Erbe der SED-Diktatur

Das Schweigen der dritten Generation Ost

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Der Text "AfD area" ist als Graffiti auf eine Grundstücksmauer in Leipzig gesprüht. Darunter stand vorher "antifa".
Zuletzt in Sachsen-Anhalt stärkste Partei bei Jüngeren: Die AfD ist hier offenbar eine Partei mit Zukunft, so die Schriftstellerin Anne Rabe. © imago / Peter Endig
Ein Standpunkt von Anne Rabe · 14.06.2021
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Wie sehr ist demokratisches Denken in den ostdeutschen Bundesländern verankert? Besorgniserregend schwach, schätzt die Autorin Anne Rabe. Das habe aber nicht nur mit dem autoritären Erbe aus DDR-Zeiten zu tun, meint die gebürtige Mecklenburgerin.
Wie steht es um das Erbe der DDR? Diese Frage wurde seit den Äußerungen des Ostbeauftragten der Bundesregierung, Marco Wanderwitz, vielfach diskutiert. Er hatte einem großen Teil der Ostdeutschen bescheinigt auch gut 30 Jahre nach der Wiedervereinigung noch nicht in der Demokratie angekommen zu sein.
Diese Frage stellt sich aber auch nach der Wahl in Sachsen-Anhalt, wenn auch das prognostizierte Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU und AfD ausgeblieben war.

Positives Verhältnis zu antidemokratischen Positionen

Doch wie schon bei den letzten Landtagswahlen im Osten, ist es der AfD gelungen, bei den Wähler:innen unter 45 Jahren zur stärksten Kraft zu werden. Die AfD ist hier offenbar eine Partei mit Zukunft.
Die Jungen im Osten, welche die DDR allenfalls als Kinder erlebten, haben zu großen Teilen ein positives Verhältnis zu antidemokratischen Positionen. Laut Leipziger Autoritarismusstudie von 2020 sehnen sich sogar mehr als 15 Prozent der Ostdeutschen unter 30 nach einer rechtsautoritären Diktatur. Im Westen sind es nur etwa zwei Prozent der Gleichaltrigen.
Dennoch wird genau das nun als Indiz dafür genommen, dass dies mit der DDR nichts mehr zu tun haben könne. Ganz so, als sei sie mit der Wiedervereinigung spurlos verschwunden.
Vergessen wird, dass Eltern, Erzieher und Lehrer, noch dieselben waren. Vergessen wird das Schweigen über das eigene Mittun an der Diktatur. Vergessen wird die Angst vor Repressionen und Gewalt, die bis tief in die Familien hineinreichte und nicht selten zu einer autoritären und gewaltvollen Erziehung führte, wie der Psychologe Hans-Joachim Maaz es in seinem Buch "Der Gefühlsstau" analysiert hatte.

Verklärte Erinnerung an die DDR

Ich erinnere mich gut an den Tag, als ich, 1986 in Mecklenburg geboren, als 14-Jährige mit einer Trikotjacke der DDR-Nationalmannschaft zur Schule ging. Eine Polizistin war für einen Vortrag zum Thema Drogenkonsum in unsere Klasse gekommen und kommentierte Hammer und Zirkel auf meiner Brust lächelnd mit: "Das finde ich stark, dass du deine eigene Meinung hast!"
Diese Polizistin hatte einen Eid auf das Grundgesetz geschworen, der offenbar nicht im Widerspruch zu meinem Bekenntnis zur SED-Diktatur stand.
Während der 90er-Jahre war die DDR zunehmend zu einer verklärten Erinnerung an eine Zeit ohne Arbeitslosigkeit geworden - an billige Mieten und Brötchen für fünf Pfennige. Auf wessen Kosten man sein sorgloses Leben geführt hatte, darüber wurde nicht gesprochen.
Dass gerade die AfD, mit ihrem autoritären Duktus und einem Programm, in dem es wieder weniger Abiturienten und mehr Arbeiter geben und Kinder von Geflüchteten in Sonderklassen unterrichtet werden sollen, bei jungen Ostdeutschen so erfolgreich ist, schlägt eine Brücke in die Vergangenheit.
Für alles, was heute in der Bundesrepublik angeblich schiefläuft, sind laut AfD die 68er verantwortlich. Jene Generation also, die ihre Eltern und ihren autoritären Erziehungsstil infrage gestellt und so den Weg hin zu einer gewaltfreien und demokratischen Erziehung ermöglichte.

Wir Jüngeren stehen in der Verantwortung

Die dritte Generation Ost, von denen unter anderem Hans-Joachim Maaz genau das erwartet hatte, hat sich einer ähnlich kritischen Auseinandersetzung mit dem Erbe der SED-Diktatur bisher verweigert. Dadurch wurde ein Schweigen kultiviert und der Mythos vom friedliebenden, kinderfreundlichsten Land der Welt weitergetragen.
Viele Vertreter:innen dieser Generation und ihrer Nachfolger gehören heute zu den einflussreichsten Stimmen einer ostdeutschen Identitätspolitik, die den Rechtsruck vor allem den Verwerfungen der Nachwendezeit zuschreibt und einen Zusammenhang mit der Diktaturgeschichte verleugnet. Doch so kann es ganz offensichtlich nicht weitergehen.
Wir Jüngeren, die wir keine historische Schuld tragen, stehen in der Verantwortung. Wir müssen die Geschichte unserer Herkunft und Prägungen aufarbeiten, damit die Vergangenheit unsere Gegenwart nicht mehr bestimmt.

Anne Rabe ist Schriftstellerin und Drehbuchautorin. Sie schreibt für diverse TV-Serien, wie etwa "Warten auf den Bus". Für ihr Theaterstück "18109 – Lichtenhagen" erhielt sie unter anderem den Kleist-Förderpreis für junge Dramatiker. Zuletzt erschien von ihr der Essay "Kinderland" in der Zeitschrift "Merkur".

Anne Rabe sitzt auf einem Balkon.
© privat / Anne Rabe
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