Ernst Piper: "Diese Vergangenheit nicht zu kennen, heißt, sich selbst nicht zu kennen"

Arbeit an der Geschichte

05:51 Minuten
Auf dem Buchcover sind ein Foto des Holocaust-Mahnmals in Berlin zu sehen, darunter Autorenname und Buchtitel.
© Ch. Links Verlag

Ernst Piper

Diese Vergangenheit nicht zu kennen, heißt, sich selbst nicht zu kennen. Deutsche Geschichte im Zeitalter der ExtremeCh. Links Verlag, Berlin 2022

336 Seiten

26,00 Euro

Von Hans von Trotha  · 31.03.2022
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Der Historiker und Publizist Ernst Piper denkt in einer Reihe von Essays über die deutsche "Memorialkultur" nach, also über die Geschichte des 20. Jahrhunderts und ihre Aufarbeitung.
Ernst Piper ist Verleger, Publizist, Historiker, Bestseller-Autor (Rosa Luxemburg. Ein Leben). Überhaupt scheinen ihn die Kindheit im Verlegerhaushalt und die eigene verlegerische Tätigkeit ebenso geprägt zu haben wie die stetige akademische Weiterbildung.
Er hat seine Wirkung als Historiker immer auch als Publizist entfaltet, ein Mittler zwischen akademischem Diskurs und allgemeiner Diskussion, insbesondere wenn es um sein Spezialgebiet geht, das ihm auch Herzensangelegenheit ist: Er nennt es unsere „Memorialkultur“, die Erinnerung an die Geschichte des 20. Jahrhunderts, den Nationalsozialismus, den Holocaust.

Memorialkultur

Dazu gehören Forschungen zum deutschen Kaiserreich und zur Geschichte des Antisemitismus vor der Nazi-Herrschaft und zur „Schuldfrage“, zum Historikerstreit, zu Gedenkstätten danach.
Literatur und Kunst spielen eine wichtige Rolle, etwa wenn Piper „Das kulturelle Leben im Kaiserreich“ in den Blick nimmt, „Ernst Jüngers heroischen Realismus“ oder die „Grundlinien der nationalsozialistischen Kulturpolitik“.
Die Arbeit am Erinnern als Arbeit an der Geschichte mit Blick auf eine immer gefährdete Zukunft – so könnte man den Geist beschreiben, der Ernst Piper als Autor und als Forscher treibt.

Ein Geschenk zum 70. Geburtstag

Das dokumentiert dieses Buch, das Texte aus zehn Jahren versammelt, ergänzt um einige Originalbeiträge. Die ausführliche Einleitung bettet sie in einen persönlichen biografischen Kontext. So fügt der Band unterschiedliche Themen und Gedanken zu einer Art intellektueller Biografie und zu einem starken Statement, zumal Piper immer wieder auf seine Grundthemen zurückkommt, moralisch stets eindeutig positioniert, analysierend und mahnend zugleich.
Er hat sich mit diesem Buch selbst ein Geschenk zum 70. Geburtstag gemacht. Uns gibt er damit die Möglichkeit, eine klare, eindeutige Position zur deutschen Geschichte und zur Kultur der Erinnerung in unserer Gesellschaft in unterschiedlichen Kontexten nachzuvollziehen.

Rückfall in nationalen Egoismus

Wie alle Texte zur Zeitgeschichte liest sich das in diesen Tagen anders, in denen ein immer wiederkehrender Konjunktiv der Geschichtswissenschaft (Pipers Version: „Ein Rückfall in nationalen Egoismus, wie ihn bestimmte politische Kräfte anstreben, wäre fatal“) auf grausame Weise zum Indikativ geworden ist, Krieg in Europa, dieser Topos aus der Vergangenheit, zur brutalen Gegenwart.
Unter der Überschrift „Woran wir uns erinnern, wenn wir uns erinnern“, weist Piper unter Berufung auf Walter Benjamin darauf hin, dass Geschichte immer „das Objekt einer Konstruktion“ ist: „Bei jeder erneuten Konstruktion ist die Jetztzeit eine andere, sodass auch das Ergebnis jedes Mal ein anderes ist.“
Als der Verlag das Manuskript an die Druckerei übermittelte, war unsere "Jetztzeit" definitiv eine andere. In seiner Einleitung erinnert Piper an die „dramatische Verschärfung“ der Situation an der Grenze zwischen Russland und der Ukraine im Februar 2014, als russische Einheiten einen Krieg mit dem Nachbarland begannen.
„Über 70 Jahre nach Kriegsende hat sich Russland von dem bis dahin geltenden Konsens, der die Ablehnung der gewaltsamen Veränderung von Staatsgrenzen ausdrücklich einschloss, verabschiedet“, schrieb Piper für dieses Buch. Da konnte er noch nicht wissen, wie sehr.

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