Enteigneter jüdischer Besitz

Kontaminiertes Erbe

Überlegungen von Sharon Adler · 05.10.2021
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Juden wurden in der NS-Zeit auch ihrer Alltagsgegenstände oder Erinnerungsstücke wie Fotoalben beraubt. Diese Dinge werden heute auf Flohmärkten und Auktionen gehandelt, ohne jedes Unrechtsbewusstsein, kritisiert die Publizistin Sharon Adler.
Die Debatte um die Bereicherung, Vorteilsnahme und die Beteiligung an der Ausraubung der europäischen Jüdinnen und Juden durch ganz gewöhnliche Deutsche steht noch am Anfang. Darüber, dass bis heute zahlreiche Menschen nicht nur in Deutschland von der sogenannten "Arisierung" jüdischen Eigentums profitieren – der unrechtmäßigen und durch NS-Gesetze legalisierten Inbesitznahme etwa der Arztpraxis oder des Schuhgeschäfts –, liegt ein noch größerer Mantel des Schweigens.
Endlich einmal thematisiert werden sollte auch, dass die von den Klischeebildern des reichen Juden geprägte Debatte nach dem "Gurlitt-Fund" von NS-Raubkunst suggeriert, in jedem jüdischen Haushalt habe ein Klimt oder Klee im Salon über dem Esstisch gehangen.
Mir geht es um die Beraubung von persönlichen Erinnerungsstücken mit emotionalem Wert: Fotoalben oder Familienschmuck, Dinge des alltäglichen Lebens, Schabbat- oder Chanukkaleuchter, Geschirr, Möbel, Bettwäsche, Spielzeug, Bücher. Bis heute werden die unter den Augen der Bevölkerung geraubten und auf öffentlichen Auktionen verscherbelten Besitztümer auf Flohmärkten, in Antiquariaten, auf Online-Auktionsplattformen oder in TV-Sendungen feilgeboten, ohne dass sich jemand fragt, woher diese Dinge eigentlich stammen.

Verweigerung der eigenen Familienbiografie

Es ist ein Verlust, der bis heute fortwirkt. Während die nicht-jüdischen Deutschen es sich vor und nach 1945 in den Möbeln und in den Positionen der vertriebenen oder ermordeten Juden und Jüdinnen bequem machten, mussten die Überlebenden oder ihre Nachkommen noch Jahre später mittels empathielos verfasster Formblätter nachweisen, wann, warum und wem sie ihre Habseligkeiten – weit unter Wert – verkauft haben. Einigermaßen sprachlos macht es in diesem Kontext, dass laut einer Studie elf Prozent der Befragten der Meinung sind, Jüdinnen und Juden würden aus der Shoah Kapital schlagen.
Eine, die sich offen gegen das Schweigen positioniert hat, ist die 1936 in Berlin geborene Professorin, Autorin und Grünen-Politikerin Hilde Schramm. Sie hat sich bewusst entschieden, etwas "zurückzugeben". Als sie drei Gemälde aus dem Nachlass ihres Vaters Albert Speer erben sollte, vermutete sie, dass sie jüdischen Familien geraubt wurden. Sie entschied sich für deren Verkauf.
Porträt von Hilde Schramm, Tochter des Hitler-Architekten Albert Speer, und Gründerin der Stiftung "Zurückgeben".
Hilde Schramm hat sich entschieden, etwas "zurückzugeben", als sie drei Gemälde aus dem Nachlass ihres Vaters Albert Speer erben sollte.© imago / Rolf Zöllner
Der Erlös bildete das Startkapital für die 1994 gegründete Stiftung "Zurückgeben" zur Förderung jüdischer Frauen in Kunst und Wissenschaft. Mit der Stiftung wollten die Gründungsfrauen das Wirken der jüdischen Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen und Frauenrechtlerinnen bis zu deren erzwungener Emigration, Flucht oder Deportation ab 1933 ehren.

Vertuschen und Verschweigen

Um Stipendien vergeben zu können, benötigt die Stiftung Spenden. Regelmäßig schreiben die ehrenamtlich arbeitenden Vorstandsfrauen Unternehmen an, die in der NS-Zeit profitiert oder die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ausgebeutet haben. Zu einer symbolischen öffentlichen Handlung in Form einer Spende konnte sich keines der Unternehmen durchringen, das ist schlecht für das Image. Vertuschen und Verschweigen ist die Devise.
Und auch mehrere Anfragen an die Produktionsfirmen der TV-Formate "Bares für Rares" oder "Kunst + Krempel", bei denen offen Objekte auch aus den 1920er- und 1930er-Jahren zur besten Sendezeit den Besitz wechseln, blieben unbeantwortet. Auch die Auktionatorinnen und Auktionatoren der TV-Shows selbst scheint das nicht zu interessieren: Nachgefragt, woher die Objekte stammen, hat bisher niemand.

Sharon Adler, 1962 in Berlin-West geboren und in Berlin, NRW, Holland und Israel aufgewachsen, ist Fotografin, Publizistin, Moderatorin, Herausgeberin von AVIVA-Berlin und Vorstandsvorsitzende der Stiftung ZURÜCKGEBEN.

Porträt Sharon Adler im hellblauen Mantel vor einer Bücherwand.
© Mara Noomi Adler
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