"Es ist immer wichtig, sich selbst ein Bild darüber zu machen"
78.956 mal 23.547 - das kann eine mittelschwere Aufgabe bei der Mind Sports Olympiad in London sein. Alles erlernbar, sagt Gert Mittring, Weltmeister im Kopfrechnen. Dafür brauche der Mensch keinen Computer. Denn "elegante Wege" zur Lösung finde er leichter.
Jan-Christoph Kitzler: Man kann da ja schon mal durcheinander kommen bei diesen Schwindel erregenden Zahlen. In der Krise bringt man oft Millionen und Milliarden durcheinander. Oder geht es am Ende nicht sogar um Billionen? – Es gibt viele Menschen, die ganz genau rechnen müssen, zum Beispiel auch die kleinen Summen, das Geld, das am Monatsende noch übrig bleibt oder eben nicht. Und wenn man dann noch ausrechnen will, wie viel Rente man irgendwann mal bekommt, dann wird es so richtig kompliziert. Rechnen ist eine wichtige Fähigkeit in diesen Zeiten, und ich spreche jetzt mit einem, der es besonders gut kann. Gert Mittring ist Informatiker, Erziehungswissenschaftler, Psychologe und nicht zuletzt amtierender Weltmeister im Kopfrechnen. Schönen guten Morgen!
Gert Mittring: Einen schönen guten Morgen!
Kitzler: Herr Mittring, wie muss man sich das eigentlich vorstellen – nur zur Erklärung -, eine Kopfrechen-Weltmeisterschaft?
Mittring: Eine Kopfrechen-Weltmeisterschaft gibt es natürlich in verschiedenen Ausprägungen. Eine zum Beispiel ist die in London, in England, im Rahmen der Mind Sports Olympiad, und da geht es darum, dass sehr viele Aufgaben ähnlich wie bei einer Klausur gestellt werden, zu allen denkbaren Themen, und da muss man eben sehen, dass man so viele Aufgaben wie möglich in der zur Verfügung stehenden Zeit lösen kann.
Kitzler: Ich habe gelesen, man darf sich nicht mal Notizen machen. Sagen Sie mal so eine Aufgabe, die da vorkommen könnte?
Mittring: Eine mögliche Aufgabe, die vorkommen könnte, ist, dass man natürlich mehrstellige Zahlen miteinander malnehmen kann, wie zum Beispiel 78.956 mal 23.547, oder so was in der Art.
Kitzler: Da passe ich jetzt, muss ich sagen. Aber okay!
Mittring: Das wäre jetzt so eine mittelschwierige Aufgabe. Und dann könnte man eben auch Wurzeln ziehen oder Wochentagsberechnungen oder eben auch Bruchrechnen oder Zerlegung großer Zahlen in Primfaktoren. Also es ist eine unheimliche Variation, es gibt über ein Dutzend Bereiche, die man dann in einer zur Verfügung stehenden Zeit auch lösen muss.
Kitzler: Harter Stoff. Wie bereiten Sie sich eigentlich darauf vor? Das Gehirn ist ja kein Muskel, den man irgendwie trainieren kann.
Mittring: Im Prinzip ist es so, dass ich versuche, eine Simulation zu machen, oder zwei, wenn es von der Zeit her möglich ist, und dann gucke ich, das kann ich gut und das kann ich weniger gut. Und das war es dann eigentlich auch schon. Es ist also ganz simpel. Also ich analysiere einfach, was mir liegt und was mir weniger liegt, und dann ist es okay. Wenn ich zu viel üben würde, dann wäre wieder der Spaß dahin. Dann ist das so, dass auch die Lust dann geringer ist, und dann schneide ich auch schlechter ab. Also es darf nicht zu viel sein.
Kitzler: Wie viel Zeit verbringen Sie denn mit Kopfrechnen?
Mittring: Im Alltag ist es im Prinzip so, dass ich schon, wenn ich Spaß und Lust habe, mir ein paar Aufgaben auch mal pro Tag stelle. Allerdings gibt es auch Tage, da rechne ich gar nicht, da habe ich mit Philosophie, mit Reisen und anderen Dingen zu tun. Aber ich möchte auch trotzdem die Technik des Kopfrechnens, sage ich mal, die Begeisterung auch mit anderen teilen, und versuche auch zu beweisen oder zu erklären, dass es auch nicht so besonders schwierig ist, dass man da jetzt nicht exorbitant begabt sein muss, um so etwas zu beherrschen. Da erlaube ich mir, auf mein Buch, wenn es erlaubt ist, hinzuweisen, "Rechnen mit dem Weltmeister". Da werden die ganzen Kniffe so ein bisschen auch erklärt, dass es gar nicht mal so schwierig ist, schwierige Rechenaufgaben unbedingt auszurechnen – auch im Kopf.
Kitzler: Da kann man es dann noch mal lernen. Brauchen wir diese Technik eigentlich überhaupt noch? Wir bauen ja immer größere Rechenmaschinen, Computer-Cluster, die in kurzer Zeit unglaublich viele Operationen durchführen können, die ohne Probleme auch so eine Aufgabe, wie Sie sie vorhin genannt haben, in Sekundenschnelle durchrechnen können. Was kann eigentlich das Gehirn, was kann Ihr Gehirn, was der Computer nicht kann?
Mittring: Was wir einfach besonders gerne und gut können ist, eigentlich elegante Wege auszutüfteln, und das ist das, was letztendlich den Spaß ausmacht. Die Suche nach einem eleganten Weg zum Beispiel, wie aus einer großen Zahl geschickt die Wurzel gezogen werden kann, wie man da Vereinfachungen finden kann, und zwar so, dass das Gedächtnis nicht übermäßig belastet ist, dass die Eleganz letztendlich das macht. Das ist im Prinzip im weitesten Sinne auch Mathematik und das ist immer eine Herausforderung zu überlegen, wie kann man mit noch weniger Aufwand dahin kommen. Einen Algorithmus zu ersinnen, eine Idee zu ersinnen, das ist bei einem Computer nicht so einfach. Das kann so ein menschliches Gehirn deutlich besser.
Kitzler: Das ist auch die Schönheit, die viele in der Mathematik sehen. Wie viel ist denn davon Begabung und wie viel Training?
Mittring: Ich bin der Ansicht, dass ein gewisses Maß an Begabung, speziell natürlich bei Weltmeisterschaften, vorteilhaft ist, aber man kann auch mit einer gesunden gewöhnlichen Begabung und ein bisschen Einsatz doch ein sehr beachtliches Niveau erreichen. Davon bin ich überzeugt. Dazu dient eben auch, sage ich mal: das versuche ich, auch in Vorträgen und Präsentationen aller Art immer wieder deutlich zu machen, dass man zum Beispiel die Wochentagsberechnung im Kopf ganz, ganz, ganz leicht erlernen kann, dass man dafür noch nicht mal eine Stunde braucht, um dann im Grunde genommen so was schon im Kopf zu können, dass man zu einem Datum den Wochentag angibt. Das ist ganz leicht.
Kitzler: Sie werben ja für das Kopfrechnen, machen Vorträge, haben ein Buch geschrieben. Was ist denn Ihr Eindruck? Ist zurzeit Rechnen überhaupt noch gefragt, oder überlassen wir das mehr und mehr den Maschinen?
Mittring: Das ist eine Gefahr, die bei uns vorhanden ist, dass die Tendenz da ist, dass man das zu sehr, sage ich mal, Maschinen anvertraut. Aber ich kann nur wärmstens empfehlen, es immer selbst auch zu versuchen, das heißt, zum Beispiel in der Praxis auch zu gucken, wie viel ist an der Kasse zu zahlen oder im Restaurant zu zahlen, oder auch Zinseszins-Geschichten, die schon schwieriger sind. Es ist immer wichtig, sich selbst ein Bild darüber zu machen und das erst mal selbst durchzuspielen, und das ist nicht so schwierig, wie es zunächst scheint.
Kitzler: Die Schönheit des Kopfrechnens, beworben von Gert Mittring. Er ist Informatiker, Erziehungswissenschaftler, Psychologe und eben auch Weltmeister im Kopfrechnen. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch.
Mittring: Herzlichen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Gert Mittring: Einen schönen guten Morgen!
Kitzler: Herr Mittring, wie muss man sich das eigentlich vorstellen – nur zur Erklärung -, eine Kopfrechen-Weltmeisterschaft?
Mittring: Eine Kopfrechen-Weltmeisterschaft gibt es natürlich in verschiedenen Ausprägungen. Eine zum Beispiel ist die in London, in England, im Rahmen der Mind Sports Olympiad, und da geht es darum, dass sehr viele Aufgaben ähnlich wie bei einer Klausur gestellt werden, zu allen denkbaren Themen, und da muss man eben sehen, dass man so viele Aufgaben wie möglich in der zur Verfügung stehenden Zeit lösen kann.
Kitzler: Ich habe gelesen, man darf sich nicht mal Notizen machen. Sagen Sie mal so eine Aufgabe, die da vorkommen könnte?
Mittring: Eine mögliche Aufgabe, die vorkommen könnte, ist, dass man natürlich mehrstellige Zahlen miteinander malnehmen kann, wie zum Beispiel 78.956 mal 23.547, oder so was in der Art.
Kitzler: Da passe ich jetzt, muss ich sagen. Aber okay!
Mittring: Das wäre jetzt so eine mittelschwierige Aufgabe. Und dann könnte man eben auch Wurzeln ziehen oder Wochentagsberechnungen oder eben auch Bruchrechnen oder Zerlegung großer Zahlen in Primfaktoren. Also es ist eine unheimliche Variation, es gibt über ein Dutzend Bereiche, die man dann in einer zur Verfügung stehenden Zeit auch lösen muss.
Kitzler: Harter Stoff. Wie bereiten Sie sich eigentlich darauf vor? Das Gehirn ist ja kein Muskel, den man irgendwie trainieren kann.
Mittring: Im Prinzip ist es so, dass ich versuche, eine Simulation zu machen, oder zwei, wenn es von der Zeit her möglich ist, und dann gucke ich, das kann ich gut und das kann ich weniger gut. Und das war es dann eigentlich auch schon. Es ist also ganz simpel. Also ich analysiere einfach, was mir liegt und was mir weniger liegt, und dann ist es okay. Wenn ich zu viel üben würde, dann wäre wieder der Spaß dahin. Dann ist das so, dass auch die Lust dann geringer ist, und dann schneide ich auch schlechter ab. Also es darf nicht zu viel sein.
Kitzler: Wie viel Zeit verbringen Sie denn mit Kopfrechnen?
Mittring: Im Alltag ist es im Prinzip so, dass ich schon, wenn ich Spaß und Lust habe, mir ein paar Aufgaben auch mal pro Tag stelle. Allerdings gibt es auch Tage, da rechne ich gar nicht, da habe ich mit Philosophie, mit Reisen und anderen Dingen zu tun. Aber ich möchte auch trotzdem die Technik des Kopfrechnens, sage ich mal, die Begeisterung auch mit anderen teilen, und versuche auch zu beweisen oder zu erklären, dass es auch nicht so besonders schwierig ist, dass man da jetzt nicht exorbitant begabt sein muss, um so etwas zu beherrschen. Da erlaube ich mir, auf mein Buch, wenn es erlaubt ist, hinzuweisen, "Rechnen mit dem Weltmeister". Da werden die ganzen Kniffe so ein bisschen auch erklärt, dass es gar nicht mal so schwierig ist, schwierige Rechenaufgaben unbedingt auszurechnen – auch im Kopf.
Kitzler: Da kann man es dann noch mal lernen. Brauchen wir diese Technik eigentlich überhaupt noch? Wir bauen ja immer größere Rechenmaschinen, Computer-Cluster, die in kurzer Zeit unglaublich viele Operationen durchführen können, die ohne Probleme auch so eine Aufgabe, wie Sie sie vorhin genannt haben, in Sekundenschnelle durchrechnen können. Was kann eigentlich das Gehirn, was kann Ihr Gehirn, was der Computer nicht kann?
Mittring: Was wir einfach besonders gerne und gut können ist, eigentlich elegante Wege auszutüfteln, und das ist das, was letztendlich den Spaß ausmacht. Die Suche nach einem eleganten Weg zum Beispiel, wie aus einer großen Zahl geschickt die Wurzel gezogen werden kann, wie man da Vereinfachungen finden kann, und zwar so, dass das Gedächtnis nicht übermäßig belastet ist, dass die Eleganz letztendlich das macht. Das ist im Prinzip im weitesten Sinne auch Mathematik und das ist immer eine Herausforderung zu überlegen, wie kann man mit noch weniger Aufwand dahin kommen. Einen Algorithmus zu ersinnen, eine Idee zu ersinnen, das ist bei einem Computer nicht so einfach. Das kann so ein menschliches Gehirn deutlich besser.
Kitzler: Das ist auch die Schönheit, die viele in der Mathematik sehen. Wie viel ist denn davon Begabung und wie viel Training?
Mittring: Ich bin der Ansicht, dass ein gewisses Maß an Begabung, speziell natürlich bei Weltmeisterschaften, vorteilhaft ist, aber man kann auch mit einer gesunden gewöhnlichen Begabung und ein bisschen Einsatz doch ein sehr beachtliches Niveau erreichen. Davon bin ich überzeugt. Dazu dient eben auch, sage ich mal: das versuche ich, auch in Vorträgen und Präsentationen aller Art immer wieder deutlich zu machen, dass man zum Beispiel die Wochentagsberechnung im Kopf ganz, ganz, ganz leicht erlernen kann, dass man dafür noch nicht mal eine Stunde braucht, um dann im Grunde genommen so was schon im Kopf zu können, dass man zu einem Datum den Wochentag angibt. Das ist ganz leicht.
Kitzler: Sie werben ja für das Kopfrechnen, machen Vorträge, haben ein Buch geschrieben. Was ist denn Ihr Eindruck? Ist zurzeit Rechnen überhaupt noch gefragt, oder überlassen wir das mehr und mehr den Maschinen?
Mittring: Das ist eine Gefahr, die bei uns vorhanden ist, dass die Tendenz da ist, dass man das zu sehr, sage ich mal, Maschinen anvertraut. Aber ich kann nur wärmstens empfehlen, es immer selbst auch zu versuchen, das heißt, zum Beispiel in der Praxis auch zu gucken, wie viel ist an der Kasse zu zahlen oder im Restaurant zu zahlen, oder auch Zinseszins-Geschichten, die schon schwieriger sind. Es ist immer wichtig, sich selbst ein Bild darüber zu machen und das erst mal selbst durchzuspielen, und das ist nicht so schwierig, wie es zunächst scheint.
Kitzler: Die Schönheit des Kopfrechnens, beworben von Gert Mittring. Er ist Informatiker, Erziehungswissenschaftler, Psychologe und eben auch Weltmeister im Kopfrechnen. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch.
Mittring: Herzlichen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.