Ethik

Freude über päpstlichen Weckruf

Großaufnahme von Sahra Wagenknecht während einer Rede im Bundestag im Februar 2013.
Sahra Wagenknecht (Linke) © dpa picture alliance / Wolfgang Kumm
Moderation: Nana Brink · 28.02.2014
Sahra Wagenknecht hat das Sozialwort der Kirchen als sehr konsequent und klar begrüßt. Sie finde allerdings fragwürdig, wie sich Parteien christlich nennen könnten, die politisch alles dafür täten, dass die Ungleichheit wachse.
Nana Brink: Diese Äußerung ihrer ersten Rede vor dem Bundestag hätte man Sahra Wagenknecht nicht unbedingt zugetraut und sie sorgte auch für erhebliche Erheiterung! Ausgerechnet Papst Franziskus diente der überzeugten Marxistin als Gewährsmann, als sie sich auf seine Aussage bezog, das Geld solle dem Menschen dienen und nicht umgekehrt. Das sei wahrlich sozial. Dieser Satz also von Papst Franziskus könnte auch im ersten ökumenischen Sozialwort der evangelischen und katholischen Kirche in Deutschland seit 17 Jahren stehen, das heute vorgestellt wird. Der schnöde Mammon habe zu viel Macht über das Leben der Menschen, schreiben die beiden Kirchen, man dürfe die Gewinnmaximierung um jeden Preis nicht tolerieren. Sahra Wagenknecht, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, schönen guten Morgen, Frau Wagenknecht!
Sahra Wagenknecht: Guten Morgen!
Brink: Wie kommt es, dass Sie als Linke den Papst loben?
Wagenknecht: Also, ich habe mich sehr gefreut über seinen Weckruf, weil, ich finde das sehr wichtig, dass gerade auch eben Vertreter der Kirche, in dem Fall auch des Katholizismus, das Oberhaupt, dass er auch die Werte dieser christlichen Religion ernst nimmt. Und wenn man die ernst nimmt, dann muss man sich auflehnen gegen eine Wirtschaft, wo die einen sich schamlos bereichern und andere tatsächlich teilweise nicht mal die Mittel zum Überleben haben. Und da muss man ja nicht mal bis nach Afrika sehen oder nach Süd-, Ostasien, sondern wir haben ja selbst in Europa eine immer tiefere Spaltung und eine dramatische Krise in Südeuropa.
Brink: Sie haben gesagt, die Linke nehme die Botschaft von Papst Franziskus sehr ernst. Haben Sie jetzt einen neuen Verbündeten gefunden?
Wagenknecht: Ich will natürlich den Papst nicht vereinnahmen und ich denke, das würde er auch gar nicht wollen. Aber ich finde gut, wenn im Grunde alle, die aufgrund ihres Wertesystems zu dem Schluss kommen, dass menschliche Gesellschaften nicht auf dem Grundsatz beruhen können, dass Einzelne sich bereichern, dass es Einzelnen wunderbar geht und dass die Mehrheit an Wohlstand verliert, dass soziale Leistungen abgebaut werden, wenn alle diejenigen sich gegen die heutige Entwicklung und vor allem natürlich auch die Politik, die die Weichen gestellt hat, sich dagegen wenden. Und deswegen freue ich mich natürlich, wenn es da aus kirchlicher Sicht, aus christlicher Sicht klare Widerworte gibt. Und das war ja in der Botschaft des Papstes wirklich sehr, sehr deutlich.
Brink: Aber es ist Ihnen schon klar, dass Papst Franziskus zwar eine Kirche für die Armen propagiert, aber Reichtum für eine gute Sache hält, weil es unsere Freiheit vermehre? Passt das denn dann in Ihr Bild oder wollen Sie nur den halben Franziskus?
"Reichtum ist natürlich eine gute Sache"
Wagenknecht: Nein, Reichtum ist natürlich eine gute Sache. Die Frage ist, wem er zugute kommt. Reichtum, eine Gesellschaft, die reich ist, also die produktiv ist, die viel Erfolg …
Brink: Aber er meinte ganz persönlich, auch persönlichen Reichtum.
Wagenknecht: Ja, ich bin nicht diejenige, die etwas gegen Reiche hat. Ich habe nur etwas gegen Reichtum, der sich beispielsweise auch seiner gesellschaftlichen Pflichten entzieht. Also, wenn ich sehe, dass wir in Deutschland nicht nur mit die größte Ungleichheit bei der Verteilung der Vermögen haben, sondern auch die tiefste Besteuerung von großen Vermögen im europäischen Vergleich, oder wenn ich sehe, dass große Konzerne also wirklich alle Tricks ausnutzen, so gut wie keine Steuern mehr zu zahlen, und wenn ich sehe, dass die Politik das alles laufen lässt, dass sie wegsieht, dann sind das skandalöse Zustände. Und das ist das, wogegen sich natürlich auch der Papst, aber wogegen vor allem auch wir uns richten, weil ich meine, das muss nicht so sein, das kann sich ändern und das sollte sich ändern.
Brink: Beide Kirchen mischen sich ja in ihrem Sozialwort auch ein in die aktuelle und politische Debatte. Sie haben gerade das Stichwort gegeben, beide Kirchen kritisieren auch in ihrem Sozialwort die laxe Steuermoral, also genau, dass global agierende Unternehmen und hohe private Vermögen die Möglichkeiten haben, ja keine Steuern zu bezahlen. Da könnten Sie doch glatt in die Kirche eintreten?
Wagenknecht: Ja, ich glaube, man muss deshalb nicht in die Kirche eintreten. Weil, entweder glaubt man oder man ist eben atheistisch aufgewachsen, das ist bei mir der Fall. Aber ich habe schon immer gern mit Christen zusammengearbeitet und auch sehr, sehr gute Erfahrung damit gemacht, dass man eben gemeinsam um bestimmte Inhalte kämpft. Was ich fragwürdig finde, ist, wie sich in diesem Land Parteien christlich nennen können, die in ihrer Politik im Grunde alles dafür tun, dass die Ungleichheit größer wird. Und deswegen würde ich mir wünschen, wer ernsthaft an christlichen Werten festhält, dass dann auch deutlicher kritisiert wird, was eigentlich diese Parteien mit ihrer Politik noch also als christliche Parteien auszeichnen soll.
Brink: Nun muss man fairerweise auch dazu sagen, dass sie, die beiden Kirchen, in ihrem Sozialwort auch sagen, auch den Mindestlohn loben. Also, man ist das durchaus auf dem richtigen Weg, das sollte man nicht unterschlagen.
Unchristliche Arbeitsverhältnisse
Wagenknecht: Nein, ich finde ja das Sozialwort auch sehr, sehr konsequent, auch sehr klar. Es gibt natürlich über den Mindestlohn hinaus eben auch auf dem deutschen Arbeitsmarkt skandalöse Zustände bei der Leiharbeit, bei Werkverträgen, bei Dauerbefristungen. Und das ist ja das Problem, dass es auch meines Erachtens nicht besonders christlich ist, wenn man Arbeitsverhältnisse zulässt, von denen Menschen am Ende nicht leben können. Und wir haben in Deutschland immer mehr solche Arbeitsverhältnisse.
Brink: Jeder Mensch entwickelt sich ja im Laufe seines Lebens. Sie haben jetzt geschildert, dass Sie auch schon immer gerne mit Christen diskutiert haben. Als Marxistin, würden sie dann doch sagen, Religion ist kein Opium des Volks?
Wagenknecht: Nein, ich meine, die Äußerung von Marx bezieht sich natürlich auf die historische Rolle der Kirchen. Und diese Rolle war oft genug leider auch an der Seite der Reaktion. Und ich finde, da muss man einfach unterscheiden, ob jemand aufgrund seines christlichen Glaubens sich für Nächstenliebe engagiert, sich für gerade soziale Gerechtigkeit einsetzt, oder ob eine Institution in ihrer Geschichte eben auch sehr, sehr dunkle Kapitel hat. Und das hat natürlich die Kirche.
Brink: Auch die kommunistische Partei, also, da sind Sie ja auch sozusagen in schöner Gemeinschaft.
Wagenknecht: Ja, natürlich, auch das ist sehr, sehr klar. Aber ich würde jetzt auch nicht sagen, dass Marx verantwortlich ist für viele Verbrechen, die im Namen des Kommunismus begangen wurden, sondern das muss man schon unterscheiden. Und genauso würde ich das eben auch bei der Kirche oder auch bei der christlichen Religion tun.
Brink: Weil Sie Papst Franziskus so schätzen, ist Ihnen bestimmt nicht entgangen, was er zur kommenden Fastenzeit gesagt hat, gerade für die Gläubigen in wohlhabenden Ländern, sie beginnt ja nächsten Mittwoch am Aschermittwoch: Dringend notwendig sei eine Umkehr des Gewissens hin zu den Werten der Gerechtigkeit, der Gleichheit und des Teilens. Das wäre doch ein klasse Zitat für Ihre nächste Rede im Bundestag?
Politik sollte die Regeln ändern
Wagenknecht: Ja, das ist ja auch eine richtige Anregung. Das Problem ist, es reicht nicht, zumindest für Politiker nicht – also, der Papst hat eine ganz andere Rolle –, aber wir als Politiker, finde ich, sollten nicht an die Menschen appellieren, dass sie sich sozialer verhalten, sondern wir sollten die Regeln ändern, die es eben ermöglichen, persönliche Gier auszuleben zu Lasten der Allgemeinheit. Solange man das alles zulässt, ist eben die Politik selber ausgesprochen fragwürdig. Und das möchte ich ändern.
Brink: Würden Sie ihn gerne kennenlernen, und wenn ja, was würden Sie mit ihm besprechen?
Wagenknecht: Also, natürlich wäre das sicherlich ein reizvolles und interessantes Gespräch.
Brink: Auch ein tolles Foto!
Wagenknecht: Aber ich glaube, der Papst hat schon eine ganze Menge auf seiner Agenda. Sehr, sehr vieles im Argen, was die Politik ändern könnte. Und wenn die Kirchen dazu beitragen, dann bin ich darüber natürlich froh.
Brink: Dann sehen Sie sich vielleicht bald in Rom. Herzlichen Dank, Sahra Wagenknecht, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken. Schönen Dank, dass Sie mit uns gesprochen haben!
Wagenknecht: Sehr gerne.
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