Entlarvende Studie über die Finanzkrise
Michael Lewis war selbst Investmentbanker an der Wall Street. Jetzt hat er eine faszinierende, entlarvende Studie über die Finanzkrise geschrieben - ausgerechnet aus der Sicht jener Manager, die gegen die Immobilienblase in den USA gewettet hatten. Ein Buch, das zur Pflichtlektüre aller deutschen Politiker werden sollte.
Was zunächst klingt wie ein weiteres der moralisierenden Empörungsbücher über die böse Welt der Banken ist in Wahrheit eine geradezu bewusstseins-erweiternde Studie darüber, wie der komplizierte globale Finanzmarkt und sein Zentrum in den USA wirklich funktioniert. Und auch wenn Lewis an einigen Stellen im Buch ein wenig zu tief in die komplizierten Techniken beim Schnüren von Finanzprodukten eintaucht: Der unschätzbare Vorteil von "The big short" ist, dass das Buch die Entwicklung der sogenannten Subprime-Krise sehr stark entlang des Schicksals weniger Personen beschreibt und deshalb verständlich bleibt.
Anders als in der politischen Debatte steht der Leser keiner anonymen Masse von Spekulanten gegenüber, sondern lernt den Hedge-Fonds-Manager Steve Eisman, den Deutsche-Bank-Manager Greg Lippmann oder die beiden Wall-Street-Außenseiter Jamie Mai und Charlie Ledley aus nächster Nähe kennen.
Und weil Lewis sehr genau darauf achtet, die Motive seiner "Helden" genau zu erklären, ändert sich dadurch der Eindruck von der Krise dramatisch. Sehr schnell wird klar, dass Eisman und Lippmann zwar nach gängigen Kriterien nicht unbedingt den Typus des idealen Schwiegersohns darstellen, sondern geld- und erfolgsgetriebene Manager sind.
Aber diese Erzählperspektive zeigt, wie sehr die Räder an den Märkten ineinander greifen, weil Spekulanten eben nie alleine agieren: Für jedes Geschäft, auch die absurdesten Policen gibt es schließlich einen Käufer und einen Verkäufer. Und an beiden verdienen Investmenthäuser wie Goldman Sachs oder die Deutsche Bank gut, die deshalb den Absatz auch noch der absurdesten Papiere ständig förderten.
Zudem bezogen ausgerechnet die vermeintlich amoralischen Finanz-Aasgeier in Wahrheit für Lewis die einzige ökonomisch vernünftige Position in der sich aufblähenden Immobilienblase. Diese Blase selbst ist dagegen für ihn die Folge eines fatalen Zusammenspiels all jener damals hochangesehenen Institutionen wie Investment-Banken, Rating-Agenturen und Fonds-Gesellschaften.
"Es ist nicht einfach, sich gegen eine Massenhysterie zu stellen, ohne für verrückt erklärt zu werden","
schreibt Lewis deshalb. Und es hört sich an wie eine respektvolle Hommage des Aussteigers aus der Finanzwelt an die Außenseiter dieser Welt.
Am Ende der 266seitigen Lektüre, die spannend wie ein Kriminalroman ist, hat sich jede klassische Verschwörungstheorie für den Leser jedenfalls in Luft aufgelöst – was die Lage aber nicht unbedingt besser macht. Denn zurück bleibt das fassungslose Staunen darüber, welche Mechanismen an den Finanzmärkten herrschen und zu welch gefährlicher Selbsthypnose die Akteure an den Finanzmärkten fähig sein können.
Die eindrucksvollste Figur in "The big short" ist deshalb sicher Steve Eisman, der bereits kurz nach der Jahrtausendwende überzeugt war, dass der boomende US-Häusermarkt in Wahrheit ein wackeliges Kartenhaus darstellte. Denn um den Immobilien-Boom nicht abbrechen zu lassen, wurden die Konditionen für Käufer immer absurder. Gleich mehrfach wird auf den grotesken Fall eines mexikanischen Erdbeer-Erntearbeiters verwiesen, dem dessen kalifornische Bank trotz eines Jahresgehalts von nur 13 000 Dollar einen Immobilienkredit für den Kauf eines Hauses im Wert von 743 000 Dollar aufschwatzte.
Um die Risiken zu verteilen und neue Einnahmequellen zu schaffen, wurden Hunderttausende solcher Hypotheken in Bündel gepackt, bis zur Unkenntlichkeit mit anderen Papieren gemischt und schließlich als sogenannte CDO-Derivate verkauft. Nur weil am Ende auch die Rating-Agenturen die Risiken solcher Misch-Pakete mit Namen wie Heloc, RMBS oder Alt-A nicht mehr verstanden, konnten aus schlechten Krediten schön verpackte Investitions-Anlagen mit vermeintlich guten Risiken der Klasse A werden.
""Ein CDO war in Wirklichkeit eine Kreditwaschanlage für die untere amerikanische Mittelklasse. Für Wall Street war es das Mittel, um aus Blei Gold zu machen."
Oder anders ausgedrückt:
"Der ganze Sinn der CDO war es, die Risiken schlechter Hypothekenkredite zu waschen, die die Firmen nicht offen und direkt verkaufen konnten."
Lewis hält nicht mit der Meinung hinter dem Berg, dass er darin schlicht eine gigantische Betrugsmaschinerie sieht. Weil so viele Manager und Unternehmen über lange Jahre sehr gut daran verdienten, schalteten sie ihren gesunden Menschenverstand und ihren Skrupel ab. Nur Einzelgänger wie Steve Eisman trauten sich, sich gegen den Hype zu stellen.
Doch seine offenen Warnungen wurden missachtet. Dabei hat er vorher schon gesagt, es könne nicht gut gehen, kapital- und einkommensschwache Schuldner in Verträge zu locken, bei denen sie zwar die ersten beiden Jahre lang keine Zinsen für ihren Hauskredit zahlten, danach aber mehr als 12 Prozent. Dass das Kartenhaus dann zusammenfiel, liegt für Lewis deshalb auch nicht etwa an den Spekulationen auf das Scheitern, also den sogenannten "Shorts", sondern in der Fehlkalkulation der Anleger und Banker.
Gerade für die deutschen Leser ist das Buch auch deshalb so interessant, weil für den Autor klar war, wer denn eigentlich jene Käufer der riskanten Derivate waren – etwa die "Idioten in Deutschland". Immer wieder fällt das Schlagwort "Düsseldorf", eine Anspielung auf die dortige West LB, die sich mit Subprime-Risiko-Papieren vollgesaugt hatte und dann vom deutschen Steuerzahler nach dem Platzen der Blase gerettet werden musste. Während sich an der Wall Street 2007 längst Zynismus breit gemacht hatte, hätten die Deutschen tatsächlich immer noch an die Objektivität der Rating-Agenturen geglaubt, zitiert Lewis frotzelnde US-Manager.
Ohnehin spielen die Rating-Agenturen neben den dummen Deutschen und den Investmentbanken die schlechteste Rolle in dem Buch. Denn bei ihrer Bewertung der Risiken waren die Mitarbeiter der Agenturen aus Sicht Lewis entweder unfähig, überfordert oder aber dem Reiz der hohen Gebühren erlegen, die sie von den Investmentbanken für die Zertifizierung immer neuer, undurchsichtiger Produkte kassierten. Wenn es nach der Finanzkrise noch eines Rufes nach einer Reform der Rating-Agenturen gebraucht hätte - Lewis hat sie mit seinem Buch eindrucksvoll geliefert.
Michael Lewis: The big short. Inside the doomsday machine
W.W: Norton&Company, New York 2010, 266 Seiten, 27,95 Dollar
Anders als in der politischen Debatte steht der Leser keiner anonymen Masse von Spekulanten gegenüber, sondern lernt den Hedge-Fonds-Manager Steve Eisman, den Deutsche-Bank-Manager Greg Lippmann oder die beiden Wall-Street-Außenseiter Jamie Mai und Charlie Ledley aus nächster Nähe kennen.
Und weil Lewis sehr genau darauf achtet, die Motive seiner "Helden" genau zu erklären, ändert sich dadurch der Eindruck von der Krise dramatisch. Sehr schnell wird klar, dass Eisman und Lippmann zwar nach gängigen Kriterien nicht unbedingt den Typus des idealen Schwiegersohns darstellen, sondern geld- und erfolgsgetriebene Manager sind.
Aber diese Erzählperspektive zeigt, wie sehr die Räder an den Märkten ineinander greifen, weil Spekulanten eben nie alleine agieren: Für jedes Geschäft, auch die absurdesten Policen gibt es schließlich einen Käufer und einen Verkäufer. Und an beiden verdienen Investmenthäuser wie Goldman Sachs oder die Deutsche Bank gut, die deshalb den Absatz auch noch der absurdesten Papiere ständig förderten.
Zudem bezogen ausgerechnet die vermeintlich amoralischen Finanz-Aasgeier in Wahrheit für Lewis die einzige ökonomisch vernünftige Position in der sich aufblähenden Immobilienblase. Diese Blase selbst ist dagegen für ihn die Folge eines fatalen Zusammenspiels all jener damals hochangesehenen Institutionen wie Investment-Banken, Rating-Agenturen und Fonds-Gesellschaften.
"Es ist nicht einfach, sich gegen eine Massenhysterie zu stellen, ohne für verrückt erklärt zu werden","
schreibt Lewis deshalb. Und es hört sich an wie eine respektvolle Hommage des Aussteigers aus der Finanzwelt an die Außenseiter dieser Welt.
Am Ende der 266seitigen Lektüre, die spannend wie ein Kriminalroman ist, hat sich jede klassische Verschwörungstheorie für den Leser jedenfalls in Luft aufgelöst – was die Lage aber nicht unbedingt besser macht. Denn zurück bleibt das fassungslose Staunen darüber, welche Mechanismen an den Finanzmärkten herrschen und zu welch gefährlicher Selbsthypnose die Akteure an den Finanzmärkten fähig sein können.
Die eindrucksvollste Figur in "The big short" ist deshalb sicher Steve Eisman, der bereits kurz nach der Jahrtausendwende überzeugt war, dass der boomende US-Häusermarkt in Wahrheit ein wackeliges Kartenhaus darstellte. Denn um den Immobilien-Boom nicht abbrechen zu lassen, wurden die Konditionen für Käufer immer absurder. Gleich mehrfach wird auf den grotesken Fall eines mexikanischen Erdbeer-Erntearbeiters verwiesen, dem dessen kalifornische Bank trotz eines Jahresgehalts von nur 13 000 Dollar einen Immobilienkredit für den Kauf eines Hauses im Wert von 743 000 Dollar aufschwatzte.
Um die Risiken zu verteilen und neue Einnahmequellen zu schaffen, wurden Hunderttausende solcher Hypotheken in Bündel gepackt, bis zur Unkenntlichkeit mit anderen Papieren gemischt und schließlich als sogenannte CDO-Derivate verkauft. Nur weil am Ende auch die Rating-Agenturen die Risiken solcher Misch-Pakete mit Namen wie Heloc, RMBS oder Alt-A nicht mehr verstanden, konnten aus schlechten Krediten schön verpackte Investitions-Anlagen mit vermeintlich guten Risiken der Klasse A werden.
""Ein CDO war in Wirklichkeit eine Kreditwaschanlage für die untere amerikanische Mittelklasse. Für Wall Street war es das Mittel, um aus Blei Gold zu machen."
Oder anders ausgedrückt:
"Der ganze Sinn der CDO war es, die Risiken schlechter Hypothekenkredite zu waschen, die die Firmen nicht offen und direkt verkaufen konnten."
Lewis hält nicht mit der Meinung hinter dem Berg, dass er darin schlicht eine gigantische Betrugsmaschinerie sieht. Weil so viele Manager und Unternehmen über lange Jahre sehr gut daran verdienten, schalteten sie ihren gesunden Menschenverstand und ihren Skrupel ab. Nur Einzelgänger wie Steve Eisman trauten sich, sich gegen den Hype zu stellen.
Doch seine offenen Warnungen wurden missachtet. Dabei hat er vorher schon gesagt, es könne nicht gut gehen, kapital- und einkommensschwache Schuldner in Verträge zu locken, bei denen sie zwar die ersten beiden Jahre lang keine Zinsen für ihren Hauskredit zahlten, danach aber mehr als 12 Prozent. Dass das Kartenhaus dann zusammenfiel, liegt für Lewis deshalb auch nicht etwa an den Spekulationen auf das Scheitern, also den sogenannten "Shorts", sondern in der Fehlkalkulation der Anleger und Banker.
Gerade für die deutschen Leser ist das Buch auch deshalb so interessant, weil für den Autor klar war, wer denn eigentlich jene Käufer der riskanten Derivate waren – etwa die "Idioten in Deutschland". Immer wieder fällt das Schlagwort "Düsseldorf", eine Anspielung auf die dortige West LB, die sich mit Subprime-Risiko-Papieren vollgesaugt hatte und dann vom deutschen Steuerzahler nach dem Platzen der Blase gerettet werden musste. Während sich an der Wall Street 2007 längst Zynismus breit gemacht hatte, hätten die Deutschen tatsächlich immer noch an die Objektivität der Rating-Agenturen geglaubt, zitiert Lewis frotzelnde US-Manager.
Ohnehin spielen die Rating-Agenturen neben den dummen Deutschen und den Investmentbanken die schlechteste Rolle in dem Buch. Denn bei ihrer Bewertung der Risiken waren die Mitarbeiter der Agenturen aus Sicht Lewis entweder unfähig, überfordert oder aber dem Reiz der hohen Gebühren erlegen, die sie von den Investmentbanken für die Zertifizierung immer neuer, undurchsichtiger Produkte kassierten. Wenn es nach der Finanzkrise noch eines Rufes nach einer Reform der Rating-Agenturen gebraucht hätte - Lewis hat sie mit seinem Buch eindrucksvoll geliefert.
Michael Lewis: The big short. Inside the doomsday machine
W.W: Norton&Company, New York 2010, 266 Seiten, 27,95 Dollar

Cover: "Michael Lewis: The big short. Inside the doomsday machine"© Norton&Company