Erst die Medien, dann die Justiz

Was bleibt von Europas Werten in Polen?

Jaroslaw Kaczynski sitzt auf einer Abgeordnetenbank, Zbigniew Ziobro redet auf ihn ein.
PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski spricht während der Parlamentssitzung mit Justizminister Zbigniew Ziobro. © picture alliance / dpa / Rafal Guz
Von Florian Kellermann · 18.02.2016
Die Reformen spalten die polnische Bevölkerung. In Nachtsitzungen lässt Jaroslaw Kaczynski seine Parlamentsfraktion von der rechtskonservativen Partei PiS Gesetze im Eilverfahren beschließen. Die politischen Gegner sehen die europäischen Werte in Gefahr.
Ireneusz Karolewski, Professor am Willy Brandt-Zentrum der Universität Breslau:
"Es gibt einen Stil, der Harmonie vortäuscht, das war so ein bisschen das Prinzip der letzten Regierung. Es gab Unterschiede zwischen Deutschland und Polen bei der Bearbeitung der Ukraine-Krise. Es gab Unterschiede, die wurden allerdings nicht publik ausgetragen. Heute werden die Unterschiede eher publik ausgetragen, das heißt, sie werden betont. Das bedeutet nicht, dass die Unterschiede produziert werden, die sind da."
Jaroslaw Kaczynski ist jetzt der mächtigste Mann in Polen, obwohl er kein Amt hat. Der 66-Jährige hat kein Problem damit, die politischen Gegner kurzerhand als "die schlechteste Sorte von Polen" zu bezeichnen. Die eigene Parlamentsfraktion schweißt er durch nächtliche Parlamentssitzungen zusammen, bei denen Gesetze im Eilverfahren beschlossen werden. Auch Abgeordnete der Regierungsfraktion sprechen, fast ein bisschen stolz, von "Blitzkrieg".
Wahlsieg der PiS mit sozialen Versprechen
Den Wahlkampf bestritt die PiS mit sozialen Themen. Sie versprach mehr Kindergeld und dass die Menschen früher in Rente gehen können. An der Regierung beschäftigte sie sich aber erst einmal damit, ihre Macht noch weiter auszubauen. Per Gesetz ordnete sie sich die öffentlichen Medien unter und entmachtete das Verfassungsgericht. Notwendige Schritte, meinen die Parteistrategen - zu fest sitze der Klüngel, der in acht Jahren Vorgängerregierung entstanden sei. Die Kritiker sehen Polen dagegen auf dem Weg zur Diktatur, so Mateusz Kijowski, Gründer einer Bürgerinitiative:
"Wir haben hier ein demokratisches System aufgebaut, in dem sich verschiedene Institutionen gegenseitig kontrollieren. Denn die Menschen sollen sich respektieren, auch wenn sie anders denken. Die Regierung zerstört das, was wir in den Jahren seit der demokratischen Wende aufgebaut haben, das Ergebnis der Mühen einer ganzen Gesellschaft."
Das "Komitee zur Verteidigung der Demokratie", das Kijowski aufgebaut hat, bringt regelmäßig zigtausende gegen die Regierung auf die Straße. Es hat inzwischen Strukturen im ganzen Land und ist zu einer mächtigen Organisation geworden.
Tausende gehen auf die regelmäßig Straße
Die Menschen demonstrieren häufig mit dem Mut der Verzweiflung, so ein 40-jähriger Designer:
"Ich bin zum ersten Mal seit Langem bei einer Demonstration, seit weit über 20 Jahren. Ja, 1989 war das, mein Vater hat mich damals mitgenommen. Ich will nicht, dass Polen wieder so wird wie damals, ein autoritärer Staat. Ich fürchte nur, dass die Proteste abebben werden. Vier Jahre bis zur nächsten Wahl sind lang."
Demonstranten in Warschau mit europäischen und polnischen Fahnen
Tausende Menschen demonstrieren in Polens Hauptstadt Warschau für die Freiheit der Medien© picture alliance / dpa / Leszek Szymanski
Zumal die PiS-Regierung fest im Sattel sitzt. Ihre Umfragewerte, die während des Verfassungsstreits abstürzten, klettern wieder. Ein Grund dafür ist, dass die Partei ihr größtes Wahlversprechen umsetzt: Von April an bekommen alle Familien ab dem zweiten Kind 500 Zloty pro Monat - umgerechnet 115 Euro. Gleichzeitig baut die PiS ihre Macht (noch) weiter aus. Gerade hat sie beschlossen, dass der Justizminister in Amtseinheit Staatsanwalt sein wird. Er wird einzelnen Ermittlern direkte Anweisungen geben können und Einblick in alle Akten haben.
Rachefeldzug wegen des verunglückten Zwillingsbruders?
Doch wozu braucht die Regierung diese Machtfülle? Eine simple Erklärung dafür hat Ryszard Petru, Vorsitzender der Oppositionspartei "Modernes Polen":
"Es geht um Rache - wegen des Flugzeugabsturzes bei Smolensk. Als Erstes wird Tomasz Arabski dafür ins Gefängnis gehen."
Beim Absturz einer Regierungsmaschine bei Smolensk in Russland vor sechs Jahren kamen alle 96 Insassen ums Leben, unter ihnen der damalige Staatspräsident Lech Kaczynski. Er war der Zwillingsbruder des PiS-Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski. Und dieser ist überzeugt, dass die Schuldigen an der Katastrophe noch nicht gefunden sind. Kaczynski hält ein russisches Attentat für möglich. Der damaligen polnischen Regierung wirft er vor, seinen Zwillingsbruder zumindest nicht geschützt zu haben. Der nun angeklagteTomasz Arabski war der engste Vertraute von Donald Tusk, damals Ministerpräsident und heute EU-Ratspräsident.
Viele PiS-Abgeordnete wünschen sich (auch) ein Verfahren gegen Tusk, so Regierungssprecherin Elzbieta Witek:
"Schauen Sie sich die Untersuchungen zum Smolensk-Unglück an, für die der damalige Ministerpräsident Donald Tusk verantwortlich war. Wir wissen heute noch nichts über die Ursachen. Wenn wir den Zustand des polnischen Staates hinzunehmen, wie unsere Vorgänger ihn hinterlassen haben, dann würde ich sagen: Das Staatstribunal wäre hier das Richtige."
Gerade hat die Regierung eine neue Untersuchungskommission zu dem Unglück eingeleitet. Sie solle die Ursachen feststellen und die Schuldigen ausfindig machen, hieß es.
Polen zu einem anderen Staat umbauen
Für den Soziologen Pawel Spiewak ist das aber nur ein Mosaiksteinchen, die PiS habe sich ein viel größeres Ziel gesetzt. Sie wolle aus Polen einen anderen Staat zu machen, einen rechtsgerichteten Staat:
"In Polen bedeutet 'rechts' eine Verbindung aus Klerikalismus, Traditionalismus und eines weichen Nationalismus, zu dem auch soziale Losungen gehören."
Ein weicher Nationalismus?
"Wir werden das in den öffentlichen Medien sehen, aber auch in der Kulturpolitik. Der Kulturminister hat bereits davon gesprochen, dass wir unsere nationalen Mythen bewahren sollten. Die polnische Kultur sollte zu ihren geschichtlichen Helden stehen. Die Polen sollen zurückkehren zum Selbstbild als Nation ohne Schuld, geschändet, aber selbst unschuldig."
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