Erzählte Welt

Von Hartwig Tegeler · 10.07.2013
Hörbuch-Verlag möchte Klaus Sander sein Audio-Label nicht gerne nennen, denn auf den CDs von supposé sind keine Hörbücher, sondern Erzählungen zu hören. In freier Rede erklären, erzählen oder erläutern Schriftsteller und Wissenschaftler ihre Profession, wobei die Begeisterung für ihr Thema auf den Hörer überspringt.
Klaus Sander: "Die Beobachtung war da, dass es offensichtlich Menschen gibt, die sich lieber mündlich ausdrücken als schriftlich. Und das auch besser können."

Beispielsweise Quantenphysiker Anton Zeilinger. Er steht am Ende der supposé-Doppel-CD "Spukhafte Fernwirkung" in einem Tunnel unter der Donau und erzählt. Die Sache mit Einstein, dem Licht, den Quanten und der Physik und so:

"Und das war dann die Frage lange, ob sich die Natur tatsächlich so verrückt verhält. Wie schon erwähnt, etwa in den siebziger Jahren beginnen dann Experimente ..."

Klaus Sander: "Das Entscheidende ist eigentlich die Begeisterung. Wenn jemand das, was er tut, mit Begeisterung macht, und sich dafür selbst begeistert, dann kann er das eigentlich auch anderen erklären oder erzählen und erläutern. Und wenn diese Begeisterung hörbar ist, dann springt das über. Und dann ist diese Schwelle auch sofort abgebaut."

So formuliert Klaus Sander das Credo seines Audio-Labels, das er eben nicht so gerne Hörbuch-Verlag nennen mag. Doch warum hört man einem Erzähler eigentlich gerne zu? Klaus Sander geht zur Aufnahme nie ins Studio, sondern nach zu Hause, ins Büro oder ins Labor seiner Gesprächs-Partner.

Klaus Sander: "Wenn Sie den Forscher aus der Unmittelbarkeit seiner eigenen Biografie und seiner eigenen Forschung erzählen hören, so ist diese Hemmschwelle oft weg, weil man eigentlich auf Augenhöhe angesprochen wird."

Berlin-Charlottenburg. Altes West-Viertel. Altbauwohnung. Hohe Wände. Bücher- und CD-Regale bis an die Decke. Und Schallplatten findet man auch noch jede Menge. Der supposé-Verlagssitz. Und Klaus Sanders Wohnung und Arbeitsplatz. Mit Schreibtisch Nummer 1 von Dreien.

Klaus Sander: "Wo ist mein Schreibtisch? Es gibt ja mehrere Schreibtische. Das ist quasi hier der aus Köln. Mitgebracht. Größte und längste Schreibtisch, mal als Arbeitstisch geplant. Aber jetzt ist er voller Zettel ..."

Schönheit und Ästhetik begegnen stapelweise dem kreativen Chaos. Den 1968 in Westfalen geborenen Medien- und Literaturwissenschaftler Klaus Sander trieb es aus privaten Gründen nach Berlin. Sein Verlag supposé entstand aus der Arbeit am Nachlass des Medienphilosophen Vilém Flusser. Als der 1991 verstarb, gab Klaus Sander eine CD mit Vorträgen von Vilém Flusser heraus. Es sollte nicht verloren gehen, meint Sander. - Wunderbar eingepasst in den Erker des vorderen, hellen Zimmers Schreibtisch Nummer 2:
Klaus Sander: "Der eigentlich den schönsten Ausblick und wirklich auch mal als mein Arbeitsplatz konzipiert war. Aber auch hier sitze ich sehr selten."

Auf die Vilém-Flusser-CD folgten weitere. 1996 die Verlagsgründung. - Schreibtisch Nummer 3 befindet weiter hinten in der Wohnung.

Klaus Sander: "Hier mache ich meine Mails, also das Alltägliche."

Das Programm von supposé, das sind Schönberg, Scholem, Einstein, Heisenberg - in der Rubrik "Wissenschaftsgeschichte im Originalton"-, das sind die Erzählungen von Schriftstellern wie Dieter Wellershof, Herta Müller oder Peter Kurzeck. Und das ist die Rubrik "Erzählte Wissenschaft", wo der Quantenphysiker Zeilinger oder die Virologin Mölling zu hören sind.

Klaus Sander: "Das waren nicht nur inhaltliche Interessen, weshalb ich viele Aufnahmen mit Naturwissenschaftlern gemacht habe, sondern auch formale. Weil viele Naturwissenschaftler sehr ungern nur schreiben. Und sie haben auch nicht die Notwendigkeit. Oder wenn, dann schreiben sie ihre 'paper' in ihrer Fachsprache im Englischen mit sehr viel Formeln durchsetzt. Sie haben ihren ganz eigenen Schreibstil. Aber sie sind eigentlich pausenlos im Gespräch mit Doktoranden, mit Studenten, halten Vorlesungen, sind sehr geübt im Erzählen, im Erklären, im Sprechen. Sodass das eigentlich eine ideale Form der Vermittlung naturwissenschaftlicher Inhalte mir erschien."

"Mit über 3000 Arten sind die Buntbarsche eine der artenreichsten Gruppen aller Tiere. Vielleicht die artenreichste. Es gibt noch ein paar verdammte Frösche, die auch sehr artenreich sind. Aber die vergessen wir jetzt mal."

Eine faszinierende - und das ist kein Scherz - Erzählung des Zoologen und Evolutionsbiologen Axel Meyer über den Buntbarsch und dessen Evolution:

"Haben die Buntbarsche eben so evolutionär erfolgreich gemacht und werfen Fragen auf, warum die Buntbarsche so evolutionär erfolgreich sind."

Der, der hören kann und mag, wird sich der Sogwirkung dieser CD wohl kaum entziehen können. Auch als Buntbarsch-Laie.

Klaus Sander: "Durch die Art, wie er es erzählt, glaube ich es ihm auch und nehme es ihm ab, weil er eigentlich sich selbst erzählt."

Natürlich verkaufen sich Herta Müllers Erzählung über ihre Kindheit oder Karin Möllings mehr als zwei Stunden langes Reflektieren über "Das Leben der Viren" am Markt nicht wie eine Harry-Potter-Lesung. Klaus Sander hat mit seinem Audio-Verlag trotzdem große Resonanz; 2004 wurde das Programm mit dem Deutschen Hörbuchpreis ausgezeichnet. Und das mit dem Verkaufen, meint der auch nach 15 Verlagsjahren immer noch enthusiastische Hör- und Erzählfan:

Klaus Sander: "Also, ich habe gedacht, die Form musste ja man auch erst erfinden. Und so muss man sich den Markt oder das Publikum auch gleich mit erfinden. Das ist dann auch noch zu schaffen."

Übrigens, Nachsatz: Zu den drei Schreibtischen in Klaus Sanders Altbauwohnung kommt ein, ja, sozusagen konkret-virtueller vierter hinzu. Im oder vor dem "Chinesen" in der Seitenstraße des Kuhdamms, vier Minuten von Klaus Sanders Haustür entfernt. Hier sitzt Klaus Sander häufig ...
Klaus Sander: "Sieht so aus, als würde ich denken. Während ich ja nur höre."

... mit Kopfhörer und arbeitet an den supposé-CDs, also den Erzählungen seiner Schriftsteller und Wissenschaftler.
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