"Er hat mir fast leid getan"

Eric Pleskow im Gespräch mit Joachim Scholl · 23.09.2010
Als US-Filmoffizier traf Erik Pleskow im Jahr 1945 mit dem Darsteller des historischen "Jud Süß", Ferdinand Marian, in dessen Entnazifizierungsver-fahren zusammen. Und er fand ihn "sympathisch".
Joachim Scholl: Ich bin jetzt verbunden in den USA mit Eric Pleskow. Er hat über ein Jahrzehnt die Filmstudios der United Artists geleitet, Kinogeschichte geschrieben. 14 Oscars, zehn Golden Globes haben seine Filme gewonnen. Ich grüße Sie, Mister Pleskow!

Eric Pleskow: Guten Tag!

Scholl: Sie sind in Wien geboren, in eine jüdische Familie, Ihr Vater war Russe, Ihre Mutter Wienerin. Sie konnten gottlob 1939 noch rechtzeitig vor den Nazis fliehen, und 1945 kamen Sie wieder nach Europa, in amerikanischer Uniform. Als sogenannter Filmoffizier prüften Sie in Bayern deutsche Schauspieler auf ihre Nazivergangenheit. Und auch Ferdinand Marian, der Hauptdarsteller von "Jud Süß", musste sich vor Ihren Augen verantworten. Wie war, Herr Pleskow, diese Begegnung für Sie?

Pleskow: Ja, ich meine, ich habe mir den Film angeschaut vorher, ja. Und ich wurde gebeten, mit ihm zu sprechen, und er kam in mein Büro. Und ich fand ja seine schauspielerische Leistung im originalen "Jud Süß" großartig als solches. Und für mich war er der sympathischste Typ in dem Film, wie ich das gesehen habe, während Heinrich George und Werner Krauss, diese Typen, die da mitspielten, meines Erachtens nicht so begabt waren. Also ich habe mir das vom deutschen Publikum auch versucht - von der Sicht des deutschen Publikums - mir den Film anzuschauen. Und da muss ich sagen, wenn ich Herr Goebbels gewesen wäre, hätte ich mich schon geärgert, weil ich glaube, dass "Jud Süß", die Darstellung des "Jud Süß" ziemlich sympathisch war.

Scholl: Das heißt also, Sie haben das gar nicht so empfunden, dass also hier ein infames Bild eines jüdischen Menschen gezeichnet wird?

Pleskow: Ich habe das nicht so empfunden. Ich habe nur die Nebenrollen, die da gezeigt wurden von Herrn Werner Krauss, die habe ich so empfunden. Ihn selbst weniger so, ja. Ich wusste ja aber auch zu dem Zeitpunkt noch nicht, welche Auswirkung dieser Film trotzdem hatte, und zwar mit dem deutschen Publikum. Aber es war ja das deutsche und besonders die Österreicher, die waren ja zu dem Zeitpunkt total verrückt sowieso, also verblendet, und die brauchten ja gar nicht so viel, um wieder aufgepuscht zu werden, um weiter diese grauenhaften Gräueltaten zu tun, die dann gang und gäbe waren.

Scholl: Was für einen Eindruck hat denn Ferdinand Marian auf Sie gemacht, als er da praktisch sozusagen vor Ihren strengen Augen dann saß?

Pleskow: Ja, na, er machte einen sehr sympathischen Eindruck. Er hat mir fast leid getan. Er schilderte mir – ob das also so war oder nicht, weiß ich nicht –, dass er dazu gezwungen wurde, er war nie bei der Partei. Gut, das alleine genügte natürlich nicht, ja. Es war nicht möglich, ihm die Arbeitsgenehmigung zu dem Zeitpunkt zu geben, einem Menschen, der das verkörpert hat und mit dieser Auswirkung.

Scholl: Wenige Wochen darauf, nach Ihrem Verhör sozusagen, ist Ferdinand Marian dann bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Meinen Sie denn, dass er später dann noch wieder eine Chance gehabt hätte im deutschen Film?

Pleskow: Ich glaube ja.

Scholl: Hätte man ihm verziehen sozusagen?

Pleskow: Ich könnte mir vorstellen ja. Ich meine, andere Leute, die ja auch nicht unbedingt schuldlos waren, haben ja auch zum späteren Zeitpunkt begonnen, wieder zu arbeiten. Da war ich schon weg und so.

Scholl: Kommen wir mal auf den Film zu sprechen, den Oskar Roehler jetzt gedreht hat, Eric Pleskow. Sie sind vermutlich der einzige Mensch, der den damaligen Protagonisten Ferdinand Marian noch persönlich gekannt hat und jetzt aber auch Oskar Roehlers Film über "Jud Süß" gesehen hat. Wie finden Sie ihn denn?

Pleskow: Ich muss sagen, ich war ja nicht dafür, so einen Film wie diesen Film zu machen. Ich fand die beiden Schauspieler - Moretti sowohl als auch Bleibtreu - hervorragend.

Scholl: Tobias Moretti spielt den Ferdinand Marian in Oskar Roehlers Film, Moritz Bleibtreu spielt Goebbels.

Pleskow: Bleibtreu spielt den Goebbels, ja, den ich ja nicht kannte. Aber wie ich ihn mir so vorgestellt habe, von den Dingen, die ich so gesehen habe über ihn und so über Goebbels, fand ich auch den Bleibtreu großartig. Das ist mein Kommentar zum Film.

Scholl: Auf was hätten Sie denn so das Augenmerk in so einer Verfilmung gelegt, würde man Sie jetzt zum Beispiel als Produzent gefragt haben, lass uns so einen Stoff entwickeln über "Jud Süß"?

Pleskow: Na, ich hätte ihn nicht entwickelt, ich hätte ihn nicht gezeigt. Wissen Sie, ich bin der Meinung, die Deutschen, besonders die Deutschen versuchen, diese Vergangenheit, - also gut zu machen ist ja nichts mehr, ist sowieso nicht möglich -, aber anzuerkennen, was sich abgespielt hat und so. Das tun die Deutschen sehr. Und sie zeigen es und ich finde es großartig, aber das wärmt ja wiederum die Dinge auf. Also ich hätte es gelassen als deutscher Produzent. Sie dürfen nicht vergessen, dass ich ja anderthalb Jahre unter Hitler gelebt habe, und ich diese Dinge, ja, ich lebe damit nicht jeden Tag und so, aber es ist da. Und ich hätte diesen Stoff nicht gemacht.

Scholl: Der amerikanische Produzent Eric Pleskow, er hat als US-Offizier Ferdinand Marian verhört, den Hauptdarsteller von Veit Harlans antisemitischem Film "Jud Süß". Oskar Roehlers Darstellung dieses Machwerks kommt heute in unsere Kinos. Eric Pleskow, herzlichen Dank für dieses Gespräch und alles Gute Ihnen!

Pleskow: Danke, Ihnen. Wiederhören!
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