Ethik des Sammelns

Von Jochen Stöckmann |
Museen als "kulturelle Gedächtnisse" können überfrachtet werden. Auch sie brauchen die Möglichkeit des Löschens von Daten, über das zum Beispiel ein individueller Speicher wie das Gehirn verfügt. Auf der Jahrestagung der deutschen Sektion des Museumsverbandes ICOM in Leipzig wird um die richtige Strategie gestritten.
"Ohne Sammlung kein Museum. Soll unsere Gesellschaft nicht in Amnesie verfallen, ist stetige Arbeit am Gedächtnis unserer Kultur und damit an den Beständen der Museen unabdingbar."

Scheinbar eindeutig umschreibt Staatsminister Bernd Neumann die "Ethik des Sammelns", das Thema der Jahrestagung von ICOM Deutschland. Aber was die in Leipzig versammelten Museumsleute als geradezu feierliche Beschwörung des Bundeskulturbeauftragten verstehen, darf auch als Warnung gelten, gerichtet an Bürgermeister und Landespolitiker, die ihre Haushalte auf Kosten des ohnehin kaum ins Gewicht fallenden Kulturetats zu sanieren gedenken. Und die dabei übersehen, dass durch ausschließlich ökonomische Vorgaben die Kernaufgaben der Museen gefährdet sind, neben dem Sammeln etwa eine wissenschaftliche Erforschung des Bestands. Schärfer noch formuliert Klaus Weschenfelder, Präsident von ICOM Deutschland, seine Kritik:

"Es wäre ganz und gar verantwortungslos, wenn wir heute nur die Früchte der Sammlungstätigkeit vergangener Jahrhunderte ernten wollten, aber nichts Neues säen. Es wird uns in fünfzig Jahren oder in 100 Jahren niemand fragen, wie viele Partys wir in Museen gefeiert haben, wie viele Bauchtanzgruppen aufgetreten sind - sondern man wird uns daran messen, was wir im Bereich des Sammelns geleistet haben."

Ein Erhalt um jeden Preis oder gar der unreflektierte Ausbau von Sammlungen kann aber nicht per se schon als kulturpolitische Leistung gelten. Diese Position von Hans Lochmann, Leiter des Museumsverbands Niedersachsen, wird nicht von allen Museumsleuten geteilt, obwohl seine Formel "gewichten statt raffen" einleuchtet:

"Auch das Sammeln unterliegt einem Zeitgeist: Denken Sie nur einmal an ein jüngeres Industrie- oder Technikmuseum: Es wurde alles gesammelt, was irgendwie schnell geborgen werden konnte - und erst dann wurde überlegt, was hebe ich davon auf? Da entsteht das Sammlungskonzept erst, nachdem das Haus schon vollgefüllt ist."

Eine bundesweite Tauschdatenbank der Museen könnte da Abhilfe schaffen, ist aber noch nicht einmal geplant. Doch ginge es nach Lochmann, dann müsste nicht nach Haushaltslage von heut auf morgen über die komplette Schließung ganzer Museen entschieden werden. Stattdessen ließe sich in einem kontinuierlichen Diskussionsprozess eine Museumslandschaft sinnvoll ordnen, die ja auch aus staatlich finanzierten Häusern für private, also selten planvoll aufgebaute Schenkungen besteht, die aufgrund des Prestigedenkens einer Kommune gewachsen ist oder einfach nur, weil es Fördergelder etwa der EU gab.

Auch Staatsminister Neumann weiß um solche Fälle:

"''Ich finde, es gehört auch zur ethischen Verantwortung - allerdings hier des Förderers - Häuser nicht zwangszubeglücken, sondern eine sinnvolle Sammlungspolitik in Abstimmung mit anderen zu ermöglichen."

Im Lichte dieser Erklärungen relativieren sich die jüngsten Schreckensmeldungen über Verkäufe aus dem Bestand der Bremer Weserburg. Dort wird eine dem als Sammlermuseum für private Leihgaben eigentlich wesensfremde eigene Kollektion aufgelöst. Der Großteil der 53 Kunstwerke bleibt der Öffentlichkeit erhalten, wird abgegeben an die Bremer Kunsthalle. Solch ein Tausch oder Verkauf zwischen Museen ist in England ein Mittel der staatlichen Kulturpolitik. Hierzulande mangelt es an fein strukturierten Anpassungsmöglichkeiten - und deshalb werden sich demnächst grobe, unbeholfene Eingriffe häufen. Auch für Michael Faber, Bürgermeister für Kultur, sind die Gestaltungsmöglichkeiten gering:

"Auch wir hier in Leipzig sind dabei, einen Vorschlag zu unterbreiten, das hiesige Naturkundemuseum zu schließen."

Die Reaktion darauf wird ähnlich wie bei dem jetzt angedrohten Aus für das Altonaer Museum in Hamburg lautstarker und entrüsteter Protest sein - am Ende vermutlich wirkungslos. Denn der eigentliche Skandal ist nicht die Schließung eines einzelnen Hauses, sondern die strukturelle Neuordnung der kompletten Museumslandschaft. Uwe Schneede, als ehemaliger Direktor der Kunsthalle Prototyp des kenntnisreichen und damit unabhängigen Museumschefs, kritisiert, dass den Museumsleitungen ein Kuratorium zur Seite gestellt werden soll, das über Ankäufe, Neugestaltung von Dauerausstellungen, Veranstaltungen und Forschungsprojekte entscheidet:

"Es soll nicht aus Kunstfachleuten bestehen, sondern aus Sponsoren, Spendern, ausdrücklich auch Marketingleuten. Dies ist Gesetz in Hamburg, zustande gekommen ohne Rücksicht auf die wissenschaftlichen, die künstlerischen und die erzieherischen Belange der Museen. Hier wird fahrlässig das Tor für den Einfall wirtschaftlicher Interessen wie privater Sammlerinteressen und für blanke Marketingstrategien geöffnet."
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