EU-Förderung

Bürokratische Hürden für Garnelen von der Ostsee

19:45 Minuten
Gerhard Vonnemann präsentiert eine Garnelenlarve aus seinem Zuchtbecken.
In 120 Tagen auf 23 Gramm: Gerhard Vonnemann präsentiert eine der Garnelenlarven aus seinem Anklamer Zuchtbecken. © Deutschlandradio / Silke Hasselmann
Von Silke Hasselmann · 17.05.2019
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Frische Garnelen aus Mecklenburg-Vorpommerscher Zucht: 15 Tonnen jährlich will ein Unternehmer künftig in Anklam produzieren. Die Landesregierung unterstützt das Projekt. Und die EU winkt mit Fördergeldern - doch der bürokratische Aufwand dafür ist gewaltig.
Zu Gast bei der Fraktal GmbH, gelegen am Rande eines Anklamer Gewerbegebietes. Hier kaufte der Lübecker Gerhard Vonnemann vor ungefähr drei Jahren ein bisschen Land, eine ehemalige Lagerhalle und ein kleines Verwaltungsgebäude. Nun steht auf dem Hof ein sechs Meter langes, eineinhalb Meter breites und knapp zwei Meter hohes Versuchsbecken für die geplante Garnelenzucht und macht Lärm. Die Sauerstoffanlage.
"Dieser Verdichter saugt Frischluft an und drückt die dann in das Wasser rein über einen Ausströmerschlauch", erklärt Gerhard Vonnemann. "Der ist porös. Dann steigen da die Luftblasen auf und geben den Sauerstoff an das Wasser ab."
Wassertemperatur, Salzgehalt, Futtermenge, Larvenanzahl pro Becken - alles muss so aufeinander abgestimmt sein, dass die aus Miami importierten Garnelenlarven hier 180 Tage lang auf das ideale Verzehr- und Vermarktungsgewicht von 23 Gramm heranreifen. Und zwar ohne den sonst üblichen Einsatz von Antibiotika. Die Anklamer wäre die erste Aquakulturanlage, die sogenannte Bio-Gambas auf den Markt bringen würde. Technisch kompliziert, nur so viel:
"Wir haben dann ein Becken, in dem unterschiedliche Altersgruppen von Garnelen gehalten werden in Koexistenz und dann von Netzen getrennt sind. Aber alle benutzen das gleiche Wasser."

Ein Blick ins Versuchsbecken

Derzeit schwimme die achte Generation in den Versuchsbecken, so Gerhard Vonnemann.
"So, und dann schauen wir uns mal um: In dem anderen Becken ist der Zugang leichter und da kann ich Ihnen ein paar rausholen."
Obwohl bereits im Rentenalter angekommen, wagt der Lübecker Maschinenbauingenieur und Patentanwalt noch einmal etwas Neues. Und finanziell Riskantes. Dass er ausgerechnet in Mecklenburg-Vorpommern Aquafarmer werden will, hängt damit zusammen, dass es deutschlandweit als einziges Bundesland die gezielte Vermehrung und Zucht aquatischer Lebensformen wie Fische, Krebse, Algen, Muscheln und auch Garnelen fördert. Nur das wiederum bietet Investoren den Zugang zu Mitteln aus dem Europäischen Meeres- und Fischereifonds (EMFF).
"Das ist dann so geregelt, dass dieser Antrag lokal abgegeben wird beim Landwirtschaftsministerium in Mecklenburg-Vorpommern, in Schwerin, die dann von der Fördersumme die Hälfte ko-finanzieren", erklärt Gerhard Vonnemann. "Die andere Hälfte ist nach meinem Verständnis von der EU finanziert. Im Moment sind die großen Brocken natürlich der Beckenbau und die Messausrüstung, die Steuerung. 400.000 Euro zahle ich, und 400.000 Euro, wenn wir Glück haben und das anerkannt wird, kommen dann aus diesem Fördertopf."
Vor wenigen Monaten erhielt die Fraktal GmbH einen ersten Zuwendungsbescheid über 290.000 Euro.
"Aber als Unternehmer fahren Sie immer das Risiko: Sie müssen alles vorfinanzieren, und machen Sie einen Formfehler, dann kann das eben aus juristischen Gründen abgelehnt werden. Und dann kriegen Sie kein Geld."
Nun hat Gerhard Vonnemann die erste Rechnung nach Schwerin geschickt und ist gespannt, was passiert. Denn die Richtlinien des EU-Fischereifonds sind derart kompliziert und detailliert, dass es schnell zu folgenreichen Formfehlern kommen kann. Da reiche schon ein fehlendes Datum oder eine der vielen erforderlichen Unterschriften im Antragswust.
Das weiß auch Gerhard Martin. Er ist der zuständige Fischerei-Referent im Schweriner Landwirtschaftsministerium, und sämtliche EMFF-Anträge aus Mecklenburg-Vorpommern gehen auch über seinen Tisch.
"Da gibt es also bestimmte Formansprüche", sagt Gerhard Martin. "Die sind schon sehr extrem. Und deswegen versuchen wir schon möglichst viel mit denen im Vorfeld zu erörtern, damit das gar nicht erst passiert. Aber es gibt trotzdem immer wieder Probleme."
Gerhard Martin steht vor einer biologischen Schautafel.
Gerhard Martin ist für die EMFF-Anträge aus Mecklenburg-Vorpommern zuständig.© Deutschlandradio / Silke Hasselmann
Allein Mecklenburg-Vorpommern hätte in der laufenden Förderperiode seit 2014 knapp 46 Millionen Euro aus dem EMFF abrufen können. Bislang ausgezahlt: etwas mehr als fünf Millionen Euro. Das wundert Gerhard Martin nicht. Noch nie sei es so kompliziert gewesen wie in der jetzigen Förderperiode, den Fischereifonds zu nutzen:
"Da hat die Europäische Gemeinschaft ein Bürokratiemonster geschaffen, das allen Mitgliedsstaaten Schwierigkeiten bereitet. Wir haben anderthalb Jahre gebraucht, nur um die Fördervoraussetzungen schaffen zu können. Nicht nur ich allein; ein ganzes Referat hat sich mit nichts anderem beschäftigt. Das gab es vorher nicht."

Aquakultur in Mecklenburg-Vorpommern politisch erwünscht

So konnten die Beamten erst Mitte 2017 damit beginnen, das EMFF-Programm umzusetzen und die Auszahlung erster Gelder bei der zuständigen MARE-Abteilung der Europäischen Kommission beantragen. Einen wesentlichen Teil machen dabei Projekte aus der Aquakultur aus, die in Mecklenburg-Vorpommern politisch erwünscht ist. Der Grund, so Gerhard Martin: In Deutschland, auch in MV, essen die Menschen immer mehr Fisch und Meeresfrüchte. Doch die heimischen Fischgründe und Seen vermehren sich nicht. Zudem drücken diverse EU-Fangquoten die Erträge der Küstenfischer und der Hochseefischerei Mecklenburg-Vorpommern.
"Also", so Gerhard Martin: "In Deutschland werden 88 Prozent aller aquatischen Organismen - das sind natürlich vor allem Fische - importiert. Wenn man das weiß, ist klar: Die Zielsetzung der Landesregierung kann es nur sein, diese Aquakultur weiter aufzubauen, damit allein das, was in Mecklenburg-Vorpommern gegessen wird, möglichst im Land Mecklenburg-Vorpommern gefangen oder aufgezogen wird. Und da sind wir noch lange nicht."
6500 Tonnen jährlich strebt das Land an. Der Produktionsstand liegt aktuell bei circa 1.200 Tonnen pro Jahr. Das hänge auch damit zusammen, dass es noch zu wenige Aquafarmen in Mecklenburg-Vorpommern gibt und zu viel Bürokratie bei der Förderung, meint Gerhard Martin.
Der einzige Wandschmuck in seinem ansonsten karg eingerichteten Arbeitszimmer: große Karten mit dem Konterfei aller möglichen Fisch- und Garnelenarten. In seinem steingrauen Anzug entspräche er dem landläufigen Klischeebild von einem staubtrockenen Verwaltungsmenschen.

Unübersichtlich wegen steigender Bürokratie

Doch obwohl Gerhard Martin seit 28 Jahren für die Fischerei in Mecklenburg-Vorpommern zuständig ist, ärgert er sich maßlos darüber, was aus dem EU-Fischereifonds geworden ist. Kam der in der vorherigen Förderperiode noch mit drei, vier Durchführungsverordnungen aus, seien es jetzt beinahe 50, Tendenz steigend. Außerdem lief bis 2014 alles viel übersichtlicher.
"Wir haben eine Excel-Tabelle mit 16 Spalten gehabt", erläutert Gerhard Martin. "Die haben wir nach Brüssel geschickt; für jedes Projekt eine Zeile. Jetzt haben wir eine Datenbank, wo jeder Schritt einzeln dokumentiert wird, damit nichts manipuliert werden kann. Der Grundgedanke ist gut. Aber der Aufwand ist irre. Für jedes Vorhaben müssen über 200 Fragen durchgecheckt werden, ob das richtig ist. Und wenn irgendwo ein Fehler gemacht worden ist, muss das gleich von vorn wieder neu eingegeben werden. Oder: Excel rundet anders ab als dieses Programm. Dann geht es um einen Cent! Überlegen Sie sich mal: Wegen einem Cent sitzt dann einer eine Stunde davor, um alles zu korrigieren. Was für ein Schwachsinn."
Zurück am Rande des kleinen Versuchsbeckens der Fraktal GmbH Anklam, wo Gerhard Vonnemann eine Luke der Überdeckung öffnet und mit einem kleinen blauen Käscher versucht, eine Garnele zu fangen.
"Ah, da ist eine! Der Darm ist gefüllt. Alles, was wir von einem Shrimp erwarten, hat die."
"Wie alt ist die denn?"
"Die dürfte 80 Tage alt sein."
Eigentlich sollte die große Anlage in diesem Jahr fertig sein. Doch der Bund sattelt auf die ohnehin komplizierte EU-Bürokratie noch drauf, und das versteht der sonst so gemütlich wirkende Norddeutsche nicht. Es sei ihm in der heutigen Zeit des allgemeinen Baubooms praktisch unmöglich, innerhalb von sechs Wochen drei Angebote verschiedener Firmen für den Bau der 35 Meter langen Garnelenbecken einzuholen. So ist es aber vorgeschrieben im deutschen Vergaberecht, und deshalb verzögert sich sein Projekt, in dem schon viel privates Kapital steckt.
Dennoch sagt der Lübecker mit Blick auf seine fünf hochmotivierten Mitarbeiter und auf die mittlerweile achte Versuchsgeneration Garnelen, er glaube an Bio-Gambas aus dem vorpommerschen Anklam:
"Es bleibt abzuwarten, ob sich das realisieren lässt, weil mit diesem Verfahren, das in der Welt in dieser Form noch nicht durchgeführt wurde, sich auch Risiken ergeben. Aber dafür habe ich auch die Erfahrung, dass man vieles doch lösen kann, wenn das Problem erst auftritt."
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