Energiewende

Zweifel an der Versorgungssicherheit

Das Kraftwerk Jaenschwalde ist das größte Braunkohlekraftwerk in Deutschland
Auch konventionelle Kraftwerke wie das größte Braunkohlekraftwerk in Jänschwalde werden künftig gebraucht © picture-alliance / dpa / Andreas Franke
Jürgen König im Gespräch mit Johannes Kempmann · 13.08.2014
Ob Netzausbau, Stromtrassen oder Versorgungssicherheit: Die Energiewende ist eine Mammutaufgabe. Doch Johannes Kempmann vom Bundesverband der Energiewirtschaft sagt: Die Politik liefert keine verlässlichen Rahmenbedingungen.
Jürgen König: Noch nie wurde in Deutschland so viel Strom aus Wind, Sonne und Wasser gewonnen wie heute. Fünf Millionen Haushalte in Deutschland sind zu Stromproduzenten geworden, und umgekehrt wurde noch nie so wenig Energie aus fossilen Brennstoffen gewonnen, und entsprechend schwer tun sich die großen Energieversorger mit ihren Kraftwerken, hoffen auf Subventionen, um für den Fall von schwankender Stromproduktion aus erneuerbaren Energien ausreichende Kraftwerkskapazitäten bereitstellen zu können.
Wie die alten und die neuen Energiesysteme zusammengeführt, wie Konflikte gelöst werden können, will ich jetzt jemanden fragen, der als junger Mensch Sprecher der Protestbewegung gegen das Atomendlager im niedersächsischen Gorleben war, der dann, so sieht es jedenfalls sein Parteifreund Jürgen Trittin, eine der treibenden Kräfte bei der Vorbereitung der rot-grünen Energiepolitik und des Atomausstiegs wurde, und der seit Ende Juni Präsident des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft ist. Dieses ist er ehrenamtlich, hauptberuflich ist er der technische Geschäftsführer bei den Städtischen Werken in Magdeburg, oder "Machteburch", wie die "Machteburcher" sagen. Johannes Kempmann, ich grüße Sie, guten Morgen!
Johannes Kempmann: Schönen guten Morgen, Herr König!
König: Vom Gorlebener Protestcamp zu einem Stadtwerk und zum Präsidenten des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft – ist das, rückblickend gesehen, ein konsequenter Weg? Mussten Sie, was Ihre Überzeugungen angeht, je eine wirkliche energiepolitische Wende vollziehen?
Kempmann: Ach, na ja, ich will mal so sagen: Ich bin jedenfalls in den letzten 30 Jahren, hoffe ich jedenfalls, nicht wirklich dümmer geworden. Die Welt hat sich verändert, ich habe mich auch ein bisschen verändert. Ich glaube, dass Energiewirtschaft, Energiewende und ich ganz persönlich im Moment ganz gut zusammenpassen.
König: Zum Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft gehören auch die AKW-Betreiber, natürlich. Berührungsängste gibt es keine?
Kempmann: Von meiner Seite jedenfalls nicht und - ich kenne die Kollegen bei den großen Vieren - bei denen auch nicht. Also, das geht ganz gut.
"Das Thema Atomenergie ist politisch entschieden"
König: Trotzdem muss ich da noch einmal nachfragen. Wie reden Sie über die alten Zeiten? Ich stelle mir das schon irgendwie eigenartig vor, wenn die alten Kämpen plötzlich als Kollegen am Tisch sitzen.
Kempmann: Ach, na ja, das ist doch nichts Ungewöhnliches. Ich glaube, das ist auch ein schönes Beispiel für Transparenz und Offenheit in unserer Gesellschaft. Wir reden manchmal ein bisschen schmunzelnd und manchmal auch ein bisschen ernsthaft über alte Zeiten, aber das Thema Atomenergie und die Frage der Nutzung der Atomenergie ist in der Bundesrepublik doch politisch entschieden. Da will auch keiner mehr zurück.
König: Die Energiewende: Wie erleben Sie sie als Geschäftsführer, als technischer Geschäftsführer bei den Stadtwerken in Magdeburg?
Kempmann: Also ich muss Ihnen sagen, das ist natürlich eine Riesenaufgabe, eine Aufgabe, die auch viel mehr ist als nur die Frage, wie schnell gelingt es uns, Anlagen der erneuerbaren Energien, also Wind und Fotovoltaik in erster Linie, dazuzubauen. Das Thema ist viel komplexer, und ich erlebe ein bisschen, dass die Politik in weiten Teilen noch nicht wirklich verstanden hat, wie komplex dieses Thema eigentlich ist.
Wir müssen viel, viel mehr verändern als nur immerzu neue EEG-Anlagen dazuzubauen. Und das macht Probleme, wenn ich an die Netze zum Beispiel denke, die ja zunehmend in Schwierigkeiten geraten. Wenn ich an konventionelle Kraftwerke denke, die wir dringend, dringend auch zukünftig noch brauchen, die aber ihr Geld nicht mehr verdienen. Da kommen schon eine ganze Reihe von Schwierigkeiten auf uns zu, nicht zuletzt die Frage, was kostet das alles eigentlich, ist ja nicht wirklich entschieden. Also, da ist noch eine riesengroße Baustelle.
"Weit und breit keine verlässlichen politischen Rahmenbedingungen"
König: Wenn Sie die Netze ansprechen, meinen Sie damit, dass zu viele Windkraftwerke gebaut werden, ohne dass die Netze die Elektrizität transportieren können?
Kempmann: Das ist sicher ein Thema. Gucken Sie mal: Über 90 Prozent der EEG-Anlagen, also Wind und Fotovoltaik, sind in den Verteilnetzen, also in den untergelagerten Spannungsebenen angeschlossen. Diese Netze sind heute nicht in der Lage, das alles aufzunehmen und auf die vorgelagerten Spannungsebenen zu transportieren. Wir müssen hier in den nächsten zehn Jahren rund 25 Milliarden investieren. Dafür fehlen aber die politischen und die gesetzlichen Rahmenbedingungen, um diese Investitionen wirklich durchführen zu können. Das ist ein Punkt.
Und der andere Punkt ist: Alle haben sich in einem schmerzhaften Prozess darüber geeinigt, wie denn die großen Stromautobahnen aussehen müssen. Wir müssen Strom aus dem Norden und aus dem Nordosten in den Süden und in den Südwesten transportieren. Dazu brauchen wir große Transportleitungen. Alle haben sich drauf verständigt, aber dann stellen manche fest, um Gottes willen, wir haben ja Europawahlen, wir haben Kommunalwahlen vor der Tür – dann wollen sie von diesen Einigungen nichts mehr wissen. Das ist schon sehr schwierig. Wir brauchen verlässliche politische Rahmenbedingungen, und die sind im Moment leider weit und breit nicht erkennbar.
König: Man könnte sich fragen, warum es eine bundesweite Netzplanung gibt, aber keine für Kraftwerke?
Kempmann: Eine wunderbare Frage. Die stelle ich mir auch immer. Aber es ist nun mal entschieden, dass über die Frage, wie Kraftwerke zugebaut werden, im Wesentlichen die Frage der Höhe der Subventionen eine Rolle spielt, aber wo diese Kraftwerke dann kommen und wann sie kommen, darüber gibt es keine Planungen, das ist sozusagen dem freien Spiel überlassen. Und nun ist es Aufgabe der Netzbetreiber, in eine große Glaskugel zu gucken und zu sagen, in zehn, in fünfzehn Jahren wird es diesen oder jenen Kraftwerkspark geben, und dafür müssen wir die Netze ausbauen. Da kann man selbstredend ein paar Fehler machen.
König: Die deutsche Energiewirtschaft hat doch in der Vergangenheit auf fossile und atomare Brennstoffe vor allem gesetzt, hat dann langsam angefangen mit den erneuerbaren Energien, muss jetzt sehr, ganz anders umsteuern – das heißt doch eigentlich, über Nacht ein neues Geschäftsmodell einzuführen. Wie können diese alten und die neuen Systeme zusammengeführt werden?
"Gesicherte Leistung muss bezahlt werden"
Kempmann: Also zunächst einmal geht es wirklich darum, dass die neuen Anlagen in die Systeme integriert werden. Da macht das neue EEG, das ja seit Kurzem in Kraft gesetzt worden ist –
König: Also das Erneuerbare-Energien-Gesetz.
Kempmann: ... das Erneuerbare-Energien-Gesetz schon ein paar wichtige Schritte. Da geht es zum Beispiel um die Frage der verpflichtenden Direktvermarktung, dass Strom also auch vermarktet werden muss. Da geht es darum, dass zukünftig die Förderhöhe ein bisschen im Wettbewerb über Ausschreibungsmodelle ermittelt werden soll. Da geht es darum, dass Ausbaukorridore auf jedenfalls mal festgelegt worden sind, die ein bisschen mehr Verlässlichkeit auch für Netzbetreiber bringen. Das sind Schritte, die in die richtige Richtung gehen.
Aber wir müssen natürlich feststellen, wir werden auch zukünftig einen erheblichen Kraftwerkspark konventioneller Art brauchen. Immer 20 bis 30 Prozent große Kraftwerke in den Netzen, um Störungen in den Netzen auch ausgleichen zu können. Das ist eine Frage der Physik. Und wir haben natürlich Situationen, wo einfach die Sonne nicht scheint und kein Wind weht. Und auch dann wollen wir ja noch eine sichere Stromversorgung haben. Wir werden also auch zukünftig in der Größenordnung 80, 85 Gigawatt konventionelle Kraftwerke im Netz brauchen. Und die müssen ihr Geld verdienen. Das ist aber zunehmend weniger der Fall. Es werden immer mehr Kraftwerke stillgelegt, und da mache ich mir schon große Sorgen über die Frage der Versorgungssicherheit in der Zukunft. Darüber müssen wir reden: Wie kann so etwas finanziert werden?
"Es geht nicht um Subventionen"
König: Dieses Thema Kapazitätsmarkt, also dass die Energiewirtschaft, wie Sie es eben beschrieben haben, Kapazitäten bereit hält für Notfälle – die Energiewirtschaft pocht auf Subventionen oder wünscht sie sich immer wieder herbei. Ist das eine zukunftsweisende Strategie?
Kempmann: Ich glaube nicht, dass es in dieser Frage um Subventionen geht. Wir müssen einfach mal sehen, bei der Stromerzeugung geht es auf der einen Seite um elektrische Arbeit, also Kilowattstunden. Und auf der anderen Seite geht es um gesicherte Leistung. Und jetzt reden wir über das Thema gesicherte Leistung, die wir einfach im Netz brauchen zu einer gesicherten Stromversorgung, und diese gesicherte Leitung muss bezahlt werden. Das ist wie eine Art Versicherung. Wenn Sie versichert sein wollen, dann müssen Sie dafür bezahlen.
Das ist keine Subvention, sondern Sie kaufen eine bestimmte Leistung ein. Und genau darum geht es: Wer gesicherte Leistung vorhält, muss dafür auch Geld bekommen können, und das ist das Thema Kapazitätsmärkte. Darüber wird im Moment trefflich gestritten, wie kann so etwas ausgestaltet werden. Das ist auch normal, dass man darüber diskutiert, aber dass wir es brauchen, das ist, glaube ich, inzwischen weitgehend unumstritten. Und wir brauchen es übrigens relativ schnell: Denn Kraftwerksplanungen bis zur Baureife und bis zur Inbetriebnahme dauern 10, 15, 20 Jahre. Und wir entscheiden heute über die Rahmenbedingungen für die Kraftwerke, die in 20 oder in 15 Jahren dann am Netz sein werden und sein müssen. Und diese Entscheidungen müssen schnell kommen.
König: Zum Stand der Energiewende ein Gespräch mit Johannes Kempmann, dem Präsidenten des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft. Herr Kempmann, ich danke Ihnen!
Kempmann: Schönen Dank, tschüs!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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