EU-Abgeordneter warnt vor rechtsgerichtetem Bündnis

Moderation: Marietta Schwarz · 13.11.2013
Dass rechtspopulistische Parteien nach den Wahlen 2014 zahlreiche Abgeordnete stellen könnten, sei eine wichtige und abschreckende Erkenntnis für alle Demokraten, sagt Jan Philipp Albrecht. Denn das würde dazu führen, dass die Mehrheitsbildung im EU-Parlament viel schwieriger würde.
Marietta Schwarz: Im Europaparlament sind sie zersplittert, in den Mitgliedsstaaten stark – die Rechtspopulisten, allen voran die niederländische PVV und die Front National in Frankreich. Beide in ihren Ländern den Umfragen nach stärkste Kraft. Schon etwas länger sucht der Niederländer Geert Wilders Verbündete für die Europawahl im Frühjahr. Nach Besuchen in Österreich, Belgien und Frankreich steht heute der Gegenbesuch der Front-National-Chefin Marine Le Pens in Den Haag an. Das ist mehr als eine Anstandsvisite, denn ganz klar, Geert Wilders strebt ein rechtes Bündnis im Europaparlament an, das mit mindestens 27 Sitzen dann auch Fraktionsstatus hätte. Jan Philipp Albrecht ist am Telefon, grüner Europaabgeordneter. Guten Morgen, Herr Albrecht!

Jan Philipp Albrecht: Guten Morgen!

Schwarz: Zunächst mal ganz technisch gefragt: Was könnte eine rechtspopulistische Fraktion im Europaparlament, darum geht es ja, aus- beziehungsweise anrichten?

Albrecht: Na gut, also diese Erfahrung, die haben wir schon einmal gehabt, 2007, da hat es eine rechtsextreme Fraktion gegeben, angeführt von Alessandra Mussolini, der Enkelin des bekannten Diktators, und das war schon ein Schock natürlich im Europäischen Parlament. Die haben sich dann relativ zügig wieder aufgelöst, weil sie sich zerstritten haben mit denjenigen, die sie in ihrer eigenen Fraktion hatten, aus Rumänien und Bulgarien, über die Frage der Zuwanderung aus diesen Ländern. Aber das führt dann dazu, dass natürlich im Europäischen Parlament die Mehrheitsbildung viel, viel schwieriger wird und es vor allen Dingen dazu kommt, dass diese Fraktion alle Rechte bekommt. Alle Gelder, die auch die anderen Fraktionen bekommen, alle Mitarbeiter, und die werden natürlich genutzt von diesen rechtsextremen Parteien.

Schwarz: Ist dieses Scheitern von 2007, von dem Sie gerade sprachen, möglicherweise auch ein Grund für Wilders, dass er nicht den Schulterschluss mit allen Rechten in der EU zu suchen scheint, oder die nicht mit ihm? Also Jobbig in Ungarn, Ukip in Großbritannien? Von denen ist ja bei der Bündnissuche nicht die Rede – warum?

"Den Rechtspopulismus salonfähig machen"
Albrecht: Das spielt auf jeden Fall eine Rolle. Geert Wilders hat ja versucht, in den Niederlanden also auch ein Stück weit diesen Rechtspopulismus salonfähig zu machen, wie auch zum Beispiel Herr Strache in Österreich oder vorher Herr Haider, auch mit Erfolg, muss man ja sagen, haben sie sich ein Stück weit emanzipiert von diesen Neonazi-Positionen, wie sie zum Teil von der NPD oder anderen in Europa verbreitet werden, die offen neonazistisch, faschistisch oder antisemitisch auftreten. Wohingegen sie versuchen, zwar sich davon abzugrenzen, auf der anderen Seite aber das natürlich auch ein Stück weit nur offenkundig oder oberflächlich der Fall ist, nicht jedoch, wenn man genau hinguckt. Denn genau solche Positionen finden sich zum Beispiel bei der Front National, mit denen er jetzt ein Bündnis eingehen will.

Schwarz: Aber was ist das für ein Bündnis? Also, es gibt diese große Gemeinsamkeit, nämlich die Europakritik. Aber dann gibt es ja auch viele Unterschiede. Also geht es Wilders und seinen potenziellen Verbündeten um einen Austritt?

Albrecht: Nein, das glaube ich nicht. Das ist auch nicht Teil des Programms. Sie vermitteln eine Position, die darauf gerichtet ist eben, überhaupt erst mal durch populistische Bewertungen der Lage in Europa auf Stimmenfang zu gehen, nämlich sie reden von einer Überfremdung, sozusagen, der europäischen, der westlichen Kultur. Sie reden davon, dass also Massenzuwanderung nach Europa oder in ihr eigenes Land stattfindet, und sie reden davon, dass "die da oben", also die in Brüssel, die Regierungen und die EU-Kommission, also die EU-Vertreter, dass die sozusagen überhaupt gar nicht mehr das Wohl des Volkes oder der eigenen Menschen sozusagen im Kopf haben, sondern für irgendwelche andere wie auch immer bestimmte und hier auch nicht näher benannte Mächte eintreten. Das ist nichts anderes als ganz klar Populismus, ohne dass man dabei tatsächlich die eigentlichen Strukturen erklärt und die eigentlichen Probleme benennt.

Schwarz: Nun haben die Rechtspopulisten ja gute Chancen, auf diese mindestens 27 Sitze, die man als Fraktion braucht, zu kommen im Europaparlament. Wie geht man damit am besten um?

Albrecht: Ja gut, also wir müssen jetzt erst mal feststellen, und das ist, denke ich mal, auch eine Erkenntnis, die für alle Demokraten genauso erschreckend wie auch wichtig ist, dass im kommenden Europäischen Parlament Populisten deutlich zunehmen werden. Solche vor allen Dingen am rechten Rand, so wie Geert Wilders oder Marine Le Pen und ihre Front National, die werden im kommenden Europäischen Parlament eine ganz beträchtliche Zahl an Abgeordneten gewinnen. Wie viele es am Ende sein werden, wie viele sie vor allen Dingen in einer Fraktion zusammenkriegen werden, das ist noch mal eine andere Frage, denn wie gesagt, es gibt erhebliche Unterschiede zwischen den Parteien, erhebliche Schwierigkeiten, natürlich gerade rechtsextreme oder Rechtspopulisten zusammen in eine gemeinsame Fraktion international zu bekommen. Denn das ist ja nun gerade das, was sie ablehnen. Sie wollen ja nun gerade sozusagen die Rückkehr ins Nationale und in das Völkische nahezu. Und insofern wird das abzuwarten bleiben.

"Weniger Abgeordnete für die demokratische Willensbildung"
Das Problem am Ende ist vor allen Dingen, dass, je mehr Abgeordnete einzeln oder von Parteien von diesem Spektrum ins Europäische Parlament kommen, desto weniger Abgeordnete stehen der demokratischen Willensbildung im Europäischen Parlament zur Verfügung und desto weniger Möglichkeiten für Mehrheitsbildung im Europäischen Parlament jenseits einer ja auch in anderen Ländern jetzt im Trend stehenden großen Koalition wird es geben. Das heißt also letztendlich, man muss sich überlegen, wie man damit auch als Parteien versucht umzugehen, denen keinen oder möglichst wenig Raum zu geben.

Schwarz: Wer wählt denn die Rechten? Wenn wir jetzt zum Beispiel mal auf Frankreich gucken, das haben Sie ja auch genauer im Blick. Ist das nur Politikverdrossenheit?

Albrecht: Nein. Also ich glaube, dass zunächst einmal die Situation so ist, diese Parteien gehen auf Stimmenfang mit populistischen, zum Teil rechtsextremen Ansagen und Antworten, indem sie sozusagen Sündenböcke suchen und benennen und einfache Lösungen präsentieren. Das ist die Situation für diese Parteien, und damit versuchen sie sozusagen, Stimmen zu bekommen. Natürlich ist aber die Umgebung, in der sie das machen, im Moment für sie eine dankbare Umgebung, denn die Menschen in Europa sind vielfach enttäuscht von der Politik, weil sie das Gefühl haben, also da könnten irgendwie Finanzmarktakteure oder Geheimdienste sein, die über den Regierungen stehen. Irgendwie ist unklar, wie eigentlich die souveräne Entscheidung der Wähler in Europa eine Auswirkung zum Beispiel auf das Handeln der Troika hat. All diese Fragen müssen beantwortet und vor allen Dingen auch erst mal richtig diskutiert werden von den demokratischen Parteien. Da müssen wir, glaube ich, noch stärker daran arbeiten, auch eine sichtbare Auseinandersetzung zwischen Demokraten zu gestalten.

Schwarz: Die europäischen Rechtspopulisten bereiten ein Bündnis vor. Jan Philipp Albrecht, grüner Europa-Abgeordneter, danke für das Gespräch!

Albrecht: Vielen Dank auch!

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