"Erstarkte Identität"

Etienne Francois im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 15.02.2010
Den Wunsch, ihre alten Namen wieder zu tragen, wertet der Historiker Etienne Francois als "neues Selbstbewusstsein" der mittleren Generation von Juden in Frankreich, die die Shoah nicht miterlebt haben.
Liane von Billerbeck: Telefonisch bin ich jetzt mit dem Historiker Professor Etienne Francois verbunden vom Frankreichzentrum der Freien Universität Berlin. Ich grüße Sie!

Etienne Francois: Guten Tag!

Von Billerbeck: Reinheit der Namen, unfranzösische Familiennamen – wie klingt das für Sie?

Francois: Das klingt für mich ziemlich seltsam, denn wenn man die Namen, die Familiennamen in Frankreich sieht, hat man eine Fülle von nichtfranzösischen Namen in Anführungsstrichen. Die Namen, die ich gerade gehört habe: Wolkowicz, ich hatte einen Geschichtslehrer, als ich in Frankreich zur Schule ging, der hieß genauso, Rubinstein ist ein sehr verbreiteter Name, ich denke an den ehemaligen Erzbischof von Paris, der aus einer jüdischen Familie kam, der hieß Lustiger, das ist auch ein jüdischer Name, also insofern ... Und ich spreche nur von den jüdischen Namen, dazu haben wir sehr viele deutsche Namen und immer mehr Namen, die aus den Ländern der Zuwanderung kommen, aus Nordafrika oder aus Schwarzafrika. Insofern, das klingt für mich ziemlich seltsam.

Von Billerbeck: Nun haben wir ja gehört, dass die alten jüdischen Namen damals, nach 1945, von den Überlebenden der Shoah aus Angst vor neuem Antisemitismus abgelegt wurden. Den gibt es ja auch heute noch teilweise. Wofür ist das nun ein Zeichen, dass man diesen Namen zurückhaben möchte?

Francois: Das ist ein Zeichen von erstarkter Identität und Selbstbewusstsein, und das würde ich in den größeren Kontext einordnen, der in Teilen der jüdischen Gemeinde in Frankreich zu beobachten ist, nämlich, dass man immer versucht, immer mehr versucht, nach außen hin als Jude aufzutreten. Sie finden heute viel mehr vor allem junge Menschen auf der Straße, entweder mit der Kippa oder bei den Mädchen mit einem Schal, als das vor 20 Jahren der Fall war. Es gibt inzwischen in Frankreich mehrere anerkannte jüdische Schulen, die sehr offensiv jüdisch sind, würde ich fast sagen, und diese Suche nach dem eigenen Namen würde ich in diesen größeren Kontext einordnen.

Von Billerbeck: Drückt sich in dieser Bewegung – also, wenn man das überhaupt schon eine Bewegung nennen kann – für den alten, jüdischen Namen auch neues, jüdisches Selbstverständnis aus, neues Selbstbewusstsein?

Francois: Ja, ja. Das ist die eine Seite, neues Selbstbewusstsein, die andere Seite ist die Angst auch vor dem Verlust der eigenen Identität. Das eine kann man von dem anderen nicht trennen. Es gibt sehr, sehr viele Mischehen zwischen Juden und Nicht-Juden in Frankreich, und wenn die Frau selber nicht Jüdin ist, sind die Kinder danach, nach dem mosaischen Gesetz, nicht mehr jüdische Kinder. Und das gehört auch zu den Erscheinungen – es gibt diese Diskrepanz oder eher dieses Polaritätsverhältnis zwischen Suche nach neuer Form des Identitätsausdrucks auf der einen Seite und Angst vor der Auflösung der eigenen Identität auf der anderen Seite.

Von Billerbeck: Nun gibt es ja auch nur noch wenige Überlebende der Shoah, wenn jetzt also Juden der mittleren Generation ihren jüdischen Namen zurückhaben wollen, kann man das auch als so eine Art Reparationsanspruch an den französischen Staat auffassen, was den eigenen Namen betrifft?

Francois: Ja, vielleicht, aber ich würde das eher als ein Ausdruck der neuen Identität der Kinder, denn die Personen, die dabei aktiv sind, sind nicht Überlebende, sondern das sind Nachkommen, das sind die Kinder oder die Enkel.

Von Billerbeck: Nein, ich meinte das so, dass diese Generation, die die Shoah noch überlebt haben, die ja demnächst nicht mehr am Leben sein wird, sondern damit sterben dann auch diese Traditionen aus, wenn die Kinder sich nicht auch um diesen Namen bemühen.

Francois: Ja, teilweise, obwohl sehr viel gemacht wird, damit diese Tradition und vor allem die Erinnerung daran nicht stirbt. Das neue Museum für die Geschichte und die Kultur des Judentums, was vor Kurzem in Frankreich eröffnet wurde und fast so viele Besucher anzieht wie das Jüdische Museum in Berlin ist nur ein Zeichen unter anderen. Also, ich mache mir insofern keine so großen Gedanken, aber das ist in der Tat ein Ausdruck des Generationswechsels, den man in Frankreich wie in den anderen Ländern beobachten kann.

Von Billerbeck: Frankreichs Präsident hatte ja seinem Land eine Debatte um nationale Identität verordnet vor den anstehenden Regionalwahlen. Spielte da diese Debatte, diese Diskussion, diese Forderung aus den jüdischen Gemeinden, die alten jüdischen Namen zurückzubekommen, auch eine Rolle darin?

Francois: Nein, ich habe nie davon gehört und auch nie etwas darüber gelesen in den Zeitungen. Ich glaube, dass das keine Rolle gespielt hat. Diese Debatte, die Sarkozy lanciert hat, war eine sehr parteipolitische und kontextabhängige Debatte. Kaum war sie lanciert, da hat sich gezeigt, dass sie vor allem negative Auswirkungen haben würde und die ist zum Glück gestoppt worden, denn das war eine sehr unheilige Debatte, wenn ich das so ausdrücken darf.

Von Billerbeck: Trotzdem geht es ja – wenn man seinen eigenen Namen zurückhaben will, und das ist ein explizit jüdischer Name – darum, dass man diese Identität sehr stark betont. Also muss die Identität ja eine große Rolle spielen.

Francois: Ja, Identität spielt sowieso immer eine große Rolle. Was ich eher sagen würde, wäre ein Wandel in dem Verständnis der Identität, bei der Mehrheit der Juden vor dem Zweiten Weltkrieg schon. Die waren so begeistert und überzeugt von den Werten der Französischen Republik, dass sie strikt getrennt haben zwischen persönlicher, privaten Identität, religiös konnotiert, und bürgerlicher, staatsbürgerlicher Identität als Franzose, als Bürger. Und deswegen – schon vor dem Ersten Weltkrieg sieht man, dass hier sehr viele Juden in Frankreich bewusst darum gebeten haben, dass ihr Name französisiert wird als Ausdruck ihrer Zugehörigkeit zu dem Land der Menschenrechte und zu dem Land der Gleichberechtigung, die 1791 eingeführt wurde. Das hat sich vermutlich auch nach dem Zweiten Weltkrieg fortgesetzt. Natürlich gab es daneben das, was gesagt wurde, von den stumpfen Zivilstandsbeamten nicht zu sprechen, die einfach von sich aus die Namen französiert haben, weil sie sagten, so ein Name lässt sich nicht ausdrücken. Aber das ist nur eine Erscheinung unter anderen wie gesagt, ich kenne sehr, sehr viele jüdische Freunde und Bekannte in Frankreich, die noch ihren ursprünglichen jüdischen Namen tragen, den man problemlos auch jiddisch oder russisch oder polnisch aussprechen kann.

Von Billerbeck: Aber wenn es jetzt darum geht, diesen alten jüdischen Namen zurückzubekommen von denen, die ihn damals abgelegt haben – ist das auch eine Abkehr von der Republik, also ist das eine Abkehr von diesem, ja, Kern der französischen Identität, der Trennung zwischen Kirche und Staat?

Francois: Nein, das würde ich nicht sagen, das wäre eher der Übergang zu einer neuen Form der Verbindung zwischen persönlichen beziehungsweise Gruppenidentität und Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Bürger. Und diese neue Auffassung geht davon aus, dass es keinen Widerspruch gibt zwischen dem Ausdruck nach außen hin, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten kulturellen oder religiösen Gruppe und gleichzeitig der Zugehörigkeit zu der Gemeinschaft der Bürger. Das ist relativ neu in Frankreich, das war vorher nicht der Fall, aber das gilt nicht nur für die Juden, das gilt genauso für Teile der christlichen Gruppierungen in Frankreich und natürlich auch für Teile der muslimischen Bevölkerung in Frankreich.

Von Billerbeck: Der Historiker Etienne Francois vom Frankreichzentrum der FU Berlin. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch!

Francois: Bitte sehr!
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