Eurokrise: "Wir sitzen alle in einem Boot"

Bernhard Emunds im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 15.08.2012
Europa brauche in der Schuldenkrise einen gemeinsamen Schuldentopf und mehr Solidarität, das macht der Frankfurter Wirtschaftsethiker Bernhard Emunds deutlich. Auch die Investoren müssten auf lange Sicht in die Pflicht genommen werden und "in Zukunft sozusagen auch ihren Beitrag leisten".
Jörg Degenhardt: Die Wirtschaftskrise macht auch um Musterschüler wie Deutschland oder die Niederlande keinen Bogen. In der gesamten EU schrumpft das Bruttoinlandsprodukt, gestern kamen die Zahlen. Sozusagen parallel dazu warnten zwei führende deutsche Industrieverbände vor einer unbeschränkten Solidarität mit europäischen Krisenländern. Solidarität ist richtig und selbstverständlich, darf aber nicht einseitig bedingungs- und grenzenlos sein, heißt es da in einem Positionspapier. Wie viel Solidarität können wir uns also noch leisten? Gibt es sie nur in Sonntagsreden und zu besseren Zeiten?

Darüber will ich jetzt reden mit Bernhard Emunds, er ist Professor für christliche Gesellschaftsethik und Sozialphilosophie und Leiter des Oswald von Nell-Breuning-Instituts in Frankfurt. Guten Morgen, Herr Emunds!

Bernhard Emunds: Ja, guten Morgen nach Berlin!

Degenhardt: Nicht zuletzt wir Journalisten vereinfachen ja gern. Ein Beispiel: Ich bin sparsam, finanziere mir auf die Art und Weise ein Haus, mein Bruder macht Schulden für ein schönes Leben und erwartet dann, dass ich ihm aus familiärer Hilfe finanziell unter die Arme greife. Taugen solche individuellen Vergleiche mit Blick auf die aktuelle Schuldenkrise?

Emunds: Nein, ich glaube, dass genau das ein zentrales Problem ist, dass wir den Zusammenhang zwischen den Ländern im Euroraum, dass wir den so verstehen wie Individuen, dass die miteinander so zu tun haben.

Und dann hat man sozusagen ganz schnell die Verantwortlichkeiten jeweils dem einzelnen Individuum zugeordnet. Der eine ist dann eben faul und ausgabenfreudig und der andere, der ist eben strebsam und gleichzeitig sparsam.

Degenhardt: Warum funktioniert das nicht?

Emunds: Ja, das funktioniert deswegen nicht, weil wir als europäische Länder in einem engen Verbund miteinander sind, in einer wechselseitigen Abhängigkeit, und diese wechselseitige Abhängigkeit führt dazu, dass Probleme nie einfach nur hausgemacht sind.

Also wir haben natürlich Probleme bei den Schuldenständen einiger südeuropäischer Länder, die haben aber zum Beispiel etwas damit zu tun - wenn wir jetzt an die realwirtschaftlichen Ursachen gehen -, die haben etwas damit zu tun, dass diese Länder mehr importiert haben als exportiert haben, und das ist nichts anderes als die Kehrseite dessen, dass wir mehr exportiert haben.

Das heißt, die Ursachen liegen nicht einfach nur in den Ländern, sondern sie liegen im europäischen Zusammenhang in dieser engen Wechselseitigkeit.

Degenhardt: Das heißt, die Griechen sind nicht wirklich alleine für ihre Schulden verantwortlich?

Emunds: Genau, so ist es. Also wir haben so etwas gehabt wie eine Europabegeisterung in den Jahrzehnten vor der Finanzkrise, und in dieser Europabegeisterung haben eben Investoren großzügig Kredite vergeben an diese Länder. Die Länder haben diese Kredite aufgenommen, und mit diesen Krediten ist zu einem erheblichen Teil eben auch Exportware aus der Bundesrepublik gekauft worden.

Das heißt, wir hatten ein Wachstumsmodell, das so auf die Dauer nicht tragfähig war. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite der Medaille ist, dass wir jetzt aktuell eine Krise haben, die eben auch eine Vertrauenskrise ist, das heißt, die Investoren heute auf den Finanzmärkten haben kein Vertrauen mehr darin, dass Länder etwa wie Spanien auch wirklich Schulden zurückzahlen können.

Das ist insofern auch, wenn Sie so wollen, ein psychologisches Problem und gar kein reales, weil etwa der Schuldenstand der spanischen Regierung sehr niedrig ist. Und in dieser Situation ist es weniger eine Frage der ethischen Verpflichtung als eine Frage der Klugheit, der Einsicht in die ökonomischen Zusammenhänge, dass es so etwas wie eine Vergemeinschaftung der Schulden braucht, weil sonst die Zinsen für die entsprechenden Länder so hoch sind, dass sie nie aus dem Problem herauskommen können.

Degenhardt: Was heißt das jetzt für Berlin - muss sich Deutschland noch solidarischer mit den Schuldnern in der Europäischen Union zeigen?

Emunds: Ja, muss es. Allerdings ist es - das habe ich gerade schon mal versucht anzudeuten - sozusagen nicht zuerst eine ethische Verpflichtung sozusagen in dem Sinne, wir müssen noch altruistischer sein, sondern ist eine Frage der Klugheit.

Wenn wir das nicht tun, dann wird sich die Krise so verschärfen, dass auch die Bundesrepublik in enorme Probleme kommen wird. Und wenn Sie so wollen, damit sind wir auf der Ebene sozusagen, die man von einem katholischen Sozialethiker erwartet. Also die Solidaritätsperspektive in der katholischen Sozialethik, aber auch in der sozialdemokratischen Tradition ist ja nicht einfach irgendwie die Forderung nach altruistischem Verhalten, sondern ist die Forderung, das Ganze im Blick zu behalten, von dem wir alle abhängig sind, nicht nur Nell-Breuning.

Pater von Nell-Breuning hat das immer so formuliert: Wir sitzen alle in einem Boot und müssen entsprechend auch agieren. Das heißt, in dem Fall müssen wir sehen, dass wir in engen Verflechtungen leben und dass wir nicht so tun könnten, als seien einfach Probleme hausgemacht in den südeuropäischen Ländern und deswegen auch nur von diesen Ländern zu lösen.

Das ist genau die Position, die Frau Merkel verbal immer vertritt. Letztendlich muss sie in den Verhandlungen davon abweichen, und das ist die Position, die die meisten Ökonomen im Moment in Deutschland auch einfordern, dass die Länder, sozusagen als die Schuldnerländer, die faulen und ausgabenfreudigen südeuropäischen Regierungen, die müssen sozusagen jetzt das Problem beheben.

Und das blendet eben aus diesen Zusammenhang, dieses Eingebundensein in wechselseitige Abhängigkeiten.

Degenhardt: Sie sagen, wir sitzen alle in einem Boot, oder so war zumindest Ihr Zitat, wie viel Solidarität darf man dann eigentlich von den privaten Banken erwarten? Die können ja Gewinne machen, aber stehen sie dann vor dem Zusammenbruch, soll der Staat sie retten.

Emunds: Ja, das ist genau das Problem, das ich sehe. Also diese Solidaritätsappelle haben ja sozusagen als Gefahr immer, dass es bestimmte partikulare Interessen gibt, die damit verschleiert werden und dann sozusagen gar nicht bearbeitet werden.

Jetzt sind wir in einer großen Vertrauenskrise, und wir müssen diese Vertrauenskrise durch Vergemeinschaftung der Schulden oder durch entsprechende Maßnahmen wie Eurobonds beseitigen.

Der nächste Schritt muss dann aber sein, dass die Investoren, die durch solche Maßnahmen dann gerettet werden, dass die eben auch ihren Beitrag leisten. Und wenn wir uns die Entwicklung in der Bundesrepublik und in anderen europäischen Staaten anschauen, dann hat man die Vermögensbesitzer und hat man auch die großen Banken immer mehr sozusagen von den Beiträgen zum Gemeinwohl, von den Steuern und Abgaben befreit, und davon müssen wir jetzt wegkommen, die müssen in Zukunft sozusagen auch ihren Beitrag leisten.

Degenhardt: Sagt Bernhard Emunds, er ist Professor für christliche Gesellschaftsethik und Sozialphilosophie und er leitet das Oswald von Nell-Breuning-Instituts in Frankfurt am Main. Ich bedanke mich für das Gespräch!

Emunds: Gerne!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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