Ernst Barlach und Bernhard Böhmer

Eine ambivalente Männerbeziehung

09:04 Minuten
Ein älterer Herr steht in einem Atelier mit Kunstwerken.
Bildhauer Ernst Barlach in seinem Atelier um 1935. Im Hintergrund der vollendete "Fries der Lauschenden". © picture alliance / akg-images
Von Ulrike Sebert · 29.06.2022
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Der Bildhauer Ernst Barlach und der Kunsthändler Bernhard A. Böhmer hatten eine intensive, aber auch schwierige Beziehung. Während Barlachs Kunst den Nationalsozialisten als „entartet“ galt, unterhielt Böhmer gute Beziehungen zu Goebbels´ Ministerium.
So berühmt wie Gurlitt ist er nicht, aber er ist auch kein unbeschriebenes Blatt. Bernhard A. Böhmer war eine schillernde Figur in der Kunstszene der Nazizeit. Intensive Beziehungen pflegte er zum Kunstdienst der evangelischen Kirche, der dem Reichspropagandaministerium unterstellt war. In dessen Depots, im Schloss Schönhausen in Berlin zum Beispiel, wurde „international verwertbare entartete“ Kunst gelagert und Kaufinteressenten präsentiert. Böhmer besuchte die Ausstellungen regelmäßig.
„Hier sehen wir ein Foto aus den 40er-Jahren, wie nach Barlachs Tod im großen Atelier die verschiedenen Kunstwerke zusammengestellt worden sind", sagt Magdalena Schulz-Ohm. "Man sieht viele plastische Arbeiten Barlachs. Man sieht aber auch eine Reihe Gemälde, offensichtlich expressionistische Arbeiten, die aus der Sammlung Böhmers beziehungsweise aus seinem zu veräußernden, 'entarteten' Kunstgut stammen.“

Intensive Beziehung mit Schattenseiten

Schulz-Ohm ist Geschäftsführerin der Ernst-Barlach-Museen in Güstrow am Inselsee. Hier ließ Barlach auf dem Zenit seines Schaffens 1931 ein Atelierhaus bauen, das später sein Kunsthändler, Assistent und Sekretär Bernhard A. Böhmer mit seiner Familie bis 1945 bewohnte.
„Böhmer hat auch noch einen Bauantrag gestellt, relativ spät während des Zweiten Weltkrieges, um hier ein unterirdisches Depot zu errichten, um die Kunstschätze dort vor Bombenangriffen sicher zu verwahren. Er hat diesen Sonderantrag auch genehmigt bekommen, es ist dann aber nicht mehr zur Ausführung gekommen.“
Barlach und Böhmer verband eine intensive, aber auch sehr ambivalente Beziehung. Als 1926 der Kunsthändler Paul Cassirer in Berlin verstarb, übernahm Böhmer dessen Aufgaben, Barlachs Werke zu veräußern und dessen Kunst bekannt zu machen. In dieser Zeit knüpfte Böhmer erste Kontakte zum Berliner Kunstmarkt, 1933 zu den Nationalsozialisten, ohne allerdings NSDAP-Mitglied zu werden.
„Andererseits hat Böhmer auch zu seinem Vorteil gehandelt. Es gibt immer wieder Vorfälle, die dokumentieren, dass er ohne Absprachen Barlachs Bronzegüsse von Werken vornimmt, die nicht vorgesehen waren. Böhmer entscheidet das eigenmächtig und plötzlich tauchen diese Werke auf.“

Privilegien eines Kunsthändlers

Böhmer verehrte Ernst Barlach als Künstler, bezeichnete ihn sogar einmal als seinen ‚geistigen Vater‘. Nach dessen Tod 1938 engagierte er sich sehr stark für die Rettung des Barlach-Werkes, das als ‚entartet‘ galt. Er erwarb viele der Kunstwerke zurück oder bot sie privaten Kunstsammlern an. Offiziell war ihm das untersagt.
Seine Aufgabe war es, als ausgewählter Kunsthändler der Nationalsozialisten, 'entartete Kunstwerke' für Devisen ins Ausland zu verkaufen. Böhmer verfolgte von Anfang an nicht zuletzt eigene kommerzielle Interessen, er arbeitete auch mit unlauteren Methoden, die ihm ein großes Vermögen sicherten.
Susanne Knuth, Kunsthistorikerin im Kulturhistorischen Museum Rostock, sagt dazu: „Der Böhmer-Nachlass ist so besonders, weil es sich um das größte zusammenhängende Konvolut ehemalig beschlagnahmter, 'entarteter' Kunst handelt. Ursprünglich war es geplant, die Kunstwerke zu vernichten. Schließlich wurde die Ausstellung Entartete Kunst, die 1937 In München begann, bis 1941 in zwölf deutschen Städten gezeigt."
"Diese Beschlagnahmeaktion hatte 1937 noch keinen juristischen Rahmen und keine Gesetzesgrundlage", sagt Knuth. Die sei erst ein Jahr später, 1938, geschaffen worden. "Und damit war es erst möglich, dass der Staat vier Kunsthändler, darunter Bernhard A. Böhmer beauftragen konnte, diese Kunstwerke zu veräußern.“
Ernst Barlachs Skulptur "Magdeburger Ehrenmal" von 1929 im Magdeburger Dom.
Ernst Barlachs Skulptur "Magdeburger Ehrenmal" von 1929 im Magdeburger Dom.© picture alliance akg-images/Hilbich
Warum Böhmer von den Nationalsozialisten ausgewählt wurde, ist bis heute nicht endgültig geklärt. Man geht davon aus, dass seine intensiven, zum Teil freundschaftlichen Beziehungen zum Propagandaministerium ihm eine Autorisierung zum Händler der „entarteten Kunst" ermöglichten und er somit Zugang zu den Depots erhielt. Die Restbestände wurden für "unverwertbar" erachtet und sollten verbrannt werden.

Kommissionsvertrag 1939/40

Böhmer schloss 1939/40 einen Kommissionsvertrag über Werke ab, die man vernichten wollte. 1940 bot er dem Propagandaministerium ein Gemälde des Romantikers Carus im Tausch gegen 48 Werke der entarteten Kunst an.
Böhmer war derjenige unter den vier Kunsthändlern, der die größte Anzahl beschlagnahmter Gemälde und Plastiken erwarb oder in Kommission nahm und der dabei die meisten Künstler berücksichtigte. Auch die von damals eher Unbekannten.
„Dann kommt die Rote Armee 1945, rückt bereits am 1. Mai in Güstrow ein, am 3. Mai nehmen sich Böhmer und seine Frau das Leben. Der Sohn Peter überlebt. Dieses Kunstlager wurde von der Roten Armee zum Teil geräumt. Es gibt Überlieferungen, dass bündelweise Blätter von Papier im Wald umherflatterten, dass Gemälde dazu genutzt wurden, die Rückseiten, dass man der nachrückenden Armee die Richtung wies.“

Böhmer-Nachlass befindet sich heute in Rostock

Der Bestand aus Güstrow kam vorerst als Erbgut in Privatbesitz nach Rostock und wurde zum Teil schon verkauft. 1947 sicherte die Deutsche Verwaltung für Volksbildung die von den Nationalsozialisten beschlagnahmte Kunst und überführte sie ins Kulturhistorische Museum Rostock. Der Böhmer-Nachlass zählt heute 614 Werke. Er wurde 2009 vom Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen der Stadt Rostock zugeschrieben, nachdem die Provenienzen der Kunstwerke geklärt waren.
„Das Konvolut umfasste 1947 über tausend Objekte, darunter gut 900 Arbeiten auf Papier, über 30 Gemälde und ein Dutzend Plastiken", erklärt Susanne Knuth. "Der Bestand reduzierte sich in der DDR-Zeit, es gab in den 50-er-und 60-er-Jahren Restitutionen an deutsche Museen, die sich auf DDR-Gebiet befanden.“
Ich würde Böhmer, so wie ich ihn mir erschließen kann anhand der Quellen, nicht als Idealisten vorstellen. Sondern als jemanden, der immer auch wusste, was er tat und immer wusste, das zu seinem persönlichen Vorteil zu nutzen. Er hat vieles getan, was dazu führte, dass Werke überdauert haben, die sonst vielleicht verloren gegangen wären, das auf jeden Fall – aber nicht aus Idealismus heraus, nicht aus Menschenfreude heraus, sondern auch zu seinem persönlichen Vorteil. Das Agieren als Kunsthändler mit der Entarteten Kunst ist aus heutiger Sicht sowieso sehr kritisch zu sehen", sagt Magdalena Schulz-Ohm in Güstrow.
Auch das „Magdeburger Ehrenmal“, von Barlach 1929 geschaffen, erwarb Bernhard A. Böhmer zurück. Die Holzplastik konnte 1955 im Magdeburger Dom wieder aufgestellt werden.

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