Esther Becker über "Wie die Gorillas"

Der weibliche Körper als Angriffsfläche

10:50 Minuten
Frau in einem Röntgengerät mit Münzen anstelle des Körpers.
Die vielen mehr oder weniger subtilen Erfahrungen, die eine heranwachsende Frau mit ihrem Körper in der Gesellschaft macht, wirkten wie eine Anweisung zur Selbstoptimierung, sagt Esther Becker. © Imago / Ikon Images
Moderation: Frank Meyer · 29.01.2021
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Drei junge Frauen beim Erwachsenwerden: Die Erfahrungen mit ihrem Körpern seien immer "irgendwie falsch", sagt Esther Becker über ihren Debütroman „Wie die Gorillas“. Denn jeder könne sich darüber äußern, sie bewerten oder schlimmstenfalls angreifen.
"Wie die Gorillas stolzieren wir noch ein paar Blocks": So beschreibt die Autorin Esther Becker in ihrem Debütroman, wie drei junge Frauen durch die Stadt ziehen. Aus diesem Satz stammt auch der Titel ihres Werks: "Wie die Gorillas". Dieser Vergleich stamme aus einer Szene, in der es ums Schauspielern gehe, sagt die 1980 geborene Dramatikerin, Schriftstellerin und Performerin. Ihre Theatertexte wurden bereits mehrfach ausgezeichnet.
Eine der drei jungen Frauen will Schauspielerin werden. Fürs Vorsprechen für eine sogenannte Hosenrolle bindet sie sich den Busen ab, die anderen beiden machen mit. Sie merken dann, "was für ein anderes und unangreifbareres Gefühl es ist, ohne Busen durch die Straßen zu laufen". Sie erleben, "was es heißt, ohne diese Angriffsfläche durch die Straßen gehen zu können".
Angriffsfläche deshalb, weil klar sei, "dass in unserer Gesellschaft der weiblichen Körper einerseits verdammt und mit Scham belegt ist und andererseits auch total übersexualisiert", erklärt Becker. Es gebe ein "allgemeines Verständnis, dass man sich über einen Frauenkörper äußern darf, ihn bewerten oder ihn im schlimmsten Fall angreifen darf".

Sammlung scheinbarer Nebensächlichkeiten

Ihr Roman sei eine Geschichte des Erwachsenwerdens. Sie habe "eine Biografie über Körperlichkeiten" erzählen wollen, zumindest über einen Teil eines Lebens. Die Erfahrungen, die ihre Hauptfigur mit ihrem Mädchenkörper macht, sei eine Sammlung scheinbar nebensächlicher Erfahrungen. "Es gibt eine Szene, wo sie im Schwimmunterricht das Bikinioberteil nicht mehr anzieht, weil sie noch keinen Busen hat, und daraufhin der Sportlehrer sie einfach ignoriert und sie nicht Kraulschwimmen lernt wie alle anderen", erzählt Esther Becker.
Foto von Esther Becker. Sie lehnt an einem Fenster.
„Eine Biografie über Körperlichkeiten“: Das sei die Idee zu ihrem Roman gewesen, sagt die Schriftstellerin Esther Becker.© Nane Diehl
In einer Szene wird der Freund einer ihrer Freundinnen, die die "Pille danach" nimmt, vom Apotheker blöd angepöbelt. "Dann gibt es eine Szene, wo die Protagonistin im Krankenhaus ist, und ihre Zimmernachbarin ist eine Frau, die von einem verschmähten Verehrer Säure ins Gesicht geschüttet bekommen hat." Die Protagonistin bekommt dann, ohne richtig gefragt zu werden, die Anti-Baby-Pille verschrieben. "Sie hat dann Nebenwirkungen, nimmt zu, kriegt dann mit: Nee, nee, das finden auch alle schlimm und versucht dann, abzunehmen."

Handlungsanweisung an die heranwachsende Person

Es sei die Vielzahl dieser kleinen Dinge, die der Protagonistin spiegelten, "dass sie so, wie sie ist, irgendwie falsch ist." Und: "Dass der Körper eine Baustelle ist, an dem man eigentlich immer etwas machen muss, ihn optimieren muss, um irgendwie in die Gesellschaft reinzupassen."
Erfahrungen, die mit der Aussage der Schriftstellerin und Feministin Simone de Beauvoir "Man wird nicht als Frau geboren: Man wird dazu gemacht" zusammenhingen, seien auch in ihrem Roman vorhanden, sagt Becker.
Einerseits habe sich an dieser Front schon einiges getan. Andererseits aber sei vielen nicht bewusst, dass ein Kind ja nicht nur etwa von den Eltern beeinflusst werde, sondern von der gesamten Gesellschaft. Sie empfinde es so, dass die Häufung mehr oder weniger subtiler Erfahrungen wie eine Handlungsanweisung an die heranwachsende Person sei. "Dass sie eben verinnerlicht: Aha, also das soll ich nicht, das darf ich nicht, das ist irgendwie schlecht. Ich muss aber immer so tun, als sei das von Natur aus so, ich darf auch nicht zugeben, dass da irgendwas Arbeit ist oder ich was manipuliere." Das seien teilweise widersprüchliche und grenzwertige Dinge, die einer Person, die als Frau erzogen wird, abverlangt werden.
(abr)
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