EU-Debatte

Wie die deutsche Politik von den Briten überrollt wird

David Cameron gestikuliert bei einem Auftritt in Brüssel
David Cameron bei einem Auftritt in Brüssel: Er braucht nun europäische Partner. © picture alliance / dpa
Von Almut Möller · 18.02.2014
Premierminister David Cameron stellt Großbritanniens EU-Mitgliedschaft auf den Prüfstand - und bietet sich so als Anführer einer Reformbewegung an. Damit treffe er den Nerv vieler Europäer, meint die Politikwissenschaftlerin Almut Möller. Jetzt müsse Berlin reagieren.
Jetzt ist es also wieder soweit. Für die Briten steht die EU-Mitgliedschaft zum zweiten Mal seit 1975 auf dem Prüfstand. Auf der Insel tobt seit Monaten eine derart ideologische Debatte, dass sich Kontinentaleuropa die Augen reibt - und am liebsten wegschauen würde.
Die europakritische United Kingdom Independence Party treibt die Konservativen vor sich her und diese ihren eigenen Premier. David Cameron hat angekündigt, neue Bedingungen mit der EU auszuhandeln und darüber die Briten abstimmen zu lassen. Das Kalkül ist natürlich, die nächsten Wahlen ebenso zu gewinnen wie das Referendum. Im Klartext heißt das "weniger Europa", damit die Briten weiter in der Union bleiben können. So der Plan.
Was Cameron braucht, sind europäische Partner, die mit ihm über eine "Mitgliedschaft light", über die Alternative "Reformen oder Austritt" überhaupt verhandeln wollen. London setzt darauf, dass Berlin helfen soll. Hier gibt man sich offiziell zugeknöpft. Hinter verschlossenen Türen aber rauchen die Köpfe.
Und wirklich muss die deutsche Politik aufpassen, von der britischen Offensive nicht überrollt zu werden. Zu gefährlich könnte ein gleichgültiges oder gar beleidigtes Achselzucken werden. Zu oft hört man in Berlin, das sei nun wirklich eine britische Angelegenheit. Die britische Bevölkerung möge darüber entscheiden, was ihr die Londoner Regierung eingebrockt habe, und endlich die aufgestauten Spannungen bereinigen, so gesehen sei dies jetzt ein guter Zeitpunkt.
Berlin muss eine Antwort finden
Nein, es ist ein denkbar schlechter. 2014 dürfte ein ungemütliches Jahr werden. Die Krise der Währungsunion ist nur vordergründig gebändigt, da rüsten sich auf dem ganzen Kontinent europafeindliche Populisten für die Europawahlen im Mai. Seit Jahren versucht die Kanzlerin, die EU zusammenzuhalten. Nun droht die "britische Frage", die Union zu zerreißen, wenn Berlin keine Antwort findet.
Erstens, weil schon die Debatte darüber, nicht erst ein Austritt des Vereinigten Königreichs, Schockwellen quer über den Kontinent schicken wird. Zweitens, weil die Deutschen natürlich kein Interesse daran haben, die oft unbequemen Briten als wichtige Partner zu verlieren – weltoffen, binnenmarktorientiert, sicherheitspolitisch engagiert, wie sie sind. Und schließlich drittens, weil die verflixten Briten die EU in die Blamage treiben könnten, erst Zugeständnisse zu erzwingen, um vielleicht am Ende doch mit "Nein" zu stimmen.
David Cameron steht eigentlich schlecht da – er ist in Europa aus dem Abseits gestartet. Aber er hat seine Chancen gut gespielt. Er ging in die Offensive, bot sich als Anführer einer Reformbewegung an, die die EU dringend brauche. Seine Berater haben inzwischen gelernt, Forderungen so zu formulieren, dass sie in anderen Ländern gut ankommen.
Den Nerv vieler europäischer Bürger getroffen
Mehr Wettbewerbsfähigkeit, mehr Demokratie durch starke nationale Parlamente, Beschränkung auf das Wesentliche – das klingt wie die richtige Konsequenz aus der Krise, die niemand ernsthaft verweigern kann. London hat mit seinem Werben um Reformen den Nerv vieler europäischer Bürger getroffen – auch in Deutschland.
Es wäre unklug, den Briten jetzt das argumentative Feld zu überlassen. Auf einmal geht es gar nicht mehr um deren Austritt, sondern darum, wer die Eckpunkte der Europadebatte bestimmt. Die Bundesregierung sollte sich nicht zu sehr darauf verlassen, dass sie da noch das Ruder in der Hand hat. London betreibt smarte public diplomacy. Der muss Berlin mehr entgegensetzen.
Almut Möller leitet das Alfred von Oppenheim-Zentrum für Europäische Zukunftsfragen im Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e. V. (DGAP). Ihre Themen sind die innere Organisation der Europäischen Union sowie die EU-Außen- und Sicherheitspolitik.

Sie hat Politikwissenschaft, Neuere und Neueste Geschichte und Europarecht studiert. Zuvor arbeitete sie als freiberufliche politische Analystin in London (2008-2009) und war Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Centrum für angewandte Politikforschung (CAP) in München (2002-2008). Sie ist auch Mitglied im erweiterten Vorstand von Women in International Security (WIIS.de) und Non-Resident Fellow am American Institute for Contemporary German Studies (AICGS) der Johns Hopkins University in Washington DC.
Almut Möller
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