EU-Ratspräsidentschaft

Griechen hoffen auf Zukunftsperspektive

31.12.2013
Die Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft zum 1. Januar wird Griechenland nach Ansicht des früheren griechischen Regierungssprechers Evangelos Antonaros dabei helfen, die Zugehörigkeit zur Europäischen Union zu festigen.
Ute Welty: Mancher zuckt bei dem Gedanken, und dabei ist es nicht nur ein Gedanke, sondern eine Tatsache: Griechenland übernimmt die EU-Ratspräsidentschaft . Ausgerechnet das Land, das wohl hauptverantwortlich ist für die tiefe Krise, in der sich Europa befindet, für etliche Rettungspakete, für EFSF und ESM und für so manchen innenpolitischen Streit auch in Deutschland. Einen tiefen Einblick in die griechische Innenpolitik hat nach wie vor der ehemalige Regierungssprecher Evangelos Antonaros. Guten Morgen!
Evangelos Antonaros: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Eigentlich ist es ja die normalste Sache der Welt – die Ratspräsidentschaft wechselt nun mal alle halbe Jahre, und jetzt ist eben Griechenland an der Reihe. Trotzdem ist es zum Beispiel hier in Deutschland auch mehr als Routine. In Griechenland auch oder versuchst man da, den Ball möglichst flachzuhalten?
Antonaros: In Griechenland ist es ein bisschen mehr als Routine, das haben Sie richtig gesagt, also aus zwei Gründen: Die griechische Präsidentschaft, die Ausübung der griechischen Präsidentschaft hat sozusagen zwei Adressaten. Einmal unsere Partner, Griechenlands Partner in Europa. Ihnen will man zeigen, dass Griechenland trotz der Schwierigkeiten ein normales Land ist, das EU-Erfahrung hat und auch in der Lage ist, die EU-Präsidentschaft, die routinemäßige EU-Präsidentschaft richtig, ohne Probleme, möglicherweise durch die Setzung auch von ein paar Akzenten, durchzuführen. Und zweitens, es gibt einen zweiten Adressaten, das ist die griechische Bevölkerung. Der will also die griechische Regierung zeigen, dass es sozusagen einen anderen Weg als die Zugehörigkeit zur Europäischen Union und zur Euro-Zone nicht geben kann.
Der europäische Weg ist "der einzige Weg"
Welty: Halten Sie es denn überhaupt für möglich, dass diese Bemühungen von Erfolg gekrönt sind in einem Land, das von Armut und Arbeitslosigkeit beherrscht zu sein scheint und das auch mit einer zunehmenden politischen Radikalisierung zu kämpfen hat?
Antonaros: Gerade deswegen ist es wichtig, wie ich Ihnen auch vorhin gesagt habe, dass man diesen einzigen Weg aufzeigt und dran bleibt. Denn es gibt in der Tat in Griechenland eine gewisse politische Radikalisierung nach rechts und nach links, weil die Griechen oder größere Teile der griechischen Bevölkerung frustriert sind, unzufrieden sind, verunsichert sind und eigentlich nicht wissen, wie es weitergehen kann. Es kommt daher jetzt auf die griechische Regierung, auf Ministerpräsident Samaras an, die Richtigkeit dieses Weges zu beweisen.
Welty: Sie kennen Samaras sehr gut, haben lange mit ihm gearbeitet: Welche Chancen hat er, welche Möglichkeiten? Was ist sein Instrumentenkasten?
Antonaros: Einmal den Europäern bei den Gesprächen, die jetzt ab Mitte Januar fortgeführt werden sollen, zu zeigen, klar zu sagen, dass die Belastungsmöglichkeiten für die griechische Bevölkerung sozusagen ihre Grenzen erreicht haben…
"Die Griechen sind zutiefst verunsichert"
Welty: Das ist ja nun nicht neu!
Antonaros: Das ist nicht neu, aber das muss man immer wieder beweisen. Denn, wissen Sie, wenn man im Land gewesen ist und die Armutszeugnisse gesehen hat, die immer dichter werden, erst dann wird man sich dieser Realität bewusst. Und das Zweite ist: Er muss den Griechen zeigen, dass es einen Ausweg aus der Krise geben kann, und die ersten Anzeichen dafür muss es geben, wenn nicht unbedingt in der ersten Jahreshälfte – während der griechischen EU-Ratspräsidentschaft – dann aber im Laufe des Jahres. Deshalb hat er jetzt bei seiner Neujahrsbotschaft gesagt, dass Griechenland voraussichtlich im Laufe dieses Jahres wieder Zugang zu den internationalen Geldmärkten finden kann. Das wird, wissen Sie, den Griechen eine gewisse Perspektive geben, und das ist wichtig.
Welty: Für wie groß halten Sie das Risiko, dass angesichts der Präsidentschaft und den damit verbundenen Veranstaltungen mögliche Proteste auch eskalieren?
Antonaros: Ich halte das nicht für sehr möglich, aus dem ganz einfachen Grund: Die Griechen verhalten sich in den letzten, ich würde sagen, zwölf Monaten sehr zurückhaltend. Es gibt erheblich weniger Demonstrationen und Protestkundgebungen als früher. Das hängt natürlich mit den Schwierigkeiten, die fast jeder Grieche hat, zusammen. Die beschäftigen sich mit sich selbst, und deswegen gehen sie nicht auf die Straße. Die Griechen sind zutiefst verunsichert. Sie wissen nicht, wie es weitergeht. Deswegen sind diese sechs Monate EU-Präsidentschaft auch aus einem symbolischen Grund sehr wichtig. Sie zeigen eben, dass Griechenland zur Europäischen Union gehört und auch drin bleiben will.
"Die Opfer sind groß, für die Bevölkerung vor allem"
Welty: Wir muss in diesem Zusammenhang dann bewertet werden, dass es einen Anschlag gab auf die Residenz des deutschen Botschafters in Athen?
Antonaros: Das ist sehr zu bedauern, und diesen Anschlag von Extremisten haben alle politischen Parteien, soweit ich den Überblick habe, auch scharf verurteilt. Aber das ist ein Einzelfall, und es gibt immer solche Leute, die sich möglicherweise vorstellen, die zurzeit schwierigen, das gebe ich zu, deutsch-griechischen Beziehungen zusätzlich zu belasten. Das wird ihnen mit Sicherheit nicht gelingen. Sie haben keinen Rückhalt bei der Bevölkerung.
Welty: Bei all dem, was Sie beschreiben, warum sollte das in den nächsten sechs Monaten gelingen, wenn es in den vergangenen vier Jahren nicht gelungen ist?
Antonaros: Weil es wichtige Zwischenergebnisse gegeben hat. Man hat mittlerweile zum Beispiel das Defizit unter Kontrolle. Die Opfer sind groß, das ist klar, für die Bevölkerung vor allem. Aber jetzt könnte es einen kleinen Hoffnungsschimmer geben, dass man das Schwierigste doch überwunden hat, hinter sich gelassen hat.
Welty: Griechenland übernimmt die EU-Ratspräsidentschaft. Über Möglichkeiten, Chancen, Risiken und Nebenwirkungen der ehemalige Regierungssprecher Evangelos Antonaros. Ich danke sehr für dieses Interview und wünsche einen guten Rutsch!
Antonaros: Ich danke Ihnen auch und wünsche Ihnen auch einen guten Rutsch ins neue Jahr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema