsland noch in Deutschland. EU-Recht besagt, dass sich zwar jeder EU-Bürger in jedem EU-Land aufhalten darf und auch eine Arbeit suchen kann. Wenn jemand allerdings länger als drei Monate bleiben will, muss er nach diesem Zeitraum über ein ausreichendes Ein- oder Auskommen verfügen. Erst wenn er eine Arbeit aufgenommen hat, hat er dann das gleiche Recht auf alle sozialen Leistungen wie Einheimische.
Auch der CSU-Europaparlamentarier Manfred Weber hatte im Rahmen der Diskussion um Sozialmissbrauch wiederholt darauf hingewiesen, dass nicht Brüssel vorgehen müsse, sondern die EU-Mitgliedsländern dagegen vorgehen können:
"Was wir in Europa brauchen, ist eine Umsetzung der jetzigen Rechtslage. Deswegen ist der Hauptadressat die Städte und Kommunen in Deutschland, dass sie diejenigen, die sich nicht selbst versorgen können, dann eben auch ausweisen."
Das Plädoyer des Generalanwalts des EuGH vor einem halben Jahr lässt vermuten, dass das Urteil des Leipziger Gerichts heute bestätigt wird. Zumeist folgen die Richter der Einschätzung des Generalanwalts.
Mehr zum Thema