Erschütternde Direktheit

Angelina Jolie hat einen Krieg in seiner ganzen Inhumanität, Widerwärtigkeit und Bestialität wirkungsvoll nachgestellt. Sie drehte "In the Land of Blood and Honey" mit unbekannten Schauspielern und schuf ein beeindruckendes Werk.
Die Wut ist kaum zu bändigen, die Wirkungswut dieses ungeheuerlich hervorragenden Films. Aber bleiben wir zunächst bei den Formalien: Hinter diesem eigenartigen Originaltitel verbirgt sich ein Wortspiel. Das türkische Wort für Honig, das türkische Wort für Blut = bal & kan, also Balkan.

Mit ihrem Namen verbindet sich das, was wir gemeinhin als Star bezeichnen. Ein vielfach wie täglich ständig missbrauchter Begriff, der für sie aber durchaus angemessen scheint: Angelina Jolie, geboren am 4. Juni 1975 als Tochter des Hollywood-Schauspielers Jon Voight. Schauspielerin & "Oscar"-Preisträgerin (Nebendarstellerin-Trophäe für "Durchgeknallt"/1999), Filmproduzentin, jetzt auch Regisseurin und Drehbuch-Autorin. Das ehemalige Fotomodell schaffte ihren Durchbruch zum Massenpublikum 2001 mit ihrem Titelpart als Lara Croft in "Tomb Raider".

Angelina Jolie ist seit vielen Jahren "außerhalb" von Hollywood politisch tätig. Als Sonderbotschafterin für das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge reiste sie in die Krisengebiete der Welt. Hielt sich im Tschad und im Irak, in Darfur, Afghanistan, in Lybien und Bosnien-Herzegowina auf. Lenkte mit ihrem Star-Privileg den öffentlichen Blick auf diese Brennpunkte der Zeit und des Leidens, informierte bei Benefizveranstaltungen über die grausamen Lebensverhältnisse dort. Mit eigenem Geld, selbst verfasstem Drehbuch und als Regie-Debütantin entstand schließlich das Projekt "In the Land of Blood and Honey", ein Drama aus den Kriegstagen in Bosnien. Anstatt mit namhaften Hollywood-Kollegen zu arbeiten, tat sich Angelina Jolie mit unbekannten bosnischen, serbischen und kroatischen Schauspielern zusammen. Drehte sowohl in einheimischer wie in englischer Sprache.

Sie, Ajla (Zana Marjanovic), ist 28, hat ihr Baby bei der Schwester gelassen, um einen vergnüglichen Tanzabend mit dem jungen Polizisten Danijel (Goran Kostiic ) zu verbringen. Sie, die muslimische Bosnierin, er, der christliche Serbe. Es ist Anfang 1992. Die verschiedenen ethnischen Gruppen im ehemaligen Jugoslawien leben offensichtlich friedlich zusammen. Dann explodiert eine Bombe. Sie markiert den Beginn des Krieges, in dem von 1992 bis 1995 etwa 100.000 Menschen umkamen. Mehr als zwei Millionen Menschen wurden vertrieben. Mord, Plünderung, Vergewaltigungen und Zerstörung waren an der Tagesordnung. Ajla und Danijel sind nun "Gegner". Er als Kommandant, sie als Gefangene.

Die bosnischen Frauen arbeiten im Lager der serbischen Soldaten. Die hübschesten werden ständig – und bisweilen auch öffentlich – vergewaltigt. Danijel bemüht sich nach Kräften, Ajla zu schützen - als seine quasi-Leibeigene. Als sein Vater von der "grotesken Beziehung" seines Sohnes erfährt, reagiert er bestialisch: Du Hure, ich der Mächtige. Der private Konflikt eskaliert.

Wie soll man es sagen - in dieser gemeinen, erschütternden Direktheit, mit diesem realistischen Zynismus, diesem widerlichen menschlichen Zerstörungspotenzial, dieser schonungslosen wie notwendigen weil wirklich wirkungsvollen Bilder-Wucht prallt der Film in den entsetzten Kopf. Der Mensch als Monster - unterwegs im "Auftrag" einer Ideologie, Religion, Politik… Man muss Angelina Jolie danken, in dieser spielfilmhaften Eindringlichkeit einen Krieg, ganz in unserer europäischen Nähe, in seinem ganzen Dreck und in seiner ganzen Inhumanität, Widerwärtigkeit und Bestialität so wirkungsvoll nachgestellt zu haben. Was für ein beeindruckendes Werk!

USA 2011. Regie: Angelina Jolie. Darsteller: Zana Marjanovic, Goran Kostic, Rade Šerbedžija, Vanesa Glodjo, Boris Ler, Alma Terzic, Jelena Jovanova, Fedja Stukan, Nikola Djuricko, Aleksandar Djurica, Branko Djuric. Länge: 127 Minuten.

Berlinale-Infos über "In the Land of Blood and Honey"
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