EU-Migrationspakt

Interessensausgleich kommt vor Humanität

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Das Covid-19-Quarantänegebiet im neuen Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Lesbos.
Das Covid-19-Quarantänegebiet im neuen Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Lesbos. © picture alliance / dpa / Nicolas Economou
Von Paul Vorreiter · 23.09.2020
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Heute will die EU-Kommission einen neuen Migrationspakt vorstellen. Mehr als der kleinste gemeinsame Nenner werde dabei nicht rauskommen, kommentiert Paul Vorreiter. Das Elend in den Flüchtlingslagern werde sich nicht ändern.
So bitter es auch ist: Wer sich heute einen Neuanfang in der Flüchtlingspolitik erhofft, wird weiter träumen müssen. Leider ist Europa auch bei der Migration und inzwischen selbst bei europäischen Werten wie Rechtsstaatlichkeit und Humanität nur eine riesige Interessensausgleichsmaschine.
Und weil es beim Migrationspakt nicht nur um die menschenwürdige Unterbringung in Lagern wie in Moria geht, sondern ein ganzer Rattenschwanz an Fragen zur Diskussion gestellt wird, steht auch ein zähes Verfahren bevor.
EU-Innenkommissarin Johansson hatte gesagt, sie habe alle nationalen Sichtweisen in den Vorschlag, der heute präsentiert wird, einfließen lassen. Im Migrationspaket steckt also etwas drin von Standpunkten wie: "Wir wollen keine Flüchtlinge aus Griechenland bei uns aufnehmen" und "Es ist unsere moralische Pflicht, Menschen in Not zu helfen" sowie "Es dürfen keine falschen Anreize zur Flucht gemacht werden", aber auch "Wir wollen nicht mit den Flüchtlingen alleine gelassen werden".

Unerträgliche Situationen in Lagern

Was dabei rauskommen wird? Natürlich nur der kleinste gemeinsame Nenner, er nennt sich wohl "verpflichtende Solidarität". Ein mühseliger Kompromiss, der Grenzschließer Sebastian Kurz und Horst Seehofer, den selbst ernannten "einzigen humanen Innenminister Europas", an einen Tisch bringen soll. Den Kompromissvorschlag werden Mitgliedsländer und EU-Parlament dann auch noch in die eine oder andere Richtung verändern, ein monatelanges Tauziehen steht bevor.
Das wiederum heißt auch: Wir werden weiter unerträgliche Situationen in Lagern an Land oder auf See sehen, die an Europa verzweifeln lassen.
Wir werden erst mal weiter die sogenannten Ad-hoc-Lösungen erleben, bei denen sich erst im Angesicht der Katastrophe Länder zusammentelefonieren, um das Schlimmste an Land oder auf dem Meer zu verhindern, die dann eine Handvoll Migranten aufnehmen oder auch nur Zelte und Schlafsäcke schicken. Alles ein böser Traum, aus dem wir endlich aufwachen wollen? Heute ist er jedenfalls noch nicht ausgeträumt.
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