Erinnerungen an Alma Mahler-Werfel

Rezensiert von Erik von Grawert-May · 15.02.2009
Muse berühmter Männer, Gesellschaftsdame, Femme fatale und Salon-Gastgeberin - viele Etikette sind der Österreicherin angeheftet worden. Autor Erich Rietenauer hatte Alma Mahler-Werfel als Knabe erlebt. Als über Siebzigjähriger fasst er seine Erinnerungen in einem Buch zusammen.
In dieser von unerwarteter Unsicherheit geprägten Zeit, die vielleicht voreilig mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 folgende verglichen wird, mag ein Buch über Alma Mahler-Werfel und das Wien der 30er Jahre wie gerufen kommen. Wir erleben am Beispiel eines bedeutenden Künstlerpaares das langsame Abdriften der österreichischen Hauptstadt in den Nazismus. Und alles mit den Augen eines Knaben, den Alma wie eine Glücksfee aus den ärmlichsten Verhältnissen in ihre verführerische Sphäre zog.

Das ging so. Der Junge musste aus Geldmangel die übergroßen Schuhe seines Onkels tragen. Schlimmste Hänseleien seiner Schulkameraden waren die Folge. Es traf sich gut, dass die Stadt Wien während der Krise Weihnachtsbescherungen für arme Kinder veranstaltete. Eine prominente Person sollte die Kleinen beschenken. Das Los fiel auf Alma. Sie sah sich plötzlich dem Knaben gegenüber. Der hatte allerdings, bevor er die Gabe in Empfang nehmen durfte, noch etwas von Eichendorff vorzutragen.

"Da stand Frau Mahler auf, kam mir entgegen und drückte mich an ihre Brust. (...). Ich roch ihre Haut und ihr Parfüm. Dabei streichelte sie mich und redete zu mir, wobei ich in meiner Aufregung kein Wort verstand. Endlich ließ sie mich los, hielt mich an der Hand kurz fest und flüsterte: 'In deinem Paket sind Schuhe, zieh sie sofort an und wirf diese schrecklichen Schuhe weg.'"

Für unseren Autor, Erich Rietenauer, hatte diese Begebenheit die Gewalt einer Urszene. Sie ereignete sich am 8. Dezember 1931, da war er sieben. Danach geriet er durch ein weiteres Wunder in den Dunstkreis Almas, die sich jedoch in ihrer Hoffahrt ungern an diesen Tag erinnerte. Die Mutter Almas, Anna Moll, die im Haus neben ihrer Tochter wohnte, gab ihm zunächst eine Art Armen-Asyl. Aber da er so entzückend aussah und gute Manieren hatte, nahm sie ihn wie ihren Enkel an. Und nannte ihn "Burschi".

Was er dort als kleiner Junge erlebte, ist nicht in zeitgeschichtlicher Hinsicht lesenswert. Fast alle Szenen aus dem Buch sind mit Kinderaugen gesehen. Das Erhabene steht unmittelbar neben dem Banalen. Doch dadurch entgeht die Beschreibung des Lebens von Alma der Beweihräucherung, und dies, obwohl Rietenauer den Duft ihres Parfüms vom Tag seiner Weihnachtsbescherung an nicht mehr vergessen konnte. Ob er deshalb eine ehrlichere Biographie Almas geschrieben hat, ist trotzdem fraglich.

Diese größere Ehrlichkeit verlangte Ida Gebauer, genannt "Schulli", von ihm. Sie wurde für Alma so etwas wie eine Schwester – Haushilfe, Kindermädchen, Gefährtin - alles in einem. Sie war noch näher dran als der kleine "Burschi" und sorgte sich später, nach der Emigration, als Alma ihr Leben aufschreiben wollte, die Niederschrift aber zum Teil ihrer Entourage überließ, um die Wahrheit. Nur weil der Knabe alles, was ihm widerfuhr, in Schreibheften festgehalten hatte, traute sie ihm die richtigere Beurteilung Almas zu.

Die Schreibhefte gingen jedoch verloren. Rietenauer musste 2006, als er sich – nach 70 Jahren - zu seinem Buch entschloss, die Geschichten anhand von Autogrammen und anderen Erinnerungsstücken erst wieder zusammentragen. Er hatte alles verdrängt. Offenbar quälte ihn die Vergangenheit. Kein Wunder, wenn man bedenkt, was er als Knabe alles mitbekam. So auch Furtwänglers Besuch im Hause Almas vom 5. März 1933 und dessen Bemerkungen über den Verlust der Ehrfurcht:

"Wenn man heute eine ehrfurchtslose Zeit bemängelte, so sei das sicherlich eine der Ursachen der allgemeinen Krise. Die Menschen ließen sich treiben und mit dieser fatalistischen Einstellung würden sie schließlich ein Opfer der Diktatur. 'Wir sind gerade auf dem Weg, unsere Freiheit komplett zu verlieren und zugleich auch uns selbst.'"

Die Ehrfurchtslosigkeit war kein Problem, das vor dem gastlichen Haus haltmachte, es drang im Wien dieser Jahre bis in den Kern der Familie vor. Nicht nur der Stiefvater Almas, Carl Moll, war Nationalsozialist, auch der Mann ihrer Stiefschwester, Richard Eberstaller. Beide konnten den Anschluss Österreichs kaum erwarten. Eberstaller war es denn auch, der Hitler schon im Vorwege das Autograph von Bruckners 3. Symphonie versprach. Alma hütete diesen Schatz, der über ihren ersten Mann, Gustav Mahler, an sie gekommen war, wie ihren Augapfel. Bevor sie mit Franz Werfel nach Frankreich flüchtete, übergab sie ihn ihrer "Schulli". Atemberaubend dann später die Suche der Geheimen Staatspolizei nach diesem Stück Original-Partitur.

"Hitlers Befehl, 'danach zu suchen', wurde bedingungslos nachgegangen. Sie ("Schulli") wurde zum Verhör vorgeladen und über den Verbleib der gesuchten Partitur (...) eingehendst befragt. (...) Gezählte 28 mal wurde sie vom April 1938 bis August 1939 von der Gestapo verhört. Man setzte sie dermaßen unter Druck, dass sie oft weder aus noch ein wusste. Ihre Wohnung wurde durchsucht und ihre gesamte Post zensuriert. Alma jedoch schrieb an Schulli weiterhin gedankenlos Postkarten mit belastenden Texten wie: 'Bitte schicke mir die B.Symphonie nach Paris. (...)' - Diese Postkarten bekam Schulli nicht per Post, sondern sie wurden ihr bei den Verhören von der Gestapo vorgelegt. Alma hatte immer noch nicht verstanden, dass sie in Paris nicht Urlaub machte, sondern in der Emigration lebte und ihre Karten Ida sehr belasteten."

Diese Ansichten brachte der inzwischen gealterte Autor zu Papier. Die kindliche Naivität des Knaben war passé, das Feenhafte seiner Gönnerin verschwunden. Dafür kam das über den prosaischen Alltag Erhabene der Hauptperson ans Licht. Alma Mahler-Werfel war alles gleichzeitig: eine bedeutende Frau, Muse vieler Genies, jedoch nicht ohne Zumutungen für ihre nächste Umgebung - vielleicht die Kehrseite ihrer Verlorenheit an die großen Künstler. Schließlich hatte sie ihnen zuliebe, obschon nicht freiwillig, ihre kompositorischen Fähigkeiten verkümmern lassen. Sie holte die entgangene Karriere quasi an ihren Männern nach, ließ sich von ihnen ihr Leben vorschreiben. "Lebensmusik" nannte sie das.

Das Buch Rietenauers ist wie eine Fuge dazu – eine Fuge aus der Froschperspektive, jedenfalls vorwiegend. Dadurch macht es Lust, und das ist kein geringes Verdienst, auf Almas Lebensbeschreibung. Lust auch auf das politische Spannungsfeld des Wiens der 30er Jahre.

Erich Rietenauer. Alma, meine Liebe - Persönliche Erinnerungen an eine Legende
Amalthea Signum Verlag, Wien, 2008
Cover: Erich Rietenauer: Alma, meine Liebe
Cover: Erich Rietenauer: Alma, meine Liebe© Amalthea Signum Verlag