Entstehungsgeschichte eines Anti-Kriegsromans

Unter Hypnose zurück nach Stalingrad

Ein deutscher Kriegsgefangener auf dem Marsch in die russische Kriegsgefangenschaft.
Der Offizier Heinrich Gerlach gehörte wie diese Männer zu den Wehrmachtsoldaten, die in sowjetische Kriegsgefangenenschaft gerieten. Aber dank einer Schreibmaschine konnte er die Haftzeit nutzen, um das Erlebte in einem Roman zu Papier zu bringen. © picture alliance / Foto: dpa
Carsten Gansel im Gespräch mit Frank Meyer  · 15.04.2016
Kaum ein Buch hat so eine dramatische Publikationsgeschichte wie der Anti-Kriegsroman "Durchbruch bei Stalingrad". Der Herausgeber Carsten Gansel fand das seit 1949 verschollene Original-Manuskript und sorgte nach Jahrzehnten für dessen Veröffentlichung.
Der deutsche Offizier Heinrich Gerlach begann seinen großen Antikriegsroman schon 1943 direkt nach der Schlacht um Stalingrad, bei der er selbst schwer verwundet wurde. Er widmete sich seinem Werk im sowjetischen Lager, in dem er als deutscher Kriegsgefangener eine Haftzeit verbüßte.
Gerlach gehörte dort zu den Gründungsmitgliedern des Bundes Deutscher Offiziere, der aus dem Lager heraus zum Ende des Krieges aufrief. 1949 beschlagnahmte der sowjetische Geheimdienst Gerlachs mehr als 600 Seiten langes Manuskript, das seither als verschollen galt.

Hypnose für den Autor

Nach seiner Rückkehr nach Deutschland versuchte Gerlach zunächst vergebens, den Roman aus dem Gedächtnis heraus wieder niederzuschreiben. Erst mit Hilfe eines Psychiaters und einer Hynose-Behandlung gelang es ihm, eine zweite Version zu erstellen, die 1957 unter dem Titel "Die verratene Armee" zum Bestseller wurde. Erst nach dem Tod des Autors, der 1991 starb, fand der Literaturwissenschaftler Carsten Gansel im russischen Militärarchiv 2012 überraschend das Originalmanuskript, das nun nach mehr als 70 Jahren veröffentlicht wurde.

Epische Form für das Leid von Stalingrad

Gerlach hatte ursprünglich im Sommer 1943 mit Tagebuchnotizen begonnen, erzählt der Herausgeber Gansel im Deutschlandradio Kultur. Als der Autor merkte, dass das nicht funktionierte, habe Gerlach bewusst die epische Form gewählt. Das, was Menschen bei der Schlacht um Stalingrad hätten erleiden müssen, habe nur in einen großen Roman gepasst.

Gerlach wollte Zeugnis ablegen

"Er war ein entschiedener Hitler-Gegner geworden aufgrund dessen, was er in Stalingrad erleben musste", sagt der Literaturwissenschaftler über Gerlach. "Denn er musste ja mit ansehen, wie eine ganze Armee geopfert wurde." Das höre sich zunächst so nüchtern und rational an, aber der Offizier habe miterleben müssen, was das für den Einzelnen bedeutete: "Wie Tag für Tag hunderte oder tausende von Soldaten ums Leben kamen und trotzdem keine Kapitulation erfolgte." Gerlach habe deshalb mit seinem Werk von mehr als 600 Seiten Zeugnis ablegen wollen. "Er musste unbedingt diesen Roman schreiben."

Heinrich Gerlach, Durchbruch bei Stalingrad
Galiani-Verlag, 34 Euro.

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