"Er hat sich nie auf einen Sockel gestellt"
Nach Ansicht des Lyrikers und Karikaturisten F.W. Bernstein hat der verstorbene Peter Rühmkorf sich selbst nicht Künstler überhöht. Rühmkorf hätte für alles Pathetische nur Spott übrig gehabt und war in seiner Dichtkunst stets provozierend, "weil er hat was gegen die Feierlichkeit der Lyrik und der Denkmalslyriker gehabt. Und da war das ein gutes Gegengift."
Peter Rühmkorf: "Schlaf Kindlein, schlaf, deine Mutter ist ein Schaf, dein Vater ist ein Trampeltier, was kannst du armes Kind dafür. Das kennen Sie alle noch, nicht? Schlaf Kindchen, schlaf, dein Vater ist ein Schaf, deine Mutter, das ist auch so 'n Schwein, nun schlaf du, mein liebes Kindelein."
Joachim Scholl: Das war Peter Rühmkorf, seine Verse, sein Temperament. Im Jahr 2001 an der Universität Tübingen hat er Vorlesungen zur Poetik gehalten. Und vermutlich werden die Studierenden diesen Dichter auch nicht vergessen. Am Sonntag ist Peter Rühmkorf im Alter von 78 Jahren an einer Krebserkrankung gestorben. Gestern noch hat ihm die Stadt Kassel ihren Literaturpreis für grotesken Humor zugesprochen. Man wusste noch nichts vom Tode des Preisträgers. Bei uns zu Gast heute Morgen ist ein literarischer Gefährte und Kamerad im Geiste, F. W. Bernstein, der Lyriker, der Zeichner, der Karikaturist. Ich grüße Sie, Herr Bernstein!
F. W. Bernstein: Guten Tag!
Scholl: Viel wird heute gesprochen und gerühmt über Peter Rühmkorf in allen Medien. Was war er für Sie?
Bernstein: Ja, was war er für mich? Kollege, das wäre eigentlich hochgestapelt. Denn da konnte ich nicht ganz mithalten. Da musste ich dran denken und kann zitieren, weil er hat ja schon alles praktisch vorgeschrieben, was er über Joseph Haydn gesagt hat. Worüber hat er nichts gesagt? Sein Altersübermut oder Übermut seines Alters, vollendete Beherrschung der Mittel.
Das hat er auch gemacht. Man konnte ihn neidlos bewundern, weil er hat, ich rede schon in der Vergangenheit, er ist ja gegenwärtig, er hat sich nie auf einen Sockel gestellt, nie den Stefan George gegeben, nie den großen Seher und Barden, dafür hat er Spott übrig gehabt. Und das hat nicht bloß den Umgang mit den Künsten erleichtert, sondern auch den Umgang mit ihm.
Ich wäre ihm natürlich gern näher gestanden. Ich hätte auch mit ihm gern getrunken. Aber da hat mir es wieder an der nötigen Trinkfestigkeit und Vitalität gefehlt. Da war er ja auch legendär.
Scholl: Da kommen wir vielleicht noch drauf zurück. Nun tönt es natürlich aus allen Blättern: "einer der bedeutendsten Lyriker des Nachkriegsdeutschlands". Das schreibt sich flott hin, wenn es natürlich auch schon stimmt. Er hätte aber, glaube ich, diese Floskel doch wohl mit Spott kommentiert. Wo steht er für Sie, Herr Bernstein, als Lyriker?
Bernstein: Ja, ganz oben in der Champions League, in der Hitparade. Aber ich bin kein Literaturwissenschaftler, ich kann auch nicht vergleichen, war nun Enzensberger der Bessere oder der Robert Gernhardt. Wir sollten froh sein, dass wir mehrere solcher Kerle haben. Auf jeden Fall hat er, und wir könnten jetzt eigentlich schon die nächsten Stunden nur aus einem letzten Buch zitieren, er hat da eigentlich schon alles vorgelegt und nachgelegt, was wir da für seine Hitparade brauchen. "Paradiesvogelschiß" ist vor ein paar Wochen erschienen. Und da erleichtert er auch uns selber den Umgang mit seinem Ableben. Ich darf einen kurzen Vierzeiler?
Scholl: Bitte, sehr! Bitte gerne, ja!
Bernstein: In fast allen seinen Gedichtbänden lässt er in die Werkstatt gucken, das tut sonst kein Lyriker. Es sind Skizzen drin, Notizen, das, was der Zeichner und der Maler im Skizzenbuch hat, hat er im literarischen Skizzenbuch. Und da kommt das auch, so ein Vierzeiler, einem Fall: "Gestorben wird doch unentwegt und allenthalben, und diese Abschiedsfeiern sind mir ein Gealber. Hingegen einmal noch den Zug von Schwalben verfolgen, mit mir selbst als Oberschwalber."
Scholl: Wunderbar. Aber ich habe auch eins: "Die Loreley entblößt ihr Haar am umgekippten Rheine. Ich schwebe graziös in Lebensgefahr, zwischen Freund Hein und Freund Heine." Auch klassischer Rühmkorf. Und diese beiden Gedichte, die zeigen auf so ein ganz gewisses Motiv, die Beschäftigung mit dem Tod. Er war sehr krank, schon lange, aber es zieht sich doch durch die letzten Jahre. Und man hat den Eindruck, Robert Gernhardt, den Sie auch schon zitiert haben, hat das ähnlich gemacht, als er schwerkrank wurde und den Schnitter kommen fühlte. Diese Dichter haben dem Tod, scheint es, mit sardonischem Witz ins kalte Auge geblickt?
Bernstein: Ja, ich hatte auch den Eindruck. Wie er begonnen hat, hieß es auch, die Komik stirbt zuletzt. Es ist ein Motiv geworden, ein Motiv mit literarischer Tradition, den man immer noch was Neues abgewinnen konnte, ohne uns jetzt zu allen möglichen Triefnasigkeiten zu verleiten. Es ist eine Souveränität in diesen letzten Wochen und Tagen in den Gedichten drin.
Scholl: Wir haben ihn gerade gehört, seine Stimme und seinen Humor auch im öffentlichen Vortrag. Er war ein Mann der Öffentlichkeit. Er war eigentlich so der lyrische Sänger vor Publikum, nicht wahr?
Bernstein: Ja, unbedingt. Der Sänger. Ich würde das wortwörtlich nehmen, was er gemacht hat mit Jazz und Lyrik, mit diesen Reihen.
Scholl: Legendäre Auftritte mit dem Pianisten damals, Michael Naura, zusammen.
Bernstein: Und er hat regelrecht gesungen, und sein Gedichtvortrag war durchaus musikalisch. Er war ein Barde, wo er dann wieder sagt, ich bin nicht einer von den Barden für die Milliarden. Er hat dieses Mittelalterliche gehabt, hat ja auch geschrieben über Walter von der Vogelweide.
Scholl: Über Klopstock zum Beispiel, auch an eine ganz vergangene Tradition erinnert. In Gedenken an Peter Rühmkorf, den Schriftsteller, der gestern gestorben ist, hier im Deutschlandradio Kultur spricht sein Kollege und Gefährte F. W. Bernstein. Er hat immer in Wort und Tat sich zum Volksmund bekannt, Peter Rühmkorf. Es gibt viele Anthologien mit Volksmundgedichten, er hat sie kommentiert, das im Wortsinn Populäre lag ihm sehr am Herzen. Dennoch scheut man bei ihm ja doch das Wort so vom Volksdichter, so à la Eugen Roth. Dazu war er dann doch wieder zu intellektuell und widerspenstig, oder?
Bernstein: Ja, ich glaube, ich weiß auch nicht, ob er so ein paar solche Slogans hinterlassen hat, die zitierbar sind, wie es Heinz Erhardt, der Volksdichter, oder andere hatten. Aber sein "Dem Volk aufs Maul Schauen", da war ja auch ein wissenschaftliches Interesse dran. Es gab in den 50er, 60er Jahren von Enzensberger "Allerleirau", eine Anthologie von Kinderlyrik, das Feinste und Schönste und Handgewebtestes, was es gab.
Und dann hat er nachgelegt, Rühmkorf, "über das Volksvermögen" und hat all den wunderbaren Schweinkram und das Zersingen von Kindern über Verse und Werbeverse dann rausgebracht. Das gehört unbedingt dazu zur Kinderlyrik. Sie hatten vorher schon da draus vorgespielt. Und da war für ihn eben auch was leicht Provozierendes drin, weil er hat was gegen die Feierlichkeit der Lyrik und der Denkmalslyriker gehabt. Und da war das ein gutes Gegengift.
Scholl: Das Werk von Peter Rühmkorf ist kaum zu überblicken. Ich habe gestern mal ein Verzeichnis ausgedruckt, das wollte gar nicht mehr aufhören. Bemerkenswert gerade in den letzten Jahren waren auch Aphorismen und Tagebücher. Er war ein leidenschaftlicher Diarist. Man munkelt von einem Kubikmeter Material, das noch nicht veröffentlicht ist. Das bislang Publizierte zeigt aber auch so neben dem Großhumoristen durchaus auch so den engagierten Zeitgenossen. Wie hat Peter Rühmkorf auf die Welt geblickt?
Bernstein: Erstaunlich klaren Kopfes. Wenn man diese ersten Tagebücher aus den 60er Jahren liest, da könnte man meinen, er hat sie im Nachhinein geschrieben, wie er da gegen die militanten RAF-Leute, oder wie er die überhaupt klar sieht und Ulrike Meinhof, die er ja nun sehr gut kannte, wie er deren Werdegang und Niedergang beschreibt. Und er hat ja weitergeführt die Tagebücher. Ich darf damit angeben, ich komme drin vor.
Scholl: Oh, wie sind Sie notiert?
Bernstein: Ich werde erwähnt. In meinem Novellenzyklus "Der Erwähnte", da wird das eine Rolle spielen. In Rendsburg durfte ich mal Klavier spielen und das erwähnt er. Da steht uns Schönes bevor, was er da bis zum Schluss gemacht hat.
Scholl: Ich bin ihm einmal begegnet auf einem privaten Fest, das ist Jahre her. Da fühlte er sich indisponiert, klagte über Migräne und war gleichzeitig rührend umschwebt von bestimmt drei äußerst reizenden jungen Damen, die ihm das Aspirin reichten und ihn dann auf eine Récamiere betteten und wie ihm das gefiel. Natürlich warf er dann angesichts der sprudelnden Tablette sofort einen Vierzeiler hin. Mein löchriges Gedächtnis hat es leider nicht bewahrt. Aber Sie sagten vorhin schon, er war trinkfest, er war ein sehr, sehr lebenslustiger Mann. Das passte natürlich, glaube ich, auch wirklich zu seinem Versstil auch.
Bernstein: Ja, das ist eine Vitalität, die nicht bloß am Schreibtisch sich ausgetobt hat. Er hat auch gezeichnet. Ich hatte mal die Ehre, eine Postkartenausstellung mit ihm zusammen zu machen, seine Kärtchen und meine Kärtchen, hat einen ganz Band herausgegeben mit Postkarten, gezeichneten Postkarten an Freunde und Kollegen. Das war ihm auch nicht fremd. Ist ja auch gezeichnet worden von unserem Größten, von Horst Janssen, dem Hamburger.
Und in diesem letzten Band jetzt hier, diesem "Paradiesvogelschiss", da kommen zwischendurch erstaunliche Verse und Versversuche über Maler und über andere bildende Künstler. Das war für ihn wohl der Kunstbereich, glaube ich, so eine Einheit, ob Musik, ob Wort, ob Bild.
Scholl: Das Leichte sei das Schwere, hat Goethe einmal gesagt. Und ich glaube, das trifft auch wirklich für Peter Rühmkorf zu. Die Verse kommen so leicht daher, aber man weiß, dass er manchmal Hunderte von Variationen geschrieben hat, bis dann wirklich ein Gedicht stand.
Bernstein: Und er hat aber auch die Versuche veröffentlicht. "Ich zog die Wörter auf Zeichen, da schwebten sie locker ein Weilchen."
Scholl: Kommen wir wieder auf die Literatur zurück. Peter Rühmkorf gebührt wohl das Verdienst, den einzigen vernünftigen Vers auf das im Deutschen unreimbare Wort Menschen geleistet zu haben. Jetzt helfen Sie mir, F. W. Bernstein. Wie geht das, die schönsten Verse der Menschen, nun finden Sie schon einen Reim ...
Bernstein: ... das sind die Gottfried Bennschen.
Scholl: Ich danke! In memoria Peter Rühmkorf. Am Sonntag starb der Dichter, und wir haben an ihn und sein Lebenswerk ein bisschen erinnert mit dem Lyriker und Zeichner und langjährigen Freund F. W. Bernstein. Wunderbar, dass Sie da waren!
Joachim Scholl: Das war Peter Rühmkorf, seine Verse, sein Temperament. Im Jahr 2001 an der Universität Tübingen hat er Vorlesungen zur Poetik gehalten. Und vermutlich werden die Studierenden diesen Dichter auch nicht vergessen. Am Sonntag ist Peter Rühmkorf im Alter von 78 Jahren an einer Krebserkrankung gestorben. Gestern noch hat ihm die Stadt Kassel ihren Literaturpreis für grotesken Humor zugesprochen. Man wusste noch nichts vom Tode des Preisträgers. Bei uns zu Gast heute Morgen ist ein literarischer Gefährte und Kamerad im Geiste, F. W. Bernstein, der Lyriker, der Zeichner, der Karikaturist. Ich grüße Sie, Herr Bernstein!
F. W. Bernstein: Guten Tag!
Scholl: Viel wird heute gesprochen und gerühmt über Peter Rühmkorf in allen Medien. Was war er für Sie?
Bernstein: Ja, was war er für mich? Kollege, das wäre eigentlich hochgestapelt. Denn da konnte ich nicht ganz mithalten. Da musste ich dran denken und kann zitieren, weil er hat ja schon alles praktisch vorgeschrieben, was er über Joseph Haydn gesagt hat. Worüber hat er nichts gesagt? Sein Altersübermut oder Übermut seines Alters, vollendete Beherrschung der Mittel.
Das hat er auch gemacht. Man konnte ihn neidlos bewundern, weil er hat, ich rede schon in der Vergangenheit, er ist ja gegenwärtig, er hat sich nie auf einen Sockel gestellt, nie den Stefan George gegeben, nie den großen Seher und Barden, dafür hat er Spott übrig gehabt. Und das hat nicht bloß den Umgang mit den Künsten erleichtert, sondern auch den Umgang mit ihm.
Ich wäre ihm natürlich gern näher gestanden. Ich hätte auch mit ihm gern getrunken. Aber da hat mir es wieder an der nötigen Trinkfestigkeit und Vitalität gefehlt. Da war er ja auch legendär.
Scholl: Da kommen wir vielleicht noch drauf zurück. Nun tönt es natürlich aus allen Blättern: "einer der bedeutendsten Lyriker des Nachkriegsdeutschlands". Das schreibt sich flott hin, wenn es natürlich auch schon stimmt. Er hätte aber, glaube ich, diese Floskel doch wohl mit Spott kommentiert. Wo steht er für Sie, Herr Bernstein, als Lyriker?
Bernstein: Ja, ganz oben in der Champions League, in der Hitparade. Aber ich bin kein Literaturwissenschaftler, ich kann auch nicht vergleichen, war nun Enzensberger der Bessere oder der Robert Gernhardt. Wir sollten froh sein, dass wir mehrere solcher Kerle haben. Auf jeden Fall hat er, und wir könnten jetzt eigentlich schon die nächsten Stunden nur aus einem letzten Buch zitieren, er hat da eigentlich schon alles vorgelegt und nachgelegt, was wir da für seine Hitparade brauchen. "Paradiesvogelschiß" ist vor ein paar Wochen erschienen. Und da erleichtert er auch uns selber den Umgang mit seinem Ableben. Ich darf einen kurzen Vierzeiler?
Scholl: Bitte, sehr! Bitte gerne, ja!
Bernstein: In fast allen seinen Gedichtbänden lässt er in die Werkstatt gucken, das tut sonst kein Lyriker. Es sind Skizzen drin, Notizen, das, was der Zeichner und der Maler im Skizzenbuch hat, hat er im literarischen Skizzenbuch. Und da kommt das auch, so ein Vierzeiler, einem Fall: "Gestorben wird doch unentwegt und allenthalben, und diese Abschiedsfeiern sind mir ein Gealber. Hingegen einmal noch den Zug von Schwalben verfolgen, mit mir selbst als Oberschwalber."
Scholl: Wunderbar. Aber ich habe auch eins: "Die Loreley entblößt ihr Haar am umgekippten Rheine. Ich schwebe graziös in Lebensgefahr, zwischen Freund Hein und Freund Heine." Auch klassischer Rühmkorf. Und diese beiden Gedichte, die zeigen auf so ein ganz gewisses Motiv, die Beschäftigung mit dem Tod. Er war sehr krank, schon lange, aber es zieht sich doch durch die letzten Jahre. Und man hat den Eindruck, Robert Gernhardt, den Sie auch schon zitiert haben, hat das ähnlich gemacht, als er schwerkrank wurde und den Schnitter kommen fühlte. Diese Dichter haben dem Tod, scheint es, mit sardonischem Witz ins kalte Auge geblickt?
Bernstein: Ja, ich hatte auch den Eindruck. Wie er begonnen hat, hieß es auch, die Komik stirbt zuletzt. Es ist ein Motiv geworden, ein Motiv mit literarischer Tradition, den man immer noch was Neues abgewinnen konnte, ohne uns jetzt zu allen möglichen Triefnasigkeiten zu verleiten. Es ist eine Souveränität in diesen letzten Wochen und Tagen in den Gedichten drin.
Scholl: Wir haben ihn gerade gehört, seine Stimme und seinen Humor auch im öffentlichen Vortrag. Er war ein Mann der Öffentlichkeit. Er war eigentlich so der lyrische Sänger vor Publikum, nicht wahr?
Bernstein: Ja, unbedingt. Der Sänger. Ich würde das wortwörtlich nehmen, was er gemacht hat mit Jazz und Lyrik, mit diesen Reihen.
Scholl: Legendäre Auftritte mit dem Pianisten damals, Michael Naura, zusammen.
Bernstein: Und er hat regelrecht gesungen, und sein Gedichtvortrag war durchaus musikalisch. Er war ein Barde, wo er dann wieder sagt, ich bin nicht einer von den Barden für die Milliarden. Er hat dieses Mittelalterliche gehabt, hat ja auch geschrieben über Walter von der Vogelweide.
Scholl: Über Klopstock zum Beispiel, auch an eine ganz vergangene Tradition erinnert. In Gedenken an Peter Rühmkorf, den Schriftsteller, der gestern gestorben ist, hier im Deutschlandradio Kultur spricht sein Kollege und Gefährte F. W. Bernstein. Er hat immer in Wort und Tat sich zum Volksmund bekannt, Peter Rühmkorf. Es gibt viele Anthologien mit Volksmundgedichten, er hat sie kommentiert, das im Wortsinn Populäre lag ihm sehr am Herzen. Dennoch scheut man bei ihm ja doch das Wort so vom Volksdichter, so à la Eugen Roth. Dazu war er dann doch wieder zu intellektuell und widerspenstig, oder?
Bernstein: Ja, ich glaube, ich weiß auch nicht, ob er so ein paar solche Slogans hinterlassen hat, die zitierbar sind, wie es Heinz Erhardt, der Volksdichter, oder andere hatten. Aber sein "Dem Volk aufs Maul Schauen", da war ja auch ein wissenschaftliches Interesse dran. Es gab in den 50er, 60er Jahren von Enzensberger "Allerleirau", eine Anthologie von Kinderlyrik, das Feinste und Schönste und Handgewebtestes, was es gab.
Und dann hat er nachgelegt, Rühmkorf, "über das Volksvermögen" und hat all den wunderbaren Schweinkram und das Zersingen von Kindern über Verse und Werbeverse dann rausgebracht. Das gehört unbedingt dazu zur Kinderlyrik. Sie hatten vorher schon da draus vorgespielt. Und da war für ihn eben auch was leicht Provozierendes drin, weil er hat was gegen die Feierlichkeit der Lyrik und der Denkmalslyriker gehabt. Und da war das ein gutes Gegengift.
Scholl: Das Werk von Peter Rühmkorf ist kaum zu überblicken. Ich habe gestern mal ein Verzeichnis ausgedruckt, das wollte gar nicht mehr aufhören. Bemerkenswert gerade in den letzten Jahren waren auch Aphorismen und Tagebücher. Er war ein leidenschaftlicher Diarist. Man munkelt von einem Kubikmeter Material, das noch nicht veröffentlicht ist. Das bislang Publizierte zeigt aber auch so neben dem Großhumoristen durchaus auch so den engagierten Zeitgenossen. Wie hat Peter Rühmkorf auf die Welt geblickt?
Bernstein: Erstaunlich klaren Kopfes. Wenn man diese ersten Tagebücher aus den 60er Jahren liest, da könnte man meinen, er hat sie im Nachhinein geschrieben, wie er da gegen die militanten RAF-Leute, oder wie er die überhaupt klar sieht und Ulrike Meinhof, die er ja nun sehr gut kannte, wie er deren Werdegang und Niedergang beschreibt. Und er hat ja weitergeführt die Tagebücher. Ich darf damit angeben, ich komme drin vor.
Scholl: Oh, wie sind Sie notiert?
Bernstein: Ich werde erwähnt. In meinem Novellenzyklus "Der Erwähnte", da wird das eine Rolle spielen. In Rendsburg durfte ich mal Klavier spielen und das erwähnt er. Da steht uns Schönes bevor, was er da bis zum Schluss gemacht hat.
Scholl: Ich bin ihm einmal begegnet auf einem privaten Fest, das ist Jahre her. Da fühlte er sich indisponiert, klagte über Migräne und war gleichzeitig rührend umschwebt von bestimmt drei äußerst reizenden jungen Damen, die ihm das Aspirin reichten und ihn dann auf eine Récamiere betteten und wie ihm das gefiel. Natürlich warf er dann angesichts der sprudelnden Tablette sofort einen Vierzeiler hin. Mein löchriges Gedächtnis hat es leider nicht bewahrt. Aber Sie sagten vorhin schon, er war trinkfest, er war ein sehr, sehr lebenslustiger Mann. Das passte natürlich, glaube ich, auch wirklich zu seinem Versstil auch.
Bernstein: Ja, das ist eine Vitalität, die nicht bloß am Schreibtisch sich ausgetobt hat. Er hat auch gezeichnet. Ich hatte mal die Ehre, eine Postkartenausstellung mit ihm zusammen zu machen, seine Kärtchen und meine Kärtchen, hat einen ganz Band herausgegeben mit Postkarten, gezeichneten Postkarten an Freunde und Kollegen. Das war ihm auch nicht fremd. Ist ja auch gezeichnet worden von unserem Größten, von Horst Janssen, dem Hamburger.
Und in diesem letzten Band jetzt hier, diesem "Paradiesvogelschiss", da kommen zwischendurch erstaunliche Verse und Versversuche über Maler und über andere bildende Künstler. Das war für ihn wohl der Kunstbereich, glaube ich, so eine Einheit, ob Musik, ob Wort, ob Bild.
Scholl: Das Leichte sei das Schwere, hat Goethe einmal gesagt. Und ich glaube, das trifft auch wirklich für Peter Rühmkorf zu. Die Verse kommen so leicht daher, aber man weiß, dass er manchmal Hunderte von Variationen geschrieben hat, bis dann wirklich ein Gedicht stand.
Bernstein: Und er hat aber auch die Versuche veröffentlicht. "Ich zog die Wörter auf Zeichen, da schwebten sie locker ein Weilchen."
Scholl: Kommen wir wieder auf die Literatur zurück. Peter Rühmkorf gebührt wohl das Verdienst, den einzigen vernünftigen Vers auf das im Deutschen unreimbare Wort Menschen geleistet zu haben. Jetzt helfen Sie mir, F. W. Bernstein. Wie geht das, die schönsten Verse der Menschen, nun finden Sie schon einen Reim ...
Bernstein: ... das sind die Gottfried Bennschen.
Scholl: Ich danke! In memoria Peter Rühmkorf. Am Sonntag starb der Dichter, und wir haben an ihn und sein Lebenswerk ein bisschen erinnert mit dem Lyriker und Zeichner und langjährigen Freund F. W. Bernstein. Wunderbar, dass Sie da waren!