Emmanuelle Bayamack-Tam: „Sommerjungs“

Brutal schön

06:16 Minuten
Das Cover des Buchs "Sommerjungs" von Emmanuelle Bayamack-Tam.
© Secession

Emmanuelle Bayamack-Tam

Aus dem Französischen von Christian Ruzicska

SommerjungsSecession, Berlin 2022

285 Seiten

25,00 Euro

Von Dirk Fuhrig · 13.04.2022
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Ein Sommer vor der Kulisse eines Surfer-Romans, der in einer Tragödie mündet: Schöne, junge Menschen geraten in einen Strudel aus Neid und Eifersucht - eine bitterböse Komödie um einen Brudermord und den Zerfall einer ganz besonders glücklichen Familie.
Eine Musterfamlie à la française: Altehrwürdige Villa im mondänen Badeort Biarritz, elegante Wohnungseinrichtung und kostspielige Skiurlaube. Die Kinder sind brillant in der Schule und auch ansonsten wohlgeraten, vor allem die beiden heranwachsenden Söhne glänzen durch Sportlichkeit und Sex-Appeal.

Strahlende Schönheit

Bei so viel Idyll ist die Katastrophe nicht weit: Dem Meistersurfer Thadée wird beim Wellenreiten vor der Insel La Réunion von einem Hai ein Bein abgebissen. Plötzlich fühlt sich der zuvor äußerst attraktive, von seinen Mitschülerinnen umschwärmte junge Mann als Krüppel. In der Folge entwickelt er nicht nur eine Depression, sondern auch Mordgelüste gegenüber seinem jüngeren Bruder Zachée, den er um seine intakten Surferbeine beneidet.
Emmanuelle Bayamack-Tam entwickelt vor der Kulisse eines sommerlichen Surfer-Romans eine Tragödie von alttestamentarischer Wucht. Schon die Namen der Kinder - Ysé, (der Kühne) und Zachée (der Gerechte) - muten biblisch an.
Der Brudermord wird von der Freundin des Getöteten gerächt, indem sie dem Täter ein Kainsmal ins Gesicht tätowiert. Der einst strahlend schöne Thadée geht zugrunde und entpuppt sich dazu noch als heimlicher Anhänger abstruser Verschwörungstheorien und Liebhaber von Gewaltpornos.

Spektakulär hellsichtige Gesellschaftsstudie

Baymack-Tam ist eine der ungewöhnlichsten - nicht nur französischen - Gegenwartsautorinnen. In ihrem Roman „Ich komme“ hatte sie Rassismus und Fettleibigkeit in einem satirischen Szenario verhandelt. In „Arkadien“ entwarf sie eine lustvolle Parodie auf Alt-68er-Fantasien von freier Liebe, in einem Liberty-Camp inklusive Guru. Unter dem Pseudonym Rebecca Lighieri schreibt sie gelegentlich Kriminalromane.
Die Lehrerin in einer Schule in der Pariser Banlieue kennt die Gefühlswelten junger Menschen sehr genau. Die geheimen Ängste, Wünsche, Unsicherheiten, quälenden Schönheitsideale junger Menschen beleuchtet sie hier aus unterschiedlichen Erzählperspektiven. Mit „Sommerjungs“ ist ihr aber auch eine spektakulär hellsichtige Gesellschaftsstudie über Glanz und Elend der gehobenen Bürgerlichkeit gelungen.
Unverblümt, rotzig - und poetisch
Geschrieben ist der Roman auch diesmal wieder in Bayamack-Tams frischer, unverblümter Sprache: rotzig, bissig, sehr sinnlich und poetisch. Der Titel „Sommerjungs“ klingt nach einem Coming-of-age-Roman. Er ist jedoch das Gegenteil einer leichten Sommerkomödie, auch wenn er sich genauso leicht und locker liest.

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