Earl of Chesterfield: "Über die Kunst, ein Gentleman zu sein"

Alles, was man(n) wissen muss

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Buchcover: "Über die Kunst, ein Gentleman zu sein" von Philip Dormer Earl of Chesterfield.
Der Earl of Chesterfield hat einige Ratschläge für seinen Sohn parat. © Manesse / Deutschlandradio
Von Barbara Streidl · 15.02.2020
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Eines war der Earl of Chesterfield sicherlich nicht: ein Feminist. Dennoch sind seine vor rund 250 Jahren an seinen Sohn adressierten Briefe "Über die Kunst, ein Gentleman zu sein" noch heute mit Gewinn zu lesen.
Wie wird ein Mann zum perfekten Gentleman? Vor mehr als 250 Jahren hat der Earl of Chesterfield seinem Sohn Briefe voller Anweisungen geschrieben. Jetzt sind sie unter dem Titel "Über die Kunst, ein Gentleman zu sein" als Buch erschienen. Was taugen diese Ratschläge im Zeitalter von #metoo?
Ist ein Gentleman heute noch gewünscht? Einer mit tadellosem Schlips und dreiteiligem Anzug, der reiten kann, die Tür aufhält und zu gefallen vermag. Der gebildet ist, in mehreren Sprachen plaudern und schreiben kann, Bescheid weiß über Literatur, Kunst und Politik – und der sich das alles aber nicht allzu sehr heraushängen lässt: Nun, selbstverständlich ist ein solcher Mensch heute gewünscht. Und zwar am liebsten ohne die Zuordnung "Gentleman" – das öffnet dann auch den Kreis der Leserschaft dieses Buches für Nicht-Männer.

Wie das mit den Frauen so läuft

Wir befinden uns im Jahr 3 nach Beginn der #metoo-Debatte und die Hilflosigkeit ob des "Wie soll ich als Mann denn nun mit Frauen, Kolleginnen, Bekannten oder Zufallsbegegnungen umgehen?" ist nicht mehr ganz so präsent. Heute erwarten Frauen Respekt, Höflichkeit und dulden keine Übergriffe aufgrund von Machtstrukturen, die einen Mann in welcher Hierarchie auch immer höher ansiedeln als eine Frau.
Die Welt, aus der Philip Dormer Stanhope, Earl of Chesterfield, stammt, ist natürlich eine andere: Die Briefe, die er an seinen Sohn schreibt, stammen aus den Jahren 1739–1768, Lord Stanhope ist britischer Staatsmann und Schriftsteller. Er hat den dringenden Wunsch, seinen Sohn "so vollkommen zu machen, wie es die Unvollkommenheit der Natur des Menschen nur erlaubt", und diese Vollkommenheit kennt viele Gesichter: Deutsch und Italienisch muss der Sohn lernen in Wort und Schrift, er muss sich zu kleiden wissen, verstehen, wie man sich mit anderen unterhält.
Und natürlich gilt es für ihn auch zu kapieren, wie das mit den Frauen so läuft. Diese sind vor allem bei Hofe, so Lord Stanhope, voller Intrigen – woran das liegt, nämlich vielleicht an ihrer Ohnmacht im öffentlichen Mitgestalten der politischen Welt – lässt der ratgebende Vater allerdings beiseite. Und so füllt er Seite um Seite, Brief um Brief, mahnt und fordert und lobt auch das ein oder andere Mal.

Keine Augenhöhe zwischen den Geschlechtern

Am Stück genossen ist dieses "Belehrungs-Stakkato", so die editorische Notiz des Herausgebers Horst Lauinger, "wohl nur etwas für die happy few unter passionierten Gentleman-Aspiranten". Aber in kleine Häppchen auf einen Zeitraum von 30 Jahren verteilt, durchaus unterhaltsam, ja, die Ratschläge ebnen den Boden für die zeitgenössische Debatte über "Anstand" und die Frage nach dem "Wie wollen wir in einer Gesellschaft miteinander umgehen?"
Dass das Wesen des Gentleman am Ende einem vorbildlichen Verhalten eines Menschen, egal welchen Alters, Geschlechts oder Herkunftsorts entspricht, darf zwischen den vielen detaillierten Ratschlägen nicht übersehen werden. Was dem 250 Jahre alten Vorbild allerdings fehlt, ist das Konzept der Augenhöhe: Die gibt es nicht zwischen Männern und Frauen, auch wenn er einräumt, "unter Frauen gibt es, wie unter Männern, gute wie schlechte, und möglicherweise ebenso viele oder sogar mehr gute als unter Männern".
Gleichberechtigung existiert natürlich auch nicht zwischen Adligen und Leuten niedrigen Ranges, letztere sieht Stanhope als "Ziel von Mitleid, nicht von Beleidigung". Hier hat sich die Welt dann doch weiter entwickelt – zum Glück.

Earl of Chesterfield: "Über die Kunst, ein Gentleman zu sein"
Aus dem Englischen von Gisbert Haefs
Manesse, 2019
320 Seiten, 24 Euro

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