Energiewende-Debakel

Die Lausitz und ihre Schmerzen

Abraumhalden liegen im Tagebau Nochten vor dem Kraftwerk Boxberg, Foto vom 18.03.2009.
Nochten I und II umfassen ein gewaltiges Gebiet von Weißwasser im Westen bis ins polnische Gubin. © picture alliance / dpa / Matthias Hiekel
Von Susanne Schädlich · 15.05.2014
Atomkraftwerke abschalten, den Abbau der Kohle befördern, so bringt Autorin Susanne Schädlich die Energiewende auf den Punkt. Sie berichtet von den Folgen dieser Politik für Umwelt, Landschaft und Menschen in der Lausitz.
Es war einmal... So beginnen Märchen. Die Guten gegen die Bösen, die Großen gegen die Kleinen. Das Ende: meist glücklich.
Es war einmal in der Lausitz. So könnte ein Märchen beginnen. Es war einmal ein Märchensee, ein Wald. Es waren einmal die Naturschutzgebiete Altteicher Moor, Eichberg, Eichberger Moor und Große Jeseritzen.
Der Energiekonzern Vattenfall bekommt den Hals nicht voll: Das Tagebaugebiet Nochten in Sachsen soll vergrößert werden. Das sächsische Innenministerium und der Braunkohleausschuss des Regionalen Planungsverbandes Oberlausitz/Niederschlesien stimmten den Plänen zu.
Nochten I und II - ein gewaltiges Gebiet von Weißwasser im Westen bis ins polnische Gubin. Eine riesige klaffende Erdwunde. Abgenickt von der deutschen Regierung. So lobte Brandenburgs ehemaliger Ministerpräsident Platzek, SPD, die Rolle der Braunkohle als “Partner der erneuerbaren Energien“. Verkohlen können wir uns selber!
Atomkraftwerke abschalten, den Abbau der Kohle befördern. So sieht die Energiewende aus. Deutsche Kraftwerke jagen hemmungslos CO2 in die Atmosphäre, fast die Hälfte von 212 Millionen Tonnen in Europa. Die Braunkohleverstromung stieg auf 36,3 Millionen Tonnen in 2013.
Seen in ockerrot und tot
Vernichtet wird in der Lausitz ein 3000 Hektar großes Waldgebiet, dazu gehört der “Urwald Weißwasser“. Bis 2008 war er Naturschutzgebiet. Dann nicht mehr. Wegen der Kohle. In einem Jahr wird alles weggebaggert sein. Bis zu 100 Meter tief wird gegraben, so tief wird auch das Grundwasser abgesenkt. Eisensulfat und Schwefelsäure sickern ins Grundwasser. Blühende Seenlandschaften in ockerrot und tot. Allein die in den 90ern stillgelegten DDRTagebaue belasten die Gewässer noch mindestens 100 Jahre.
Eisen und Schwefelsäure auch in der Spree, in dem Wasser, aus dem Trinkwasser gewonnen wird. In Berlin für etwa zwei Millionen Menschen. Und in der Luft? Schwefeldioxid, Stickoxide und Staub, Quecksilber und Blei. Laut Greenpeace sind die größten Umweltsünder die Kohlekraftwerke in der Lausitz.
In Sachsen betreibt Vattenfall die Gruben Nochten und Reichwalde, in Brandenburg WelzowSüd, Jänschwalde und CottbusNord. Die drei brandenburgischen Tagebaue pumpen allein jährlich über 200 Millionen Kubikmeter Wasser aus dem Boden.
Das Aktionsbündnis "Strukturwandel jetzt - Kein Nochten II" warnt, der nördliche Teil der Landkreise Bautzen und Görlitz könne sich schon jetzt nicht mehr durch eigene Trinkwasserbrunnen versorgen. Mit Nochten II drohten die Trinkwasserquellen Sprembergs und das Wasserschutzgebiet Spreetaler Heide auszufallen.
Kohle als Fluch
In der Muskauer Heide wird weiter gerodet. Wenige Kilometer vom Fürst Pückler Park in Bad Muskau entfernt, seit 2004 Weltkulturerbe der Unesco. Weitere 300 Tonnen Kohle will Vattenfall abbauen, circa 1700 Menschen verlieren ihre Heimat, die deutsch-sorbischen Orte Rohne, Mulkwitz und Mühlrose im Kreis Görlitz werden dem Erdboden gleichgemacht. Das sorbische Kirchspiel Schleife hat dann die Hälfte seiner Dörfer verloren. Den “Märchensee“, vom Fürsten im 19. Jahrhundert angelegt, hat Vattenfall längst geschluckt.
Die Kohle ist ein Fluch, eindringlich dokumentiert im Film “Schmerzen der Lausitz“ von Peter Rocha aus dem Jahr 1990. Zerstörte Landschaften, zerstörte Kultur, zerstörte Menschen.
Der Protest der Betroffenen gegen Nochten II schwankt zwischen Widerstand und Ohnmacht. Den Stromriesen lassen Erhebungen über den mangelnden ökonomischen Nutzen des Braunkohletagebaus kalt. Ebenso Gutachten über die Umweltzerstörung.
Der Zynismus kennt keine Grenzen. Ausdruck findet er im Event-Tourismus: Im Jeep durch bizarre Landschaften im aktiven Tagebau.
Ein sorbisches Sprichwort sagt, Gott hat die Lausitz erschaffen, der Teufel hat die Kohle dort vergraben.
Susanne Schädlich, Schriftstellerin,geboren 1965 in Jena, verließ zusammen mit ihren Eltern, dem Schriftsteller Hans Joachim Schädlich, der Lektorin Krista Maria Schädlich und ihrer Schwester Anna 1977 die DDR. 1987 ging sie in die USA, wo sie mit literarischen Übersetzungen begann. Ab 1993 arbeitete sie unter andedrem am Max Kade Institute in Los Angeles. 1996 erhielt sie ein Stipendium der University of Southern California und schloss 1999 das Studium der Neueren Deutschen Philologie ab. Danach kehrte sie nach Berlin zurück, wo sie mit ihren beiden Söhnen lebt.
2007 veröffentlichte Schädlich ihren ersten Roman "Nirgendwoher, irgendwohin" (Plöttner Verlag), es folgen weitere Veröffentlichungen: "Immer wieder Dezember. Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich" (Droemer), "Westwärts, so weit es nur geht. Eine Landsuche" (Droemer). Zuletzt gab sie gemeinsam mit ihrer Schwester Anna Schädlich die Anthologie "Ein Spaziergang war es nicht, Kindheiten zwischen Ost und West" (Heyne) heraus.