Enrico Brissa, Protokollchef im Bundestag

Der Herr der Regeln

33:48 Minuten
Porträt von Enrico Brissa.
Enrico Brissa, Protokollchef des deutschen Bundestags. © Urban Zintel/laif
Moderation: Katrin Heise |
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Ob es um den Ablauf eines Staatsakts oder die Wahl der richtigen Schuhe geht: Enrico Brissa ist als Protokollchef des Bundestags gut vertraut mit den Regeln guten Benehmens. Aber auch im Alltag setzt sich der Jurist für die Regeln des Anstands ein.
Es gehe im Kern niemals um die Frage, welches Glas und welches Besteck in welcher Reihenfolge zu benutzen ist, betont Brissa: „Mir ist wichtig, dass man sich der Bedeutung von Regeln, auch im Sozialen, bewusst wird.“
Benimmregeln sind immer eine Form von Kommunikation – da sie kulturell geprägt sind, sind sie auch verhandelbar – wichtiger als die Frage, welche Schuhe man zu welcher Uhrzeit trägt, sei es, sich mitzuteilen.

Anstand in Zeiten der Pandemie

So sei es durchaus verständlich, den westlich tradierten Brauch des Händeschüttelns in Zeiten hoher Infektionsgefahr zu überdenken. Wichtig sei aber, dies mitzuteilen, mit einer Geste oder einem Satz zu Erklärung. Regeln, sagt Brissa, können sogar gebrochen werden, dann aber mit Wissen um sie.
„Wenn man sich daneben benimmt, kann das, das weiß ja jeder von uns, sehr unangenehm sein,“ sagt er.
„Und es kann einem auch lange nachgehen. Auch Erfahrungen aus der Kindheit können noch lange nachwirken. Angenehm ist es nicht, wenn man der einzige ist, der sich nicht so verhält wie die anderen. Das kann man mögen, aber ich finde, man sollte wissen, dass man das dann bewusst tut.“

Wenn ein Kind den Käse falsch anschneidet

Schon immer wollte Brissa in dem Bereich wirken, in dem er heute als Protokollchef des Bundestag arbeitet. Die Welt der Regeln, insbesondere im internationalen Kontext, betrafen ihn schon als Kind einer deutsch-italienischen Familie, in der bürgerliche Etikette groß geschrieben wurde.
„Als Kind habe ich einmal falsch eingeschenkt. Und einmal hat eine Großtante mich gemaßregelt, weil ich den Käse falsch angeschnitten habe. Daran kann ich mich bis heute erinnern. Das kriegt man nicht mehr aus dem Kopf. Wenn ich heute beobachte, wie ein Kellner falsch einschenkt, ist mir das sofort präsent. Ich halte mich aber mit Verbesserungsvorschlägen zurück.“

Leistung statt Herkunft

In den meisten Kulturen dienen Benimmregeln auch zur sozialen Distinktion, weshalb sie in Deutschland nicht ohne Grund kritisch gesehen und in den vergangenen Jahrzehnten stark aufgeweicht wurden. Die Regeln der Klassengesellschaft galten spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg als diskreditiert, die Achtundsechziger taten ein Übriges.
„In anderen Kulturen wie der britischen zeigt das Benehmen, wo man herkommt. Das ist in Deutschland nicht so stark ausgeprägt. Die Herkunft sollte bei uns dem Anspruch nach eine untergeordnete Rolle spielen, denn das Gründungsversprechen der Bundesrepublik Deutschland war Aufstieg durch Leistung.“
Besonders delikat wird es, wenn es darum geht, Kindern Benimm beizubringen, auch und gerade den eigenen. Der Familienvater Brisse ist durchaus bereit einzugestehen, dass ihm auch hier Grenzen gezeigt wurden.
„Die Erziehung zur Höflichkeit ist ein wechselseitiger Prozess, der auch nie aufhört. Jeder, der erzieht, weiß, wie schwer es ist, den Anforderungen der Kinder Genüge zu tun. Deswegen ist klar, dass jeder, der Kinder erzieht, auch mal einen Spiegel vorgehalten bekommt.“
(AB)
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