Energiewende und Stromerzeugung

Wie grün ist Münchens Öko-Strom wirklich?

13:28 Minuten
Zwischen grünen Wipfeln ragt ein großes Windrad in den blauen Himmel.
Eine Windenergieanlage auf dem Müllberg in Fröttmaning in München. Ein Großteil des Münchner Ökostroms wird allerdings in Windparks im Meer produziert. © imago / imagebroker
Von Ralf Hutter · 25.06.2019
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Wer Ökostrom bezieht, sieht sich als Vorreiter der Energiewende. Doch oft steckt nicht viel Grün im Angebot. Die Stadtwerke München wollten es besser machen - doch auch sie sind wegen ihrer ausländischen Ökostromproduktion in die Kritik geraten.
"2009 hat der Stadtrat beschlossen, dass die Stadtwerke genauso viel Ökostrom in eigenen Anlagen erzeugen müssen, wie die Stadt München verbraucht."
Die Stadtwerke München sind in Sachen Energiewende viel anspruchsvoller als die meisten anderen Stadtwerke. Sie haben nämlich den politischen Auftrag dazu, erklärt ihr Chef Florian Bieberbach.
"Man hat als Zwischenziel definiert, dass bis 2015 so viel Ökostrom erzeugt sein muss, wie alle Haushalte in München verbrauchen – das Ziel haben wir erreicht – und bis 2025 eben dann so viel Ökostrom erzeugt werden muss, wie Gesamt-München verbraucht. Aktuell stehen wir jetzt bei um die 70 Prozent."

Investition in norwegische Windparks

Der Großteil dieses Ökostroms komme von deutschen Windrädern, die im Meer stehen, sagt Bieberbach. Die Stadtwerke nutzten aber seit Jahren auch Wind- und Solarparks in Großbritannien, Schweden, Spanien, Kroatien, Polen und Frankreich.
Im Januar gaben sie bekannt, dass sie sich an existierenden und an noch zu bauenden Windparks in Norwegen mehrheitlich beteiligen werden:
"Norwegen ist einfach hervorragend geeignet für Windenergie, weil man sehr viel küstennahe Standorte hat mit sehr, sehr viel Wind und in der Regel viel Abstand zur Bevölkerung und anderen konfligierenden Nutzungen."

"Ökostrom ist nicht gleich Ökostrom"

Einen Konflikt gibt es nun aber doch: Gegen einen der Windparks wird protestiert. Ein Bürgerentscheid hatte das Projekt abgesegnet, es hat auch alle nötigen Genehmigungen, doch nun stoßen sich einige Leute daran, dass in der relativ unberührten Natur so viele so große Windräder stehen sollen.
Florian Bieberbach findet diese Neubauten sehr wichtig. Viele Ökostromanbieter kauften ihren Strom bei alten Wasserkraftwerken in Norwegen, Österreich oder der Schweiz, sagt er. Die Stadtwerke München hingegen bauen neue Anlagen. Das ist der Auftrag des Stadtrats.
"Ökostrom ist nicht gleich Ökostrom. Ein Ökostrom, der einfach nur bezogen wird aus einem 50 Jahre alten Wasserkraftwerk, hat aus meiner Sicht fürs Klima null Komma null positive Wirkung."
Diese Wasserkraftwerke speisen Strom beispielsweise in Norwegen ein.

Der Handel mit den Herkunftszertifikaten

Gleichzeitig werden Herkunftsnachweise ins Ausland verkauft, so dass ein deutscher Stromanbieter, der diese Herkunftsnachweise günstig kauft, sagen kann: Ich speise Ökostrom ins Netz ein. Die Strommenge, die so ins Ausland verkauft wurde, wird in Norwegen dann als normaler Strom vermarktet.
Die dortige Bevölkerung braucht sich nicht für Ökostromzertifikate zu interessieren, denn Norwegen kann sich eigentlich fast komplett aus erneuerbaren Energien versorgen. So glauben dann Menschen sowohl in Deutschland, als auch in Norwegen, dass sie Strom aus Wasserkraft kriegen, eventuell beziehen sich aber beide auf dasselbe Kraftwerk. In Deutschland ankommen muss der Strom sowieso nicht.
"Das wurde ja dann zu der Zeit, als unsere Ausbauoffensive losging, unter dem Titel 'Greenwashing' in der Presse sehr kritisch diskutiert. Das war auch der Grund, warum der Münchner Stadtrat gesagt hat: Sowas machen wir hier nicht, also einfach nur Zertifikate kaufen aus Norwegen, die dann doppelt als Ökostrom verkauft werden. Das wäre eine Mogelpackung."

Nicht mehr Ökostrom verkaufen als vorhanden ist

Es ist nicht so, dass norwegische Wasserkraftwerksbetreiber immer zusätzlichen Strom, den ihre Anlagen eigentlich nicht eingespeist hätten, ins Ausland verkauften.
Die Ökonomin Claudia Kemfert kennt ebenfalls diese Praxis, dass Strom, der ohnehin verkauft wurde, sozusagen nochmal verkauft wird:
"Sie verkaufen mehr ins Ausland, als sie Überkapazitäten haben, meines Wissens."
Die Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung betont, dass es an sich nicht schlimm ist, Strom von alten Kraftwerken zu kaufen. Entscheidend ist, ob diese Kraftwerke noch freie Kapazitäten haben.
"Wenn es tatsächlich Wasserkraftwerke gibt, die nicht ausgelastet sind, dann ist das wunderbar. Aber in der Praxis war es in der Vergangenheit so, dass man sehr viel Ökostrom gerade aus Wasserkraftanlagen verkauft hat, es auch kein Doppelvermarktungsverbot gab, das heißt, viel mehr Strom verkauft wurde, als physisch vorhanden ist, und das muss man unterbinden."

Investitionen in neue Anlagen fördern Energiewende

Die EU hat ihr Engagement gegen Doppelvermarktungen unlängst wieder bekräftigt. Doch unabhängig davon können wir bei den meisten Anbietern von sogenanntem Ökostrom auf der Stromrechnung nicht ersehen, woher der von uns bezahlte Strom kommt.
Immerhin: Florian Bieberbach behauptet, er könnte im Grunde bei jeder von ihm verkauften Kilowattstunde dazusagen, aus welcher Anlage sie kommt. Claudia Kemfert lobt die Stadtwerke München:
"Auch wenn sie Anlagen im Ausland bauen, ist das immer noch besser, als gar keine Anlagen zu bauen, wie das manche andere Stadtwerke tun."
Allerdings solle vorrangig in Deutschland gebaut werden, dezentral, in allen Landesteilen. Schließlich ist Deutschlands Energiewende darauf angewiesen. Ökostrom aus dem Ausland zählt auch nicht für die deutschen Ziele beim Klimaschutz.
Übrigens würde ein weiteres Setzen auf ausländischen Ökostrom den Bedarf für die großen und umstrittenen Stromtrassen weiter erhöhen.

Kann München mehr Ökostrom regional erzeugen?

Claudia Kemfert meint, München habe sehr gute Voraussetzungen, lokal Ökostrom zu erzeugen. Zudem müsse der Stromverbrauch sinken. Einen Rückgang des Stromverbrauchs sieht Florian Bieberbach unter anderem wegen des Wachsens der Elektromobilität als eher unrealistisch an. Skeptisch ist er auch beim lokalen Energiewendepotenzial:
"Als der Stadtrat München das 2025-Ziel beschlossen hat, hat er als erstes das Öko-Institut aus Freiburg beauftragt, eine Studie zu machen, wie man das überhaupt erreichen kann. Und das Ergebnis war, dass Windenergie den größten Anteil haben wird, und dass wir auch keine Chance haben, die erneuerbaren Energien allein in der Region München zu erzeugen, sondern dass wir gleich mit einem deutschland- und europaweiten Ansatz starten müssen."
Claudia Kemfert will das so nicht stehenlassen:
"München hat riesige Potenziale, auch für dezentrale erneuerbare Energien, sei es Solarenergie oder Windenergie drum herum. Biomasse sowieso, auch Biomassekraftwerke, die Strom und Wärme produzieren in der Stadt. Wenn man da sehr viel mehr tun würde, gibt es sicherlich Potenziale. Ich würde einer Stadt auch immer empfehlen, damit zu beginnen, bevor man jetzt jegliche Optionen ausschließt und sagt, man kann es nur durch eine Verlagerung erreichen."

Windräder - ja! Aber bitte nicht vor meiner Tür!

Eine Verlagerung des Stromanlagenbaus ins Ausland ist schließlich auch ungerecht, gerade in Bayern, wo die Landesregierung den Windenergie-Zubau praktisch zum Erliegen gebracht hat.
Das ist wie der berühmt-berüchtigte Export von Müll und Elektroschrott. Unsere Konsumgesellschaft verlagert ihre unschönen und anstrengenden Seiten in andere Länder. Wer das nicht möchte, kann sich schon mal einen Ökostromtarif suchen, bei dem die Stromherkunft aus deutschen Anlagen garantiert wird.
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