Erste Hilfe mit Ulmer Trauma-Box

Versorgung von Verletzten leicht gemacht

16:37 Minuten
Eine Hand greift nach der Trauma-Box mit der Aufschrift «Blut Stopp». Die Box enthält ein sogenanntes Tourniquet, ein Abbindesystem ähnlich einer Blutdruckmanschette, und einen saugfähigen Druckverband zum Stillen einer Blutung eines Verletzten, bis medizinisches Fachpersonal eintrifft.
Die sogenannte Trauma-Box für die schnelle Erste Hilfe wurde von Notfallexperten in Ulm entwickelt. © picture alliance/dpa/Soeren Stache
Von Uschi Götz · 07.10.2019
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Blutungen sind eine Haupttodesursache von Schwerstverletzten. Mit der sogenannten Ulmer Trauma-Box können Unfallopfer mit wenigen Handgriffen versorgt werden – anscheinend viel besser als mit einem herkömmlichen Verbandskasten.
"Es ist zumindest so, dass die Blutung eine Haupttodesursache von Schwerstverletzten ist. Wobei man unterscheiden muss: Sind das Blutungen an Gliedmaßen, dass eben durch schwere Bein-Arm-Verletzungen es zu Blutungen kommt, oder sind es innere Blutungen. Beides sind Ursachen für einen Tod vor der Klinik."
Albrecht Henn-Beilharz ist leitender Oberarzt am Klinikum Stuttgart und dort Sprecher der leitendenden Notärzte. Ein Mediziner mit jahrzehntelanger Erfahrung, auch was Ersthelfer betrifft.
"Die einen helfen, und die anderen scheuen sich. Viele wissen nicht genau, was sie tun müssen, das gilt auch beispielsweise für die Wiederbelebung. Aber auch bei Unfallverletzten ist es meisten nur eine Betreuung des Verletzten, dass man sich vielleicht neben ihn setzt, aber ansonsten eher wenig macht."

Erstversorgung von blutenden Verletzten

Als Trauma wird meist eine schwere seelische Verletzung bezeichnet. Doch auch bei einer schweren körperlichen Verletzung spricht man von einem Trauma, einer Wunde. Künftig soll die Erstversorgung von blutenden Verletzten mit einem Verletzungstrauma einfacher werden.
Gemeinsam mit der Industrie haben Experten der Deutschen Traumastiftung die sogenannte "Ulmer Trauma-Box" entwickelt. Mit wenigen Handgriffen kann ein Verletzter versorgt werden.
"Jeder, der verunfallt, kann sich eine schwere Gefäßverletzung zuziehen. Das kann ein Stück vom Fahrradschutzblech sein, das einen Oberschenkel aufschneidet, oder ein Stück von der Karosserie vom Auto."
Professor Florian Gebhard ist Vizepräsident der Deutschen Traumastiftung und Chef der Uni-Unfallklinik Ulm. Von ihm und einem Kollegen aus dem Ulmer Bundeswehrkrankenhaus stammt die Idee zur Box.

Abbinden bei massiven Blutungen

Der Chirurg legt ein rechteckiges Päckchen – etwa so groß wie ein dünnes Taschenbuch – auf den Tisch. Das Päckchen ist in zwei Hälften unterteilt, auf jeder Seite befindet sich in Folie verpacktes Versorgungsmaterial.
"Einmal zum Abbinden für die schwerste Blutung und einmal für den Kompressionsverband für mittlere Blutungen. Und man startet immer mit dem Kompressionsverband, und wenn der dann nicht reicht, kann ich immer das zum Abbinden ergänzen. Und nur bei ganz massiven Blutungen würde man erst mit dem Abbinden anfangen."
Auch ein paar Handschuhe sind in dem Set enthalten. Packt man den Kompressionsverband aus, ist gleich ein großes weißes Feld erkennbar. Das ist die sterile Fläche, die direkt auf eine blutende Wunde gelegt werden soll.
Blutet es durch oder ist die Verletzung sehr schwer, kommt der andere Teil der Trauma-Box zum Einsatz, das sogenannte Tourniquet. Das Prinzip ist ähnlich wie bei einer Blutdruckmanschette.
"Unser Abbindematerial: also der nichts anderes tut als die Extremität abbinden oder abschnüren. Und dieser Tourniquet ist eine in sich geschlossene Schlinge, die man wieder aufmachen kann, hat Klettverschlüsse, man zieht sie so weit auf, dass man sie über den Arm oder das Bein darüberstülpen kann."

Paradigmenwechsel bei der Ersten Hilfe

Ein Paradigmenwechsel bei der Ersten Hilfe von blutenden Verletzten. Denn noch vor einigen Jahren galt die Regel: In keinem Fall abbinden!
"Weil man gesagt hat, da bindet jetzt irgendeiner irgendwo im Wald etwas ab, und wer weiß, wann der ins Krankenhaus kommt, dann ist das Bein oder der Arm abgestorben. Inzwischen weiß man, dass es Zeiten gibt, die eine Extremität gut aushält, die Rettungszeiten sind so kurz in Europa, dass es nie der Fall sein wird, dass es zu lange abgebunden ist. Und im Zweifelsfall muss man sagen, wenn es um das Verbluten geht: Lieber abbinden und überleben, als nicht abbinden und sterben."
Die gelb-rot-silber leuchtenden Spenderboxen mit der Aufschrift "Blut Stopp – Trauma-Box" sollen schon bald bundesweit etwa an öffentlichen Plätzen, Schulen oder Unternehmen aufgestellt werden. Idealerweise läuft zeitgleich auch die Schulung flächendeckend an.
"Wir wollen, dass diese Ulmer Trauma-Box in allen Erste-Hilfe-Kursen geschult wird und in allen Schul-Erste-Hilfekursen den Schülern beigebracht wird, damit der Vorbehalt, so etwas zu nützen, auf Null reduziert werden kann und die Leute einfach sagen: Okay ich weiß, wie das geht, ich ziehe das raus, mache das und fertig.’"

Hat der klassische Verbandskasten ausgedient?

Der klassische und gesetzlich vorgeschriebene Verbandskasten im Auto könnte bald schon ausgedient haben. Davon ist Professor Thomas Wirth, Präsident der Deutschen Traumastiftung, überzeugt.
"Da gibt es zwar Mullbinden und ein Dreiecktuch, aber da kann man weder bei einer stark blutenden Gliedmaße noch sonst eine stark blutende Wunde wirklich eine effiziente Blutstillung erreichen, die dann auch so lange hält, bis der Patient ins Krankenhaus kommt."
Ziel der Deutschen Traumastiftung ist die Optimierung der physischen und psychischen Traumaversorgung. Bei der Versorgung schwerstverletzter Patienten orientiert man sich längst auch am Militär. So gehört ein Tourniquet, ein Abbindesytem, schon immer zur Grundausrüstung von Soldaten.
Präsident Wirth gibt zu, bei der Entwicklung der Box haben die Terroranschläge in Frankreich und der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz eine Rolle gespielt. So stand bald fest…
"… wir würden uns damit auch besser rüsten für solche Zwischenfälle, wenn wir mit einer ausreichenden Versorgung in allen öffentlichen Gebäuden solche Ulmer Trauma-Boxen montieren könnten."

Trauma-Box europaweit etablieren

Pro Box ist ein Versorgungsset verfügbar. Das ist bei einem Anschlag allerdings zu wenig, um viele Verletzte versorgen zu können. In Ulm werden derzeit an verschiedenen Standorten Boxen aufgestellt.
"Wir werden jetzt in die Schule gehen, wir sind in guten Gesprächen mit der Stadt, die möchte alle ihre Fahrzeuge, Straßenbahnen, Busse damit ausrüsten. Die Banken werden damit ausgerüstet werden."
40 Euro kostet die bloße Halterung, das Versorgungsset auch noch einmal um die 40 Euro. Die Experten der Deutschen Traumastiftung setzen nun darauf, dass sich die Box bald bundes- gar europaweit etablieren wird.
An den Ulmer Schulen übernimmt die Deutsche Traumastiftung die Kosten. Die Ärzte gehen davon aus, im eigenen Netzwerk zunächst einmal Multiplikatoren zu finden. So ist die erste Trauma-Box außerhalb der Ulmer Stadtgrenze seit Sommer in Berlin am Haus der Chirurgie zu finden.
"Ich gehe davon aus, dass es viele Unterstützer geben wird, für diese Maßnahme. So dass auch bei dem Preis, da gehen wir auch davon aus, dass das auch noch günstiger wird, wenn es einmal in größerer Zahl produziert wird. Wir wollen das nicht als lokale Verbreitung sehen, sondern wir glauben, dass es sinnvoll ist, dass wir das national nicht nur in großen Städten, auch in kleineren Städten, in Dörfern, das wir das tatsächlich überall verbreiten, um diese Blutstillung zu ermöglichen."

Trauma-Box soll öffentlich verfügbar sein

Ähnlich wie sogenannte Laien-Defibrillatoren zur Herz-Lungen-Wiederbelebung. Seit fast 30 Jahren sind Geräte zunehmend auch in öffentlichen Gebäuden und Plätzen zu finden.
"Das ist ein ähnliches Ziel, mit dem Unterschied, dass unser System und unsere Ulmer Trauma-Box natürlich wesentlich einfacher zu handhaben ist als ein Defibrillator", sagt Unfallchirurg Florian Gebhard. "Aber wir wollen letztendlich genauso verbreitet sein, wie Defibrillatoren, die ja überall verfügbar sind."
Kollegen der Ulmer Traumaexperten verfolgen das Vorhaben der Stiftung mit großem Interesse. Denn Ulm gilt mit seinen Spezialisten schon seit Jahrzenten als wegweisend im Bereich der Notallmedizin. Der sogenannte "Ulmer Koffer" etwa ist eine Erfindung, die bis heute bundesweit im Rettungsdienst zum Einsatz kommt. Inhalt des Koffers sind genau definierte Medikamente und Material zur Versorgung von akut erkrankten Menschen. Allerdings ist der in den Anfängen schwere Koffer mit den Jahren leichter geworden, heute ist es meist ein Rucksack oder eine leichtere Tasche.
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