"Es fehlt einfach an der Gegnerschaft"

Stefan Osterhaus im Gespräch mit Andreas Müller |
DFB-Chef Theo Zwanziger steht derzeit in der Kritik wegen seines unrühmlichen Verhaltens im Fall Amerell. Deshalb habe Zwanziger jetzt den außerordentlichen DFB-Bundestag einberufen, glaubt Sportjournalist Stefan Osterhaus: "Er will sich hier noch einmal als jemand präsentieren, der in der Lage ist, eine Krise zu meistern."
Andreas Müller: Heute veranstaltet der Deutsche Fußballbund einen sogenannten außerordentlichen Bundestag. Einziger Tagesordnungspunkt für die 261 Stimmeberechtigten ist die Verabschiedung der Schiedsrichterreform. Eine Reaktion auf die Vorkommnisse um den Schiedsrichtersprecher Manfred Amerell, dem von vier Referees Kollgen sexuelle Nötigung vorgeworfen wird.

Ja, man kann nicht sagen, dass DFB-Chef Theo Zwanziger da eine ja rühmliche Rolle gespielt hätte oder etwas von Krisenmanagements verstehen würde bei dieser Affäre, diesem Skandal. Das ist vielleicht einer der Gründe für diese seltene Allianz von "Süddeutscher Zeitung", "FAZ" und "Frankfurter Rundschau", die allesamt den Rückritt des DFB-Chefs fordern. Den wird es wohl nicht geben – warum, das wird uns jetzt der Sportjournalist Stefan Osterhaus erklären. Schönen guten Tag!

Stefan Osterhaus: Guten Tag!

Müller: Zunächst mal: Dieser außerordentliche Bundestag des DFB, da möchte ich mal wissen, wer sind eigentlich die 261 Stimmberechtigten, von denen da die Rede ist?

Osterhaus: Das ist eine ganze Menge, da ist man zunächst erstaunt, wenn man diese Zahl liest. Also es gibt insgesamt 21 Landesverbände und fünf Regionalverbände, und jeder schickt seine Delegierten. Dazu kommen noch 47 Vertreter aus dem Präsidium der Deutschen Fußballliga und des DFB, und daraus setzten sich diese 261 Leute zusammen. Der Großteil ist – man kann es überspitzt formulieren – Stimmvieh.

Müller: Stimmvieh. Warum wird der jetzt so hektisch einberufen – 400.000 Euro kostet der Spaß, habe ich gelesen –, im Oktober hätte doch ohnehin der nächste ordentliche Bundestag angestanden?

Osterhaus: Es ist natürlich eine Reaktion auf die Affäre um Manfred Amerell, und es geht darum, Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Darum geht es Theo Zwanziger, er will sich hier noch einmal als jemand präsentieren, der in der Lage ist, eine Krise zu meistern. Er sagt, das Schiedsrichterwesen soll transparenter werden. Das ist eine unmittelbare Reaktion darauf.

Müller: Nun gibt es aber prominente Schiedsrichter, die sagen, die fühlen sich geradezu davon beleidigt?

Osterhaus: Nein, die haben sich bisher nicht gefunden, das kam eher aus den Landesverbänden, wo einige Verbandsfürsten gesagt haben, das sehen wir nicht so, unser Schiedsrichterwesen ist in Ordnung, wir brauchen das nicht. Aber die sind in der Minderheit.

Müller: In dieser Schlammschlacht zwischen Amerell und dem DFB hat der Schiedsrichtersprecher, der frühere, Zwanziger unter anderem Vetternwirtschaft vorgeworfen und ihm attestiert, er, Zwanziger, ginge über Leichen, Zitat. Nun ist Amerell vielleicht nicht der glaubwürdigste Zeuge in dieser Geschichte, aber es gibt daneben ja diese breite und vor allem auch seriöse Front gegen den DFB-Präsidenten. Was wird ihm denn nun vorgeworfen, und warum ist diese Krise so heftig?

Osterhaus: Das sind mehrere Faktoren, die da zusammenkommen. Es ist nicht allein diese Affäre um Manfred Amerell. Das Ganze hat angefangen vor gut anderthalb Jahren, als ein Blogger ihn als unglaublichen Demagogen bezeichnet hat. Zwanziger ist damals wirklich, man kann nahezu sagen, Amok gelaufen. Er hat Gerichte beschäftigt und die Angelegenheit endete dann in einem Vergleich. Er hat da keine gute Figur gemacht, er hat nicht souverän gewirkt, das Ganze ist schnell in Vergessenheit geraten.

Und dann kamen vor Kurzem, kurz nach dem Jahreswechsel, die Vertragsverhandlungen mit Manager Bierhoff und Joachim Löw, und da hat Zwanziger sich auch nicht sehr geschickt verhalten. Er hat schon im Dezember verkündet, dass man sich eigentlich handelseinig sei, aber man war es nicht. Und das wurde dann im Januar offenbar.

Und das Ergebnis ist jetzt, dass Deutschland mit einem Bundestrainer zur WM fährt, der ohne Vertrag ist und über dessen Zukunft andauernd diskutiert wird, ja, man kann fast überspitzt sagen, bei jedem Fehlpass wird das ein Thema sein. Das ist keine gute Voraussetzung für den vierten WM-Titel, den der DFB ja gewinnen will.

Müller: Darüber reden wir vielleicht gleich noch mal ein bisschen. Mich würde erst mal interessieren, hat es so was überhaupt schon mal gegeben, also in der tiefen Vergangenheit, 1978, hat Joachim Fest in der "FAZ" mal einen harten Angriff gegen den damaligen Präsidenten Neuberger gefahren, da war der Anlass Paul Breitner, der nicht mitgenommen wurde zu einer WM, glaube ich. Das ist aber schon verdammt lange her.

Osterhaus: Das ist verdammt lange her und es hat sich jetzt gewissermaßen wiederholt. Patrick Bahners, der Feuilletonchef der "Frankfurter Allgemeinen" hat auch eine Analyse geschrieben, die sich sehr kritisch mit Theo Zwanziger befasste, in epischer Länge. Also da muss schon einiges zusammenkommen, dass sich dieses Blatt auch dann bemüßigt fühlt, da mal einzusteigen.

Das wäre, glaube ich, auch in Nachbarländern, denke ich mal, undenkbar, dass beispielsweise in der Schweiz eine führende Zeitung im Feuilleton den Aufmacher dem Präsidenten des Schweizer Fußballverbandes widmet. Oder auch in England, also diese Person, die kennt man hier gar nicht. Und das ist natürlich damit zu erklären, dass der DFB mit 6,7 Millionen Mitgliedern hier in Deutschland auch so Staat im Staat ist, zumindest versteht er sich ganz gern so.

Müller: Ein paar Worte vielleicht aus diesem Angriff damals von Fest, der nennt Neuberger einen "ambitiösen Provinzkönig, dessen Gängelungsgelüste den Spielern noch vorschreibt, welche Socken oder Pullover sie außerordentlich des Spielfelds zu tragen haben". Aber damals spielten wir gar nicht mal so schlecht. Trotzdem, Neuberger hat sich natürlich gehalten, auch nach diesem Angriff, wie ist es jetzt bei Zwanziger? Es gibt Rücktrittsforderungen, aber der Mann ist doch sicherlich sicher im Sattel, oder?

Osterhaus: Neuberger hat sich weitere 14 Jahre gehalten, also auch noch über den WM-Titel von 1990. Das zeigt eigentlich auch, wie fest diese Präsidenten beim DFB in der Regel im Sattel sitzen. Da muss es ganz schlimm kommen, da muss jemand wirklich versagen, wie Gerhard Mayer-Vorfelder in der Hoyzer-Affäre im Jahr 2005, und selbst dann wird er nicht abgesetzt, selbst dann wird ihm jemand zur Seite gestellt als Anstandsdame. Das war Theo Zwanziger, der dann als Co gewissermaßen fungiert hat, später dann als Doppelspitze, und man hat Gerhard Mayer-Vorfelder noch zwei weitere Jahre mitgenommen. Also man gibt dem Präsidenten da die Möglichkeit, das Gesicht zu wahren. Das erinnert ein klein wenig an die CDU, wenn man von einigen prominenten Aussagen mal absieht.

Müller: Ja, es gibt dann Stimmen, die sagen, Zwanziger ist wie Helmut Kohl, der früher auch alles ausgesessen hat. Ohnehin ist der Verband ja nicht nur unbedingt der CDU sehr nahe, er ist fast so etwas wie eine CDU.

Osterhaus: Das ist so. Zwanziger war früher Regierungspräsident in Koblenz und er war auch Ende der 80er-Jahre beteiligt, als Bernhard Vogel in Rheinland-Pfalz als Ministerpräsident abgesetzt wurde, da hat er auch die Opposition mit organisiert. Also er ist jemand, der das politische Ränkespiel auch ganz gut versteht, und er ist nicht nur der Gutmensch, als der er sich präsentiert, er ist ein Politprofi.

Müller: Aber wie konnte es eigentlich dazu kommen, dass es immer CDU-Leute waren an der Spitze des DFB?

Osterhaus: Das hat, glaube ich, damit zu tun, dass der Fußball, nachdem er eine sehr kosmopolitische Ära hatte in seinen Anfangsjahren – da müssen wir bis in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurückblicken, der Fußball in Deutschland war mal sehr jüdisch geprägt in seinen Anfangsjahren, dann ist er von den Nationalsozialisten geprägt worden, und konservative Elemente haben sich immer halten können. Das fängt also bei Sepp Herberger an, der dieses Amt des Bundestrainers schon unter den Nationalsozialisten innehatte, er hat es über den Krieg gerettet, bis ins Jahr 1962. Helmut Schön war gegenüber Herberger wiederum eine relativ liberale Figur, aber grundsätzlich ist dieser Verband sehr konservativ geprägt worden. Das ist noch ein altes Erbe.

Müller: Im Deutschlandradio Kultur sprechen wir mit dem Sportjournalisten Stefan Osterhaus über die heftige Kritik an DFB-Präsident Theo Zwanziger vor diesem außerordentlichen DFB-Bundestag heute. All das, was wir da gerade besprochen haben, was bedeutet das eigentlich für unsere Fußballkultur? Klinsmann ist weg, nach dieser revolutionären Stimmung im Jahr 2006, diesem Sommer der Fußballliebe, also Klinsmann weg, Löw ohne Vertrag zur WM: Was bedeutet denn das, ist das jetzt ein Rollback, wie es so schön heißt, wie sind die Chancen der deutschen Fußballnationalmannschaft in Südafrika? Redet überhaupt noch jemand von einer Favoritenrolle?

Osterhaus: Nein, die hat man abgegeben. Die Favoritenrolle hat aus meiner Perspektive ganz klar Spanien. Da muss einiges zusammenkommen, dass eine Mannschaft diese Spanier an einem sehr guten Tag dann wiederum schlagen kann. Aber hinter den Spaniern hätte es einige Teams gegeben, die für eine Überraschung hätten sorgen können. Also das DFB-Team wäre für mich ein Kandidat fürs Halbfinale gewesen, und ich denke, diese Rolle hat man eigentlich abgegeben, also auch durch diese permanente Diskussion um den Bundestrainer. Das tut dem Fußball gegenwärtig nicht gut.

Andererseits hat diese Führungskultur im DFB meistens relativ wenig mit der fußballerischen Kultur zu tun. Also zum Beispiel unter Hermann Neuberger, den Joachim Fest auch völlig zu Recht als autoritären Knochen charakterisiert hat, ist eigentlich der progressivste Fußball in Deutschland gespielt worden, der ja damals auch als Sinnbild der sozialliberalen Ära 1972 herhalten musste mit Günter Netzer, die Pässe, die den Geist der Utopie atmeten, wie das damals formuliert wurde. Also da haben die DFB-Präsidenten Gott sei Dank wenig Einfluss auf das Spielsystem.

Müller: Dennoch, mir scheint, dass da jetzt wieder Graubrot angesagt ist auf dem Spielfeld, alsodass vielleicht an Matthias Sammer, der als erzkonservativ gilt, schon in den Kulissen bereitsteht, um Jogi Löws Job zu übernehmen, das ist ja auch einer gewissen Kultur im DFB geschuldet. Ist das das Ende des Spaßfußballs, wie wir ihn vielleicht ansatzweise in den letzten Jahren hatten auf der …

Osterhaus: Was vielleicht mittlerweile gar nicht schlecht wäre, alsodass sich jemand wie Oliver Bierhoff hinstellt und am Brandenburger Tor einen zweiten EM-Platz feiert, nachdem man von Spanien wirklich deklassiert wurde im Finale. Das ist sicherlich nicht gut. Und Matthias Sammer hat recht mit dieser Kritik, dass man solche Ereignisse nicht feiern sollte und sich eher Gedanken darüber machen sollte, wie man das nächste Finale gewinnt.

Sammer ist sicherlich das andere Extrem. Er ist jemand, der wirklich leistungsversessen ist, der unglaublich ehrgeizig ist und der auch keine Probleme hat, das entsprechend verbiestert vor sich herzutragen. Aber ob er aus fußballerischer Sicht eine schlechte Wahl wäre, das sei mal dahingestellt. Ich denke nicht.

Müller: Wie geht es jetzt weiter im DFB mit dem deutschen Fußball in diesem WM-Jahr? Also wir können natürlich schwer spekulieren über das Turnier, aber wir gehen mal davon aus, dass Theo Zwanziger nicht nur nicht zurücktritt, sondern dass er auch wiedergewählt wird im Oktober.

Osterhaus: Es fehlt einfach an der Gegnerschaft, also das ist ein weiteres signifikantes Merkmal auch dieser Ära Zwanziger: Es gibt niemanden, der ihm gefährlich werden könnte. Und es ist davon auszugehen, dass er beim ordentlichen Bundestag im Oktober doch auch mit einer ordentlichen Mehrheit wiedergewählt wird. Lassen Sie mich noch kurz sagen: Es hat bei einer Präsidiumssitzung des DFB, an der auch die Vertreter der deutschen Fußballliga teilnahmen, 47 zu null Stimmen gegeben, das sind Ergebnisse, von denen hätte eigentlich auch Leonid Breschnew geträumt.

Müller: Und Theo Zwanziger hat sie, der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, trotz aller Skandale und Affären in der letzten Zeit. Das war der Sportjournalist Stefan Osterhaus. Vielen Dank!

Osterhaus: Danke auch!
Mehr zum Thema